
Die Pastorin Marie (Aïssa Maïga) lebt bereits seit einem Jahrzehnt in Tunesien, ursprünglich stammt sie aus der Republik Côte d’Ivoire. Sie kümmert sich nicht nur um ihre kirchliche Gemeinde, die passioniert die Gottesdienste besucht, sondern nahm auch zwei weitere Frauen aus ihrem Land bei sich zuhause auf, wodurch sie quasi eine WG bilden: die ambitionierte Studentin Jolie (Laetitia Ky) und die partyaffine Naney (Debora Lobe Naney), die flüchten und somit auch ihr Kind in der Heimat zurücklassen musste. Doch bereits mit der ersten Szene von Promised Sky, dem Eröffnungsfilm des Afrikamera 2025, wird das bisher eh schon nicht wirklich einfache Leben der Frauen auf den Kopf gestellt: Sie nehmen die vierjährige Kenza (Estelle Kenza Dogbo) in ihre Obhut, die ihre Eltern beim Fluchtversuch aufgrund Schiffbruches verlor. Ohne Papiere, ohne Legitimation, fällt es dem Haushalt immer schwerer, sich durch das zunehmend anti-Schwarze Klima der tunesischen Bürokratie zu navigieren, während die drei Frauen immer noch ihr jeweils eigenes Leben zu bewältigen haben.
Drei Frauen, drei Schicksale, ein Kind
Wie selbstverständlich erzählt die kleine Kenza beim Baden vom Unglück, das sie mitansehen musste; von Brutalität, von Tod, von abgetrennten Körperteilen. Rührend versuchen Marie, Jolie und Naney sich um sie zu kümmern, doch aufgrund der Illegalität ihres Tuns (trotz der Mithilfe wohlwollender Menschen wie Naneys Bekanntschaft Foued oder ihres Vermieters Ismaël, gespielt von Mohamed Grayaâ), privater Herausforderungen wie Geldnot oder auch durch die Schikane tunesischer Behörden sowie Polizeikräfte werden ihnen enorme Steine in die Wege gelegt, an denen sie zu zerbrechen drohen. Separat, aber doch immer wieder zusammengeführt, begleitet Regisseurin Erige Sehiri (Under the Fig Trees) ihre Charaktere, die wie aus der Realität entnommen scheinen, und erzählt Episoden aus dem Alltag, egal ob es ums Catcalling geht, wenn Jolie und Naney nach dem Feiern durch die Straßen ziehen, oder um den grassierenden Rassismus, der auch in der arabischen Community gegenüber Schwarzen Menschen vorhanden ist.
Vor allem in der ersten Filmhälfte muss man sich stark treiben lassen und fehlende Zusammenhänge beiseiteschieben können, um nicht vollständig den Fokus zwischen den Lebensepisoden der Frauen zu verlieren; ohne großartige Erklärungen wird man in verschiedene, rapide mit harten Schnitten aneinandergesetzte Szenen hineingeworfen und gerät so in Gefahr, leicht zu dissoziieren. Im weiteren Verlauf ergibt das Erlebte immer mehr Sinn, doch bis zu dem Punkt ist es schade, da das Interesse trotz der starken Schauspielleistungen und der berührenden Einzelschicksale verloren gehen kann. Auch optisch macht Promised Sky einiges her, vordergründig stechen die satten, kontrastreichen Blautöne heraus, doch auch hier, wie bei so vielen anderen aktuellen Arthouse-Festivalproduktionen, dürfen klischeehafte Strobo-Einlagen zu unpassender Musik während melancholisch-durchtanzter Clubnächte nicht fehlen.
Niedergeschmetterte Hoffnungen
Es ist bemerkbar, dass Erige Sehiris Stil sowohl optisch als auch narrativ nicht vollends ausgereift ist, doch die Authentizität sowie die Schwere des Gezeigten erhöhen den Sympathiegrad des Films um ein Vielfaches. Gerade die Schauspielerin hinter Naney, die hier ihr Schauspieldebut gibt, überzeugt mit einer nuancierten, leidenschaftlichen Leistung, die deutlich eine innere Zerrissenheit des Charakters, aber auch eine starke Fürsorge fürs Umfeld, widerspiegelt. Mit am interessantesten ist hierbei eine Szene mit einem geliehenen E-Scooter, den Foued ihr zum Geburtstag besorgt – der wohl (zumindest kurzzeitig) herzerwärmendste Moment, den ein E-Scooter je hatte. Trotz handwerklicher Schwächen sind es eben jene Stellen, die Promised Sky zu einem sehenswerten Erlebnis aufschwingen lassen – die Hoffnungsschimmer, für die jede der drei charakterisierten Frauen weiterkämpft, selbst wenn sie genauso schnell abbrechen, wie sie aufgeflammt sind.
Aus Hoffnung wird bald Niedergang, aus Enthusiasmus Melancholie. Schwerwiegende, herzzerreißende Entscheidungen müssen getroffen werden, denn das Leben in Tunis kann unerbittlich sein. Polizeiliche Willkür, medial verbreiteter Rassismus (auch in Tunesien gibt es das durch Donald Trump leider berühmt gewordene Klischee, dass Schwarze Menschen Haustiere essen würden) und der oftmals nur wenig Ertrag bringende Alltag führen zu traumatischen Erlebnissen, zu wiederkehrendem Leid. Die Wichtigkeit des Films liegt darin, diese Problematiken dem Publikum näherzubringen, wodurch viel gelernt werden kann. Wer also weiterhin behauptet, Menschen aus Ländern wie Côte d’Ivoire sollten doch in andere afrikanische Länder statt nach Europa flüchten, der Person sei gesagt: Sie tun es, und dort ist es für sie nicht unbedingt besser.
OT: „Promis le ciel“
Land: Frankreich, Tunesien
Jahr: 2025
Regie: Erige Sehiri
Drehbuch: Erige Sehiri, Anna Ciennik, Malika Cécile Louati
Musik: Aymen Laabidi
Kamera: Frida Marzouk
Besetzung: Aïssa Maïga, Debora Lobe Naney, Laetitia Ky, Estelle Kenza Dogbo, Foued Zaazaa
Cannes 2025
Filmfest München 2025
Zurich Film Festival 2025
Französische Filmtage Tübingen Stuttgart 2025
BFI London Film Festival 2025
Afrikamera 2025
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