True Grit

True Grit – Vergeltung

(„True Grit“ directed by Joel & Ethan Coen, 2010)

E.F. Kaeding zum Kinobesuch

Ich war sieben oder acht Jahre alt, als ich zum ersten Mal einen Western sah. Es war spät in der Nacht, meine Mutter war längst zu Bett, nur mein Vater und ich schauten John Wayne zu, wie er gemeinsam mit Dean Martin in Rio Bravo (1959) einen Mörder verhaftete. In den Stunden vor der Revanche, während der Bruder des Gefangenen plante, das Gefängnis zu stürmen, sangen Dino, Stumpy und Colorado „My Rifle, My Pony, and Me“, der Duke lauschte und lächelte zufrieden. Der Western der „Klassiker-Ära“ (1940 bis Ende der 60er Jahre) bestach durch diese Atmosphäre der Kameraderie, der Wärme zwischen den Schauspieler und ihren Figuren.

Seit dem „Rio Bravo“-Erlebnis zählt der Cowboyfilm zu meinem Lieblingsgenre. Ich schaue Western wie andere ein Bier trinken, ein Glas Wein oder eine Zigarre rauchen: als Entspannung, Erholung, sie sind wie Weihnachten im Kreis der Familie. True Grit, das erste Genrewerk der Coen-Brüder, gehört nicht in diese Kategorie. Es ist ein sehr guter Film, besetzt mit herausragenden Schauspielern und nicht zu unrecht für zehn Academy Awards Nominiert. Als Western aber taugt „True Grit“ nur für die Kategorie Bester Kostümfilm.

Die Story ist wie es sich für die Gattung gehört einfach und spannend: die vierzehnjährige Mattie (Hailee Steinfeld) heuert  den versoffenen US-Marshal Reuben „Rooster“ Cogburn (Jeff Bridges) an, um Tom Chaney (Josh Brolin), den Mörder ihres Vaters, zu fangen. Auf dem Weg schließt sich ihnen ein Texas Ranger (Matt Damon) an.

Bereits in ihren vorangegangenen Filmen überzeugten die Coens durch eine beeindruckende Detailversessenheit und True Grit ist keine Ausnahme. Der Film ist eine authentische Darstellung des Lebens im US-Westen des ausgehenden 18. Jahrhunderts. Eine Art „Deadwood“ in kristallklarem Cinemascope. Jede Aufnahme fesselt, als schaue man durch das blank polierte Fenster eines Museums.

In den Mündern der Menschen prangern statt weißen Colgate-Zähnen braune Stumpen, so schief und modrig wie keltische Steinkreise. Alte Großmütter fristen ihre letzten Tage in der Fremdenpension. Und ein Reisender greift sich die von Geiern zerpickte Leiche vom Wegesrand weg, ohne wirklich zu wissen wieso, doch irgendeinen Wert wird sie schon aufweisen, vielleicht später, vielleicht nie, sicher ist nur, man kann sie immer gegen etwas eintauschen. Im Kampf ums Überleben ist alles von Nützen. Die Coens haben ihre Geschichtshausaufgaben gemacht.

Der Film ist daher am stärksten, wenn er das raue und oft zu kurze Leben der Frontierzeit aufdeckt. Finger werden so unvermittelt abgehakt wie Kollegen niedergestochen werden; eine Verfolgungsjagd sind keine galoppierenden Pferde, sondern ein langsames Schlurfen über die Weiten der Prärie. Mit einem Knall, der beim Zuschauer bis ins Rückenmark nachhallt, wird jemanden aus kürzester Entfernung der Kopf zerschossen, andere sacken in der Ferne für immer in sich zusammen, geräuschlos getroffen und nur als Strich in der kargen Einsamkeit des Landes zu sehen.

True Grit geht ohne Frage an die Nieren. Das Grauen bricht so Eindringlich über den Zuschauer hinein, weil die Coens verstanden haben, dass man es nicht als Höhepunkt des Moments inszeniert: So zwangsläufig der Tot in diesen Zeiten über jemand kam, so beiläufig war er auch. Die letzte Bitte eines Sterbende heißt: Lasst mich hier nicht liegen, ich will nicht von den Wölfen zerrissen werden, begrabt mich. Doch das Dreiergespann reiten fort, den Toten im Rücken und auf der Hausveranda abgestellt, vom Winterfrost bereits steif gefroren: „Wenn er sich ein Begräbnis wünscht,“ brummt Rooster auf Matties Flehen hin in die kalte Waldluft, „hätte er sich im Sommer erschießen lassen sollen.“

Wie die spanische Fußballmannschaft Real Madrid, ist auch True Grit hochklassig besetzt und spielt auf höchstem Niveau. Jeff Bridges sagt mit seinem einem funktionierenden Auge mehr, als sein Charakter je mit Worten ausdrücken könnte, betrunken oder nüchtern. Nicht für den versoffenen Country-Sanger in Crazy Heart, sondern für Rooster Cogburn hätte er den Oscar verdient gehabt. Matt Damon hält in der Figur des schnauzbärtigen Texas Rangers gekonnt die Waage zwischen gespielter Arroganz und unfreiwilliger Witzfigur. Josh Brolin kaut uns seine Dialoge mit kaputten Zähnen vor und Hailee Steinfeld übertrifft alle Erwartungen. Der Film ist so gut bis in die kleinste Nebenrolle besetzt, dass man davon überzeugt ist, sogar die Pferde, in diesem Fall Matties Pony Little Blackie, hätte einem deutschen Heimatfilm wie „Die Mädels vom Immenhof“ zu internationalem Durchbruch verhelfen können.

