Holy Meat
© Matthias Reisser

Holy Meat

Holy Meat
„Holy Meat“ // Deutschland-Start: 1. Januar 2026 (Kino)

Inhalt / Kritik

Winteringen, ein Ort in der schwäbischen Provinz, aus dem sich der Alltag langsam zurückzieht: Der Supermarkt ist verschwunden, geblieben sind eine Metzgerei und eine katholische Kirchengemeinde kurz vor dem Aus. Hierher wird der dänische Pfarrer Oskar Iversen (Jens Albinus) versetzt, ein Mann mit undurchsichtiger Vergangenheit und dem klaren Auftrag, die Gemeinde zu retten. Mit fragwürdigen Methoden versucht er, Spenden zu akquirieren, unter anderem im nahegelegenen Pflegeheim, wo er todkranke Senioren zur Überschreibung ihres Erbes bewegen will. Gleichzeitig plant er ein Passionsspiel, das neues Publikum in die Kirche locken soll. Dafür holt er den in Berlin gescheiterten Theaterregisseur Roberto Dalon (Pit Bukowski) nach Winteringen. Parallel dazu gerät Mia Abele (Homa Faghiri) in den Sog der Ereignisse: Eigentlich hatte sie Winteringen längst verlassen, doch durch ein Erbe – das nicht ihr sondern der Kirchengemeinde zufällt – kehrt sie zurück, muss sich um ihre Schwester Merle (Amelie Gerdes) mit Down-Syndrom und die Metzgerei der verstorbenen Mutter kümmern. Um doch noch an das Geld zu gelangen, versucht Mia, das Passionsspiel gezielt in eine andere Richtung zu lenken. Was als kirchliches Erbauungsprojekt beginnt, endet in einem blasphemischen, rauschhaften Spektakel.

Erzählerisches Triptychon

Mit Holy Meat legt Alison Kuhn ihr fiktionales Langfilmdebüt vor. Nach dem vielfach ausgezeichneten Dokumentarfilm The Case You – Ein Fall von vielen und mehreren Kurzfilmen und Serienarbeiten wendet sie sich nun dem Kino zu – und wählt dafür die Form der düsteren Komödie, die immer wieder ins Absurde kippt. Erzählt wird nicht linear, sondern aus drei Perspektiven: jener des Pfarrers, der Rückkehrerin und des Regisseurs. Kuhn selbst spricht von einem Triptychon, und tatsächlich fügen sich die einzelnen Blickwinkel erst allmählich zu einem Gesamtbild zusammen. Diese Struktur erlaubt es dem Film, ein und dieselbe Situation unterschiedlich zu färben und moralisch neu zu gewichten – ein erzählerisches Spiel, das den Zuschauer zur aktiven Einordnung zwingt.

Alle drei Hauptfiguren eint das Scheitern: Iversen flieht aus Dänemark, Dalon aus der Berliner Theaterszene, Mia aus einem Leben, das in der Großstadt nicht aufgegangen ist. Winteringen wird so zur Projektionsfläche für zweite Chancen, ohne jemals als idyllischer Ort verklärt zu werden. Die Sympathien verschieben sich dabei mit jeder Perspektive. Besonders Pfarrer Iversen bleibt eine sperrige Figur, da seine Motive verborgen und seine Mittel moralisch zweifelhaft sind. Gerade diese Uneindeutigkeit aber verleiht dem Film Spannung. Bemerkenswert ist zudem die Sorgfalt, mit der Kuhn ihre Nebenfiguren ausstattet: Messdiener Niklas (Jeremias Meyer) oder Küsterin Nadine (Lou Strenger) erhalten kleine, präzise gezeichnete Hintergründe, die den Mikrokosmos der Gemeinde lebendig machen – manchmal lebendiger als die Hauptfiguren selbst.

Ideen- und Themenvielfalt

Kirchenkritik ist in Holy Meat allgegenwärtig, aber nie platt. Die katholische Kirche erscheint als Institution der Erstarrung, vertraut mit moralischer Rhetorik, aber wenig geübt in Mitgefühl. Kuhns eigener Hintergrund an einer Klosterschule scheint hier durch, ohne in Abrechnung zu kippen. Darüber hinaus streift der Film eine Vielzahl weiterer Themen: Inklusion, Einsamkeit, Stadt-Land-Gegensätze, den Vorwurf des Ableismus im Kulturbetrieb und nicht zuletzt die Frage, ob Theater heute überhaupt noch provozieren kann – oder ob es sich längst in selbstreferenzieller Abgehobenheit eingerichtet hat. All das schwingt mit, oft en passant, manchmal zugespitzt, nie vollständig auserzählt.

Alison Kuhn hat viele Ideen – vielleicht zu viele. Holy Meat wirkt stellenweise überladen, als wolle der Film jede gedankliche Volte, jeden satirischen Einfall unbedingt unterbringen. Paradoxerweise gibt es in der fast zweistündigen Laufzeit dennoch Momente des Leerlaufs, in denen man sich ein strafferes Voranschreiten zum seit dem Prolog bekannten Ende wünscht. Doch diese Schwächen wiegen leicht gegenüber den Qualitäten des Films. Die grotesk übersteigerte Inszenierung des Passionsspiels gehört zu den komischsten Sequenzen des jüngeren deutschen Kinos. Holy Meat ist ein eigenwilliger, unruhiger, aber hoch unterhaltsamer Film, der sich deutlich von der hiesigen Kinolandschaft absetzt. Alison Kuhn erweist sich damit als eine der interessantesten Stimmen des deutschen Films – und man darf auf ihre nächsten Arbeiten gespannt sein.

Credits

OT: „Holy Meat“
Land: Deutschland
Jahr: 2025
Regie: Alison Kuhn
Buch: Alison Kuhn
Musik: Christian Dellacher
Kamera: Matthias Reisser
Besetzung: Pit Bukowski, Homa Faghiri, Jens Albinus, Lou Strenger, Jeremias Meyer, Amelie Gerdes, Hiltrud Hauschke, Bärbel Schwarz, Roberto Martinez, Milo Lee Kadner, Christian Pätzold, Lars Brygmann, Christopher Læssø

Bilder

Trailer

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Holy Meat
fazit
Alison Kuhns fiktionales Debüt “Holy Meat” ist eine mutige, düstere Groteske über Kirche und Scheitern. Trotz erzählerischer Überladung überzeugt das Werk durch seine unkonventionelle Triptychon-Struktur und den Hang zum Absurden. Ein eigenwilliger, erfrischender Beitrag zum deutschen Kino, der Kuhn als eine der spannendsten neuen Stimmen etabliert.
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