Kohlhaas oder die Verhältnismäßigkeit der Mittel

Kohlhaas oder die Verhältnismäßigkeit der Mittel

(„Kohlhaas oder die Verhältnismäßigkeit der Mittel“ directed by Aron Lehmann, 2012)

Kohlhaas oder die Verhältnismäßigkeit der MittelWo ein Wille ist, da ist auch ein Weg. Was für jeden, den es einmal unverschuldet auf die Verliererstraße geführt hat, geradezu unerträglich zynisch ist, stellt im Fall von Lehmann (Robert Gwisdek) quasi sein Lebensmotto dar. Tatsächlich ist es beeindruckend, mit welcher Beharrlichkeit der junge Regisseur sein Projekt – eine Verfilmung von Heinrich von Kleists „Michael Kohlhaas“ – weiterverfolgt, nachdem ihm die Produzenten den Geldhahn zugedreht haben. Kein Geld, keine Crew, keine Ausrüstung, keine Gage. Alles muss er zurückgeben, die Kostüme, selbst das Pferd.

„In der Nacht kam ein Gespenst zu mir, um meinen Traum zu fressen. Ich hab’s totgeschlagen. Einmal, zweimal, dreimal. Diesen Kampf darf ich nicht verlieren.“

Und so kämpft er weiter für seinen Traum, organisiert eine Unterkunft, Laienschauspieler, die die fehlenden Darsteller ersetzen, sowie ein paar Kühe. Als Pferdeersatz. Für eine Weile scheint er, das Unmögliche tatsächlich wahr machen zu können, selbst seine beiden Hauptdarsteller, die von Kohlhaas (Jan Messutat) und dessen Frau Lisbeth (Rosalie Thomass), schafft er, zum Bleiben zu überreden. Doch mit der Zeit treten immer neue Probleme auf und Lehmanns Einsatz für seinen Film nimmt geradezu wahnhafte Züge an.

Was ist Realität, was ist Vorstellung? Bei Kohlhaas oder die Verhältnismäßigkeit der Mittel ist das nicht immer so ganz klar voneinander zu trennen. Mal sind wir beim Dreh des Films, dann wieder in Szenen aus dem Film, nur um dann bei einer Dokumentation über den Dreh zu landen. Diese Vermischung der verschiedenen Ebenen, hier ist sie völlig bewusst. Das beginnt bereits bei der Namensgebung. Aron Lehmann, der tatsächliche Regisseur und Drehbuchautor, benannte nicht nur seine Hauptfigur nach sich selbst, die Darsteller werden zudem nur mit ihren Rollennamen angesprochen. Auf diese Weise wird der Streifen gleichzeitig zu einem Beitrag über das Filmedrehen an sich, der Mechanismen hinterfragt und ganz grundsätzliche Überlegungen anstellt.Kohlhaas oder die Verhältnismäßigkeit der Mittel Szene 1

„Ein Film ist nicht da, damit man Häuser brennen sieht und dann stürzen die ein, es explodieren die Autos und dann kommen die Aliens eingeflogen. Es geht um Menschen.“

Verkopftes Kunstkino ist Kohlhaas oder die Verhältnismäßigkeit der Mittel aber dennoch nicht, alleine schon, weil Lehmann zu oft offensichtlich aufs Zwerchfell schielt. Gerade wenn Kohlhaas auf einem Ochsen reitet und diesen als Rappen bezeichnet aber auch diversen anderen Szenen, wird das Geschehen wunderbar absurd. Umso abrupter dann, als der Film zum Ende hin sehr dramatische Züge annimmt. Ganz geglückt ist das nicht, denn die einzelnen Bestandteile fügen sich nicht harmonisch zusammen. Vielleicht wäre es da besser gewesen, der HFF-Absolvent hätte sich stärker auf einen Aspekt konzentriert.

Kohlhaas oder die Verhältnismäßigkeit der Mittel Szene 2

Will Kohlhaas eine Komödie sein? Das Porträt eines Mannes, der sich in seiner Arbeit verliert und das Drumherum nicht mehr wahrnimmt? Ein Kommentar über das Filmedrehen? Vielleicht sogar eine Abrechnung mit der Filmbranche? Wirklich klar ist das nicht. Interessant ist Lehmanns Spielfilmdebüt aber auf jeden Fall, kann einige starke, teilweise richtig poetische Szenen vorweisen – nicht zuletzt dank der guten und glaubhaft auftretenden Schauspieler. Wer sich mit der Unentschlossenheit abfinden kann, findet hier daher eine faszinierende Ideensammlung, die einen Blick wert ist und auf jeden Fall neugierig macht, was Lehmann bei Film Nummer zwei auf die Beine stellen wird. Dieses Mal dann vielleicht sogar mit Budget.



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Deutsche Filmemacher haben es schwer: Kohlhaas oder die Verhältnismäßigkeit der Mittel erzählt die Geschichte eines jungen Nachwuchsregisseurs, der aus seiner finanziellen Not eine Tugend macht und später nicht mehr zwischen Realität und Vorstellung unterscheiden kann. Das ist gerade am Anfang sehr lustig, wird später dafür umso dramatischer. Ganz geglückt ist die Mischung verschiedener Genres und Ebenen nicht, interessant ist das Spielfilmdebüt von Aron Lehmann aber auf alle Fälle.
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von 10