Harry Brown

Harry Brown

(“Harry Brown” directed by Daniel Barber, 2009)

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Harry Brown (Michael Caine) hat nur noch zwei Menschen, die ihm wirklich etwas bedeuten. Zum einen, seine im Sterben liegende Frau und zum anderen seinen alten Kumpel Lenn (David Bradley). Als seine Frau verstirbt, sucht er den Trost bei seinem alten Freund, doch der hat eigene Sorgen. In dem Wohngebiet der alten Freunde treiben Jugendliche ihr Unwesen, die vor rein gar nichts zurückschrecken, ob Drogen, Vergewaltigung oder Mord, sie kennen keine Skrupel. Selbst die Polizei ist machtlos und so schreitet, der von der Bande lange gequälte Lenn zur Selbstjustiz und wird, bei diesem Versuch der Rache eiskalt ermordet.

Harry, der zunächst trauert, beschließt dieses Gefühl vorerst zur Seite zu drängen und sinnt stattdessen auf Rache. Seine, als ehemaliger Royal Marine erlernten Fähigkeiten, kommen ihm wie gerufen dabei, wieder Ruhe in das Viertel zu bringen, sowie seinen alten Freund zu rächen. Zwar ist Harry körperlich nicht mehr so flink wie er einmal war, doch für unehrenhafte, hochnäsige Rotzlöffel und dahergelaufene Junkies reicht es alle mal. Somit nimmt der Rachefeldzug seinen düsteren, blutigen Lauf…

In gleichem Dress, wie in den Diensten Batmans und ähnlicher Intension desselben schreitet Michael Caine in diesem Film über die Grenzen der Legalität hinweg und das mit beeindruckender Tiefe. Er schafft es, den etwas lasch klingenden, Titelgebenden Mann, Harry Brown, mit gehörig Leben und Emotionen zu füllen. Es ist auch keine Seltenheit, dass einem die, häufig  überflüssig wirkenden, „Randdarsteller“ auf den Senkel gehen.

Die Spannung wird durchgängig aufrechterhalten und entartet schließlich in einem wahren Straßenkrieg, indem Michael „Cool“ Caine das Zünglein an der Waage ist. Nicht zuletzt sorgen die wirren, dunklen Farben für zusätzliches Unbehagen beim Zuschauer und zwar immer dann, wenn der Grad der Gewalt zunimmt. Die Aussagen und Taten der Jugendlichen werden für viele Zuschauer befremdlich wirken, sind aber leider heutzutage Teil des alltäglichen Lebens und dienen hier als Mahnmal für Gesellschaft, Justiz und Politik. Die Storyline an sich wird geradlinig und zielstrebig erzählt, schafft es bei Laune zu halten und Sympathie und Antipathie des mitgerissenen Zuschauers gerecht auf die Charaktere zu verteilen.

Die DVD verfügt über ein wohl sortiertes Menü, in dem man sich zwischen „Film abspielen“, „Sprache“ und „Extras“ entscheiden kann. Der letzte Unterpunkt bietet einen Einblick in „gelöschte Szenen“, „Interviews“ ein „Making of“, sowie eine kleine Trailershow. Selbstverständlich kann man sich zwischen Originalton und deutscher Synchronisation entscheiden. Letztere ist hierbei ganz gut gelungen und fällt nicht negativ auf.

Fazit: Als ich das Cover der DVD und somit den schwer gealterten Michael Caine mit einem Revolver in der Hand betrachten durfte, war ich etwas skeptisch und nicht sicher ob er überhaupt noch jemanden treffen würde. Dieser Zweifel verflog allerdings sehr rasch, nachdem allein die schauspielerische Leistung Caines für ständige Aufmerksamkeit sorgte und er von mir aus überhaupt keine Waffe mehr hätte benutzen müssen, um sich Respekt bei mir zu verschaffen, denn auch so hat er mich, zumindest auf der Gefühlsebene, getroffen.

