Das Verhör

Das Verhör

(„Garde à vue“ directed by Claude Miller, 1981)

„Eine Frau, die Blumen liebt, tötet man nicht.“

Am Silvesterabend sitzen drei Menschen in einem kleinen Polizeibüro mitten in Paris. Während eine Etage tiefer eine größere Gesellschaft den Ausklang des Jahres zelebriert, sieht Martinaud (Michel Serrault) aus dem Fenster, an dem dicke Regentropfen herunterrennen. Nervös zieht er an seiner Zigarette und beobachtet Inspektor Gallien (Lino Ventura), wie dieser gerade aus seinem Auto steigt, um in strömendem Regen das Gebäude zu betreten, in dem er seit sechs Jahren arbeitet. Es ist 21 Uhr. Noch drei Stunden, ehe das neue Jahr anfängt und eigentlich hat keiner von beiden große Lust, diesen Jahreswechsel in einem Polizeigebäude zu verbringen. Auch nicht Inspektor Belmont (Guy Marchand), der die Aussagen Martinauds niederschreiben wird.

Dieser, der als Notar tätig ist, kennt Gallien bereits. Er ist nicht zum ersten Mal in diesem ungemütlichen Gebäude, denn als Zeuge eines Gewaltverbrechens musste er bereits mehrere Gespräche mit dem Ermittler über sich ergehen lassen. Streng genommen geht es um zwei Morde: zwei kleine Mädchen wurden innerhalb von acht Tagen tot aufgefunden. Beide wurden erwürgt sowie vergewaltigt und der Notar wurde von einem Zeugen zu dem Hauptverdächtigen, der sich nun freiwillig an diesem verregneten Silvesterabend in das Büro des Beamten gesetzt hat, um ihn von seiner Unschuld zu überzeugen. Gallien ist nicht überzeugt. Als er die Akten durchliest, besteht für ihn kein Zweifel. Nur ist er sich auch durchaus bewusst, dass dieses kleine Häufchen Elend von einem Mann, das ihm nun gegenübersitzt, nur schwer ein kaltblütiger Mörder sein kann, der kleine Mädchen vergewaltigt. Die beiden beginnen sich zu unterhalten und erste Konflikte treten auf. Während die Gäste auf der Party dem neuen Jahr entgegenfiebern, kennt der Inspektor nur ein Ziel: den Mörder der beiden Mädchen zu überführen und möglicherweise ist dies der Mann, der ihm in diesem Augenblick gegenübersitzt, ihn anschreit, ehe er seine Selbstsicherheit wiedergewinnt und beginnt, von sich zu erzählen. Es wird eine lange Nacht für alle Beteiligten und ein intensiver, unangenehmer Seelenstriptease.

Ob der Notar tatsächlich auch der Mörder der beiden Mädchen ist, scheint hierbei nie eine große Rolle zu spielen, denn es geht um vieles mehr. Es geht um eine Momentaufnahme im Leben mehrerer Männer, die sich für mehrere Stunden mit dem jeweils anderen auseinandersetzen müssen – aber auch mit sich selbst, denn nicht nur der Notar lässt alle Hüllen fallen, um letztlich als armselige Kreatur eines Mannes dazustehen, für den die Folter des alltäglichen Lebens und der Erniedrigungen schwerer erträglich ist als es das Gefängnisleben wäre. All das wirkt wie eine Mischung aus Georges Simenon und Claude Chabrol. Regisseur Claude Miller wirft einen tiefen Blick hinter die Kulissen der Bourgeoisie, des gut verdienenden, aber letztlich doch kleinen und eher unbedeutenden Mannes, der auf einmal im Rampenlicht steht, so wie die armen Kreaturen in den psychologischen Romanen des belgischen Schriftstellers Simenon. Die Figurenkonstellation des französischen Films ist dabei jedoch nicht derart simpel, wie es auf den ersten Blick erscheinen mag, denn schon bald verschwimmen jegliche Konturen und Grenzen zwischen Gut und Böse, zwischen Freund und Feind, zwischen Polizei und Verbrechern. Fortwährend findet ein Rollentausch statt.

Auf einmal ist es der Notar, der Hauptverdächtige, der den ermittelnden Inspektor über das aufklärt, was in den Akten steht, auf einmal ist es dessen Assistent, der in einem schwachen Augenblick Martinaud zusammenschlägt, weil er sich nicht länger beherrschen kann und auch Inspektor Gallien ertappt sich hin und wieder dabei, in den Trauergesang seines Verhörten einzustimmen und Details aus seinem Privatleben preiszugeben. Auf diese Weise erfährt man nicht nur nahezu alle Einzelheiten aus dem tristen Leben des Hauptverdächtigen, sondern bekommt auch Einblick in das Seelenleben des Inspektors gewährt, sodass dem Zuschauer alle Beteiligten am Ende des anderthalb stündigen Verhörs wie alte Freunde vorkommen, über die man alles zu wissen glaubt, während die drei Männer vor stimmungsvoller Kulisse des nächtlichen und doch hell erleuchteten Paris sich mit zwei Verbrechen beschäftigen müssen.

Diese messerscharfen Dialoge in dem ungemütlichen Raum werden immer wieder durchbrochen von kurzen Erinnerungen der Hauptpersonen. Es sind nicht unbedingt bessere Zeiten, von denen sie in diesen Momenten sprechen, doch es waren friedliche Zeiten, in denen man sich mit seinem Schicksal abgefunden hatte und hoffte, nun endlich in Ruhe leben zu können. Es sind lichtdurchflutete Bilder, elegant, anmutig, voller Wärme und Glanz. Ganz anders als die graue, kalte Realität in diesem Polizeigebäude, in dem der Zuschauer herausfinden muss, was Wahrheit und was Lüge ist.

Je weiter das Verhör fortschreitet, desto komplizierter wird die Entwirrung dieser Geschichte, desto überraschender das Ende, vor dem sich Konflikte unter den Polizisten angestaut haben, weil jeder müde ist und sich langsam niemand mehr für irgendetwas schämt, was er getan hat und freimütig zugibt. Nicht nur der Zuschauer wird mit den Charakteren vertraut, auch die Charaktere des Films selber werden zu engen Bekannten, über die man allerdings noch lange nicht alles weiß – auch, wenn man es zu glauben weiß. Wenn der Notar schweißgebadet auf seinem Stuhl sitzt, kann man sich oft fragen, vor was er eigentlich Angst hat. Vor der Wahrheit? Vor dem Inspektor? Oder vor sich selbst? Am Ende meint man die Antwort zu kennen.

Concorde hat diesen französischen Klassiker aus dem Jahr 1981 nun in Deutschland auf DVD herausgebracht und auch wenn erwähnenswerte Extras fehlen, so überzeugt der Datenträger mit einer vorzüglichen Tonqualität und gestochen scharfen Bildern, die ein Entdecken dieses kleinen, packenden Juwels immer wieder lohnenswert machen.

Das Verhört erscheint am 7. Juli auf Blu Ray und DVD



(Anzeige)

9
von 10