Die Aufarbeitung der Geschichte einer Nation ist eng verbunden mit der Erinnerung, die wir mit bestimmten Orten verbinden. Dabei geht es nicht allein um Museen, die Gegenstände und Bilder mit einer entsprechenden Bedeutung für die Geschichte ausstellen, sondern um jene Orte, an denen uns die Verbindung zu einem bestimmten Ereignis überdeutlich bewusst wird. Im Kino sind Orte und Landschaften darüber hinaus emotional aufgeladen – man denke etwa an die weiten Prärien im Western. Ein Gefängnis steht dabei zum einen für Bestrafung und Sühne, zugleich aber auch für gesellschaftliche oder politische Strukturen. Interessant wird es, wenn genau diese Räume und Orte zu einem Aspekt eines national-kulturellen Narrativs werden oder eine bestimmte Perspektive auf ein Ereignis favorisieren. Gerade bei diesen Orten ist es nötig, genauer hinzuschauen, aufzuarbeiten und die eingangs erwähnte Verbindung zu konkretisieren oder gar zu hinterfragen.
Die Verbindung von Erinnerung und Orten ist eines der Hauptmerkmale des filmischen Schaffens der Dokumentarfilmerin Lee Anne Schmitt. Bereits in ihrem ersten abendfüllenden Dokumentarfilm California Company Town begab sie sich an „Nicht-Orte“ auf die Suche nach deren Geschichte und nach den Gründen für ihr Verschwinden. Die Ruinen ehemaliger Fabrikstädte oder gar sozialer Utopien suchte sie auf, wobei sie eine ruhige, aber bestimmte Warnung formulierte: welche Ruinen Globalisierung, Outsourcing und Automatisierung hinterlassen. Purge This Land geht einen ähnlichen Weg, auch wenn der Fokus stärker auf historisch-politischen Prozessen liegt, insbesondere auf Aspekten wie Sklaverei und Rassentrennung in den USA. Im Zentrum steht der abolitionistische Aktivist Jim Brown und sein Wirken, wobei Schmitt verschiedene für seine Biografie bedeutende Orte aufsucht – ausgehend von einem Zitat Browns, der erklärt, dass die Verbrechen eines schuldigen Landes („guilty land“) wie den USA niemals vergessen werden können.
Kriegsschauplätze
Ein weiteres Zitat Browns, das gleich zu Beginn der Dokumentation gezeigt wird, lautet, dass Sklaverei ein Kriegszustand sei. Harpers Ferry, wo Brown einen bewaffneten Sklavenaufstand starten wollte, oder Charleston, wo einst der größte Sklavenmarkt der USA stattfand, sind nur zwei Beispiele für historisch aufgeladene Orte, die Schmitt in Purge This Land besucht. Mehr noch als in California Company Town hält sich die Regisseurin mit einer Kontextualisierung oder Kommentierung der einzelnen Bilder zurück und lässt stattdessen die Montage für sich sprechen. Die kämpferischen Worte Browns sowie die Erinnerungsplakette an ein Ereignis werden kontrastiert mit Aufnahmen eines heruntergekommenen Viertels. Auf einer Häuserfassade lesen wir den Schriftzug „Obama is a white man. Sorry …“, der verdeutlicht, welch tiefe Spuren die Sklaverei in diesem Land hinterlassen hat. Es braucht mehr als einen Präsidenten wie Barack Obama, um das abzulösen, was über viele Jahrzehnte zuvor bereits Status quo war – nämlich eine Zweiklassengesellschaft, in der die Grenzen zwischen Wohlstand und Armut, Privileg und Ausbeutung klar definiert sind.
Jedoch begegnen wir auch den „Nicht-Orten“ in Purge This Land. In Mississippi und Louisiana filmt Schmitt – untermalt von der nachdenklichen Musik Jee Parkers – die ehemaligen Plantagen und Baumwollfelder. Nichts oder nur sehr wenig erinnert an die Gewalt und das Unrecht, die hier einst vielen Menschen im Namen einer misanthropischen Ideologie widerfuhren. Schmitt erwartet viel von ihrem Publikum, vor allem aber Wissen über diese Zusammenhänge und die Verbindung dieser Orte zur Geschichte der USA. Wie schon California Company Town ist auch Purge This Land in erster Linie eine Geschichtsstunde über die vergessenen oder nebulösen Kapitel eines Landes, das auch heute noch mit deren Aufarbeitung hadert.
OT: „Purge This Land“
Land: USA
Jahr: 2017
Regie: Lee Anna Schmitt
Musik: Jee Parker
Kamera: Lee Anna Schmitt
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