Kurz gesagt, ich bin begeistert von der Glaubwürdigkeit Caines, von der brisanten Geschichte und der Bedrohlichkeit, die von diesem Film ausgeht. Geliehen oder gekauft, für mich auf jeden Fall ein Must see!

Stephan Eicke

“It’s not Northern Ireland Harry.

Harry BrownNo it’s not. Those people were fighting for something; for a cause. To them out there, this is just entertainment.“

Michael Caine hat viele schlechte Filme gedreht. Das mag zu einem großen Teil daran liegen, dass er zumindest in vergangenen Jahren viele Rollenangebote nach dem Kriterium ausgesucht hat, an welchem Drehort diese entstehen. An Orten, an denen die Schauspiellegende noch nicht gewesen ist lag für Caine immer der größte Reiz und so schlug er auch bei zweit- bis drittklassigen Filmen wie On Deadly Ground (Alaska), Silber, Banken und Ganoven (Marokko, Schweiz etc.) oder Der weiße Hai 4 (Bahamas) zu.

Im Prinzip hat auch die Auswahl von Harry Brown etwas mit dem Drehort zu tun, denn Michael Caine lebte einst in der Gegend, in der seine filmische Figur Harry Brown zuhause ist. Es ist wahrlich keine schöne Gegend. Wenn man aus dem Fenster der kleinen Wohnungen schaut, sieht man sowohl tags- als auch nachtsüber Fixer, Schläger und Zuhälter, die aus reiner Freude und Zeitvertreib wehrlose Passanten terrorisieren und erschießen. Es ist eine Gegend, in der sich niemand wohl fühlt und Harry Brown schon gar nicht. Der Pensionär hat gerade seine Frau verloren und der einzige Freund, der ihm noch bleibt ist Leonard (David Bradley), mit dem er seit Ewigkeiten Schach spielt und so seinen tristen Alltag ausfüllt. Abgesehen von dieser Tätigkeit hat Harry nichts mehr, auf das er sich freuen kann, doch er spürt auch die Angst, die Leonard quält, denn sein Freund wird bereits seit einiger Zeit von einer Jugendgang terrorisiert, was darin gipfelt, das fast seine ganze Wohnung in Brand gesteckt wird.

Der Schock trifft Harry hart, als er erfährt, dass Leonard noch in derselben Nacht tot aufgefunden wird – ermordet mit seinem eigenen Dolch, den er zur Verteidigung bei sich trug. Die Polizei – angeführt von D.I. Alice Frampton (Emily Mortimer) – ermittelt zwar in diesem Fall, erweist sich jedoch als machtlos, da Beweise gegen die verdächtige Jugendbande nicht vorhanden sind. Als Frampton Brown diese Nachricht überbringt, beginnt der Rentner, selber tätig zu werden und den Mord an seinem Freund zu rächen. Bei Drogendealern besorgt er sich eine Waffe und macht sich auf den einsamen, kalten Kampf des Harry Brown gegen den Abschaum Londons…

Harry Brown ist der Rachefeldzug eines alten Mannes, wie es Michael Winners Death Wish mit Charles Bronson oder Gran Torino mit Clint Eastwood ist. Viele Kritiker haben diesen Filmen die bedenkliche Botschaft, Gewalt mit Gewalt zu bekämpfen vorgeworfen. Das trifft zwar auf Gran Torino noch weniger zu als auf Harry Brown, doch zeigt auch letztgenanntes Werk, dass derartige Kritiker den Film nicht verstanden haben, wenn man ihm diesen Vorwurf macht. Denn Harry Brown“streckt nicht die rechte Hand zum Kampf oder hält ein Plakat für mehr Selbstjustiz hoch, denn diese Methode kann im Endeffekt nicht funktionieren, das ist allen Beteiligten, auch den Zuschauern klar. Vielmehr ist dieser Streifen ein zutiefst pessimistischer Blick in die Abgründe der menschlichen Zivilisation, ein Porträt über Brutalität und sinnlose Gewalt, der weder mit Gewalt, noch mit Polizeiaktionen beizukommen ist, bis das Werk ein aufgesetztes und inkonsequentes Ende findet.