Doch bei aller Makellosigkeit: Was Real Madrid abgeht, und was auch True Grit vermissen lässt, ist eine Seele. Bei viel Geld, Können und Steven Spielberg als Produzent, kann das Herz auf der Strecke bleiben. Und das Herz eines jeden Western ist das Zwischenmenschliche, das Miteinander der Figuren. Zwar lassen auch die Coens wie die großen Genre-Regisseure Hawks, Ford, Anthony Mann, John Sturges und Henry Hathaway, Raum für selbstironische Zwischentöne und liebevolle Typencharakterisierung. Doch im Gegensatz zu John Wayne, James Stewart oder Henry Fonda, spielen ihre Schauspieler aneinander vorbei.

Nun ist True Grit kein Rio Bravo, Freundschaft ist hier fehl am Platz. Rooster Cogburn, LaBoeuf und Mattie Ross, obwohl miteinander Verbunden, leben und kämpfen jeder für die eigene Sache. Doch die Position der Figuren muss nicht zwangsweise zu einer monolithischen Darbietung der Schauspieler untereinander führen. Deutlich wird das in den wenigen Szenen zwischen Hailee Steinfeld und dem seit Jahren großartig spielenden Berry Pepper.

Neben Schwergewichtlern wie Bridges, Damon und Brolin, gelingt es ausschließlich diesen beiden, die Aura von Ford und Hawks heraufzubeschwören. Jene Wärme und magische Momente, die einen immer wieder zurückkommen lassen zu My Darling Clementine (1946), The Searchers (1956) oder The Man Who Shot Liberty Vallance (1962).

Joel und Ethan Coen erklärten auf der Berlinale, dass sie eigentlich gar nicht vorhatten, einen Western zu drehen. Sie wollten vor allem das gleichnamige Buch von Charles Portis von 1968 adaptierten. Dass es eine Westerngeschichte ist, war für sie nur ein Zufall. Vielleicht ist True Grit deshalb ein famoser Kostümfilm geworden und nur ein mittelmäßiger Western.

Vielleicht aber ist es auch so, dass jede  Generation den Western bekommt, der ihr am besten zu Gesicht steht. Die harmoniebedürftige Nachkriegszeit der 1940er und 50er Jahre brachte die Western-Klassiker hervor; Sam Peckinpah servierte den ausgebrannten Hippie-Revoluzzern als Katerfrühstück sein desillusioniertes Meisterwerk Pat Garrett & Billy the Kid (Turner Version), und für die Wohlstandkinder der 1980er und Hedonisten der 90er Jahre blieb das ausufernden Indianerepos Der mit dem Wolf tanzt (1990). Das neue Jahrtausend bringt Terror, Angst und existentielle Unsicherheit zurück. Ein gnadenloser Frontier-Film wie „True Grit“ steht uns da wohl gut zu Gesicht.

Lorenz Mutschlechner zum Disc-Release

Der Kinobesuch Anfang dieses Jahres war für mich irgendwo enttäuschend. Zwar konnten mich die Coen-Brüder abermals gut bis sehr unterhalten, doch unterm Strich kam es mir so vor als ob ich eine aufgefrischte Version des Klassikers mit John Wayne sehen würde. Der im Vorfeld durch die Medien ausgelöste Hype entfesselte natürlich jede Menge Euphorie und es gelang mir wohl nicht ganz ohne einer gewissen Erwartungshaltung ins Kino zu gehen. Nun wo True Grit bald für den Home Entertainment-Bereich erscheint konnte ich den Streifen nochmals als Blu Ray über den heimischen Bildschirm, ganz ohne Vorurteile und in aller Ruhe, genießen.

Es ändert sich wenig an der Tatsache, dass ich den Film für ein besseres Remake halte, doch diesmal fiel es mir wesentlich leichter nicht ständig irgendwelche Vergleiche mit dem Vorgänger zu machen weshalb ich die wirklich hervorragend besetzten Charaktere konzentrierter betrachten konnte. Sie sind, wie eigentlich in jedem Werk der Coen-Brüder, die wahre Stärke des Films. Selbst die scheinbar kleinen Rollen wie die von Lucky Ned – einfach herrlich wie Barry Pepper mit seinen schiefen und dreckigen Zähnen in die Kamera spuckt wenn er wütend nach Marshall Cogburn schreit – wurden ideal besetzt und füllen ihren kurzen Auftritt optimal aus. Die junge Hailee Steinfeld beeindruckt mit einer absolut grandiosen Leistung und stellt im Gegensatz zur Kim Darby aus der 69-Verfilmung nochmals eine deutlich emanzipiertere und stärkere Frau dar.

Bei einem optisch und akustisch so grandios inszenierten Film wie es True Grit nun Mal ist, sollte das Disc-Release besser nicht enttäuschen. Das Menü ist schlicht aber dafür funktional und wenn dann erst mal Jeff Bridges in Full HD und mit kristallklarem Ton durch die Prärie reiten sieht vergisst man auch schnell, dass die beiliegenden Extras kaum Mehrwert haben. Interessant ist übrigens, dass man beim Kauf der BD nicht nur das Recht auf eine Digital Copy hat sondern auch eine DVD in der Packung wiederfindet. Wer also den Wechsel zu Blu Ray plant, derzeit aber noch mit DVD-Player unterwegs ist kann hier sofort zuschlagen.

True Grit erscheint am 30. Juni auf Blu Ray und DVD



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