Life In A Day

Life in a Day

(„Life in a Day“ directed by Kevin Macdonald, 2011)

Ich habe mir nie die Zeit damit vertrieben, auf YouTube Privatvideos von Menschen anzusehen, die ich nicht kenne und deren Geschichten mich, primär aus eben diesem Grund, nicht im Geringsten interessieren. Ich habe nie die Verlockung empfunden, über süße Babys zu lachen, die mich vom Bildschirm anglucksen, niedliche Katzen zu beobachten oder mir den Seelen-Striptease Personen aus aller Herren Länder anzuhören. Schon allein deshalb gehöre ich wohl gar nicht erst zur Zielgruppe, für die dieser seltsame Dokumentarfilm gedreht wurde. Vielleicht bin ich deshalb als Rezensent auch denkbar ungeeignet. Und dennoch habe ich keine Wahl. Als einer der meist gefeierten Dokus des laufenden Jahres 2011 war ein Film wie Life in a Day in dem Facebook/YouTube Zeitalter unvermeidbar.

Eigentlich hätte man es voraussehen müssen, dass früher oder später ein solches Projekt initiiert wird. Doch was ist überhaupt der Sinn dieses Projektes, für den tausende Menschen aus aller Welt private Videos gedreht haben: von sich, von ihrer Familie, von der Umwelt, in der sie leben. All diese Videos, von denen der Regisseur hier 90 Minuten präsentiert, wurden – angeblich – am 24.Juni 2010 gedreht. Macht es das reizvoller, für ein paar Sekunden in das Leben wildfremder Menschen einzudringen, die nur einen gemeinsamer Nenner haben: denselben Tag? Ich glaube nicht. Brauchen wir gerade in diesem Zeitalter, indem wir mit Informationen, Materialien und Fundstücken jeglicher Art regelrecht zugespammt werden, einen Filter, wie diesen Film, der die interessantesten Werke vorstellt, damit wir uns mit dem kümmerlichen Rest gar nicht erst beschäftigen brauchen? Aber wer bestimmt, welche Videos wertvoll sind, und welche nicht?

Das ist vielleicht schon das erste Dilemma dieses Dokumentarstreifens, das versucht hat, Gold von Müll zu trennen und aus Gold 90 Minuten zusammenzustellen – zumindest will es uns weismachen, dass alles Gold ist, denn ansonsten hätte dieser Film keine Daseinsberechtigung. Es muss alles seine Bedeutung haben, alles muss wichtig sein. Aber ist es wichtig für uns, für mich, für dich? Was habe ich für einen Nutzen davon, einen betrunkenen Mann auf der Parkbank sitzen zu sehen, der einem Passanten das Datum sagt? Das sei nun mal das Leben, rechtfertigten viele Liebhaber dieses Films. Es ist das Leben in all seiner zermürbenden Trivialität. Was der Zuschauer hier geliefert bekommt, sind kleinste Schnipsel aus den Leben hunderter Menschen, die wir nicht kennen, die sich dabei filmen, wie sie auf Toilette gehen, wie sie sich die Zähne putzen, wie sie sich das erste Mal rasieren. Würde Ihr Nachbar zu Ihnen kommen und sagen: „Hey, schau mir zu, wie ich mich jetzt rasiere!“ – würde Sie das interessieren? Warum sollte es das dann in diesem Film tun – bei einem Menschen, den Sie nie zuvor gesehen haben? Faszinierend mag in erster Linie sein, mit welcher Bereitwilligkeit all diese Menschen in ihrer Extrovertiertheit Seelen-Striptease vollziehen und sich dabei von Millionen beobachten lassen.

In den interessantesten Momenten gelingt Life in a Day tatsächlich ein Einblick in fremde Kulturen und Lebensgewohnheiten, mit einem anderen Umgang der Spiritualität und Religion. Doch die Handhabung dieser Themen entspricht leider auch der heutigen Auffassungsgabe der Menschen, die durch YouTube und Facebook so sehr geprägt wurde: ein Clip darf nicht mehr länger als ein paar Sekunden sein, ein Text nicht mehr länger als ein paar Zeilen – sonst schaltet man ab. Alles muss schneller und kürzer sein, und wie es auch anders sein sollte, befolgt dieser Dokumentarfilm das bewährte Rezept, was es gleichzeitig auch unmöglich macht, einen tieferen Einblick in die Kulturen fremder Länder zu gewähren. Life in a Day bleibt oberflächlich, weil es bei der Unterschiedlichkeit der Videos auch gar nicht anders möglich ist. Was allerdings nicht heißt, dass einige kurze Episoden nicht zu berühren vermögen, wie der alte Mann im Krankenhaus, der voller Dankbarkeit in Tränen ausbricht, oder der Vater, der bei der Geburt seines Kindes ohnmächtig wird. Manch einer fand die Ansammlung von Trivialitäten berührend – aber es sind und bleiben nun mal Trivialitäten. Auch sie machen das Leben aus, vielleicht ergibt sich ein ganzes Leben nur aus Trivialitäten – aber ich kümmere mich lieber um meine eigenen Banalitäten, als 90 Minuten in die von fremden Menschen zu investieren.

Life in a Day ist seit 10. Oktober auf Blu Ray und DVD erhältlich



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