Bis dahin gewährt einem Regisseur Daniel Barber einen äußerst unangenehmen und intensiven Einblick in den Schmutz Londons. Am stärksten macht dies wohl die Szene deutlich, in welcher ein grandios aufspielender Michael Caine seine Waffe bei zwei Drogendealern erwirbt. Der Weg führt durch einen zugemüllten Raum, der Zuschauer kann den Gestank fast riechen. Marihuana-Pflanzen, ein weiterer Raum, abgedunkelt, diffuses Licht. In einem Fernseher läuft ein selbstgedrehter Amateurporno, auf einer versifften Couch in der Ecke liegt eine Frau. Es ist die Hauptdarstellerin des Erotikfilms, in ihrem Arm eine lange Nadel. Sie ist nicht ansprechbar. Vor den Augen Browns setzt sich der eine Dealer den nächsten Schuss, der andere schnupft Kokain, ehe sie ihn mit einer Pistole bedrohen.

Eine bedrohliche Szene, quälend gestreckt, wie sie Brown empfindet, der dieser unerträglichen Atmosphäre, dick wie der Rauch eines Joints, zu entfliehen versucht. Man gewinnt schließlich sogar den Eindruck, der Film prangere die Machtlosigkeit der Polizei an, denn diese wird metaphorisch dargestellt von einer weinerlichen Polizeibeamtin, die zu jeder Zeit in Tränen auszubrechen droht, was anfangs als geeignete Personifikation hervorragend funktioniert, schnell jedoch ins Unglaubwürdige abdriftet und regelrecht enerviert. Wie kann es eine Frau, die derart nah ans Wasser gebaut ist, es bis in diese Position geschafft haben?

Abgesehen von dieser unglaubwürdigen Figur wurde auch Michael Caines Wandlung vom wegschauenden Feigling zum tatkräftigen Mörder oft negativ erwähnt, wobei diese Darstellung nicht zuletzt aufgrund von Caines überzeugenden Schauspiels keineswegs das Hauptproblem dieses Werks ist. Am meisten störend ist wohl, dass sich das Drehbuch bis zuletzt weigert, eindeutig Stellung zu beziehen. So mäandert Harry Brown von der Anklage an die Ohnmacht der Polizei zum Verharmloser  von Selbstjustiz, bis sich das Blatt wieder wendet und der Zuschauer vor einem konstruierten Ende steht, das ihn ein wenig ratlos zurücklassen wird.

Es ruiniert den Film nicht. Man mag von der Wandlung der Hauptperson halten, was man für angebracht hält, Michael Caines Darstellung ist hervorragend und überzeugend. Auch die Stilmittel, die Regisseur Daniel Barber hier anwendet, sind gelungen. So besteht die Anfangssequenz aus zusammengeschnittenen Handyvideos, wie sie jede Privatperson von Zeit zu Zeit in Form von schockierend brutalen Pausenhofvideos in Nachrichtensendungen zu sehen bekommt. Auch die Einsamkeit des Rentners wird in nur kurzer Zeit – zwar mit einfachen, aber äußerst effektiven Mitteln – vermittelt. Der Einblick in das Leben von Mitgliedern in Jugendgangs ist intensiv und schockierend, teils vielleicht allzu plakativ, nichtsdestotrotz jedoch realistisch und packend. Ein brutaler Film, der mit mehr Mut zu einem befriedigenden Finale vollkommen hätte überzeugen können. So bleibt dennoch auf der Haben-Seite zumindest kurzweilige, teils drastische und nicht uninteressante Unterhaltung, die empfohlen werden kann.




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8
von 10