
Sozialistische Republik Slowenien, 1970er Jahre, irgendwo auf dem Land in der nordöstlichen Region Prekmurje: Die bisher sorglose Kindheit der zehnjährigen Ida (Lana Marić) bekommt langsam spürbare Risse. Ihre Eltern Ivana (Judita Franković Brdar) und Stanko (Matej Puc) bekommen sich immer öfter in die Haare, das Familienglück scheint nur noch auf der Oberfläche zu funktionieren, und Idas wichtigste Bezugsperson, ihre Oma (Milena Stropnik), zeigt zunehmende Gebrechlichkeit, bis sie auf dem Feld zusammenbricht. Nur mit Ida im Schlepptau, die sofort das Schlimmste befürchtet, scheint das Schicksal der Großmutter besiegelt zu sein – doch dann ertönt ein lieblicher Gesang aus der Richtung des naheliegenden Friedhofs, der sie zum Aufwachen bringt. Dazu angespornt, den Tod ihrer Oma stets abwenden zu können, möchte Ida dem Schulchor beitreten, um das Lied zu lernen. Das Problem dabei: Sie ist leider nicht mit großem Gesangstalent gesegnet worden.
Stilles Mädchen, lautes Innenleben
Mit ihrer Weisheit und Sänfte ist Idas Großmutter verständlicherweise der Anker in einem Leben, das ständig turbulenter wird: Die in der Dorfgemeinschaft im Privaten ausgelebte Religiösität ist im sozialistischen Slowenien ungern gesehen, die Klassenlehrerin wirkt aufgrund ihrer Bosheit vollkommen ungeeignet für den Job, der Vater entfremdet sich immer mehr von der Mutter und geht sogar fremd, innerhalb der Klasse gibt es „nur“ Terezka (Liza Muršič) als sehr gute Freundin, und ob Ida jemals einen geraden Ton aus sich herausbringt, steht in den Sternen. Umso schwerer wiegt es, als die Oma krank wird, die Familie auseinanderbricht, und der sommerliche Aufenthalt bei der Familie mütterlicherseits in Serbien zum Epitom der Einsamkeit wird.
Egal in welchem Jahrzehnt oder in welchem sozialen Gefüge, können solche Geschehnisse bei sensiblen Kindern dazu führen, sich zu verschließen, weswegen Ida Who Sang So Badly Even the Dead Rose Up and Joined Her in Song der slowenischen Regisseurin Ester Ivakič sich äußerst zugänglich, mitfühlend und nachvollziehbar entfaltet. Die Darstellung einer in sich gekehrten, dafür innerlich nochmal lebendigeren, kreativeren Außenseiterin seitens Lana Marić ist beeindruckend und fesselnd, die großen, ausdrucksstarken braunen Augen der jungen Schauspielerin sprühen vor Leben, ermatten gleichzeitig ob der Steine, die einer glücklichen Kindheit in den Weg geworfen werden, und blicken oftmals desillusioniert ins Leere. Statt jedoch aufzugeben und sich komplett vor der Welt zu verstecken, gibt es einen Hoffnungsschimmer, der Ida antreibt: Die Mission, ihre Oma zu beschützen, komme, was wolle.
Verschwimmende Grenzen zwischen Welten
Trotz ihrer kargen, als seltsam perzipierten Art ist Ida bereits in ihrem Alter ein pflichtbewusstes, gütiges Kind, und möchte das Unmögliche überwinden, damit die Großmutter den Tod überwindet – ein Kampf gegen Windmühlen, der einiges an Willensstärke abverlangt, die man erstmal überhaupt besitzen muss. Allerdings auch ein Zeichen ihrer Gutwilligkeit, ihrer Verletzlichkeit und ihres vielfältigen Innenlebens, das nur durch die repressive Umgebung gebremst wird. So schön ihre Imagination, so atemberaubend sind auch Kameraarbeit und Mise-en-Scène in Ester Ivakičs erstem Langfilm: Der Vibe der 1970er wird in stylischen Klamotten eingefangen, die bergig-bewaldete slowenische Natur zeigt sich prächtig und mannigfaltig, die sich durchziehende Melancholie mündet in einem ansehnlichen Blauton, der nichts von der entsättigten Kälte aktueller, von Digitalität bestimmten Produktionen besitzt. Diese Komponenten zusammen werfen die Frage auf, ob man sich noch in der Realität befindet, oder in einer Art Limbo zwischen dem Totenreich und der Welt der Lebendigen.
Ida Who Sang So Badly Even the Dead Rose Up and Joined Her in Song hat nicht nur einen langen Titel, der mittlerweile zum Qualitätsmerkmal wird, was experimentellere osteuropäische Produktionen angeht (siehe At the Door of the House Who Will Come Knocking aus Bosnien oder Accidental Luxuriance of the Translucent Watery Rebus aus Kroatien), sondern führt einen im derzeitigen Festivalkino fest verankerten Trend fort, der nur allzu begrüßenswert ist: Magisch-realistisch wird die Rückkehr zum Leben weg vom technokratischen Zeitgeist, ohne Technologie-Dominanz, vollführt, hin zum Ruralen, Surrealen, Obskuren, Introvertierten, Folkloristischen. Gelungener hätte dieser anspruchsvolle, zarte Film nur werden können, wäre die Beziehung zwischen Ida und Großmutter umfassender erklärt worden, und wären die einzelnen Erzählstränge, die auf der Kurzgeschichtensammlung „Neither Voice“ von Suzana Tratnik basieren, stringenter miteinander verwoben.
OT: „Ida, ki je pela tako grdo, da so še mrtvi vstali od mrtvih in zapeli z njo“
Land: Slowenien, Kroatien
Jahr: 2025
Regie: Ester Ivakič
Drehbuch: Nika Jurman, Ester Ivakič
Vorlage: Suzana Tratnik
Musik: Alenja Pivko Kneževič, Simon Penšek
Kamera: Rok Kajzer Nagode
Besetzung: Lana Marić, Liza Muršič, Milena Stropnik, Judita Franković Brdar, Matej Puc
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