
Die von ihrer Krebserkrankung schwer gezeichnete Nadine (Jennifer Sabel) verbringt eine letzte Nacht in ihrer Wohnung, bevor sie am nächsten Morgen von ihrer Mutter Renate (Barbara Philipp) widerwillig in ein Hospiz gefahren wird. Das Kinderzimmer in Nadines Wohnung war schon länger nicht mehr von Lachen erfüllt. Denn während ihrer Chemotherapie hat sie ihren sechsjährigen Sohn Dexter in Renates Obhut gegeben, wodurch sich der Junge von seiner Mutter entfremdete. Kaum im wunderschönen Hospiz angekommen, das in einem ehemaligen Schloss untergebracht ist, will Nadine sofort wieder weg. Der Krankenpfleger Nuri (Ruben Sabel) kann sie zum Bleiben bewegen. Von Anfang an auf Krawall gebürstet, legt sich Nadine mit allen und jedem an. Ihre Mitsterbenden nehmen ihr das miese Verhalten aber nicht übel. Mit der lebenslustig dem Tod trotzenden Marion (Hildegard Schroedter) freundet Nadine sich sogar an.
Aufrecht geh’n
Am ungewöhnlichen Filmtitel bleibt das Auge hängen: Ich sterbe. Kommst Du? Die Kombination aus Aussage und Frage macht stutzig, hat zugleich aber einen faszinierenden Klang. Und sie wirft weitere Fragen auf: Wessen Leben geht hier zu Ende? Und wen fordert die sterbende Person auf, wohin zu kommen? Ist es der kleine Sohn der Hauptfigur Nadine, der seine Mutter im Hospiz besuchen soll? Sind es deren Freundinnen, ihr Ex-Man und ihr Ex-Freund, denen sie Lebewohl sagen will? Oder ist es letztlich das Kinopublikum, das vom Regisseur Benjamin Kramme dazu ermuntert wird, seine Protagonistin beim Sterben zu begleiten?
Der 1982 in Weimar geborene Kramme legt mit diesem Drama über die letzten Tage einer krebskranken Mutter sein Langfilm-Debüt vor. Die Hauptrolle hat er mit seiner Frau Jennifer Sabel besetzt. Und Sabel macht einen fantastischen Job, liegt es doch an ihr, den gesamten, sehr lose erzählten Film zu tragen. Die Rolle selbst ist ein Geschenk, ist diese Frau doch eine schwierige Persönlichkeit, die mit der eigenen Mutter im Clinch liegt und in der Vergangenheit viel falsch gemacht hat. Dass ihr sechsjähriger Sohn Dexter sie nicht sehen will, ist nicht allein ihrer Krebserkrankung geschuldet, sondern letztlich auch ihre Schuld. Sympathien für eine solch unsympathische Type zu wecken, ist wiederum Sabels großes Verdienst.
Langsam Abschiednehmen
Filme über das Sterben gibt es viele. Von der melancholischen Komödie, die den Tod mit Humor nimmt, bis zum emotionalen Drama, das auf die Tränendrüse drückt, ist alles vertreten. Auch gesellschaftskritisch geht es mitunter zu; meist in jenen Filmen, die um das Thema Sterbehilfe kreisen. Ich sterbe. Kommst Du? steht irgendwo dazwischen. Kritik am deutschen Gesundheitssystem klingt kurz zwischen den Zeilen an, vornehmlich handelt das Drama aber vom langwierigen Prozess des Abschiednehmens, zu dem auch zählt, den eigenen Tod zu akzeptieren. Dabei setzt der Film mal auf wütende, mal auf verzweifelte, mal auf traurige und mal auf komische Momente.
Jennifer Sabel zieht all diese emotionalen Register ganz wunderbar. Und der Film steckt voll toller Momente. Es sind schön geschriebene und gestaltete kleine Szenen, etwa die in der Hospiz-Küche, in der der Sohn der Todkranken beim Gurkenschnippeln endlich auftaut und sich mit einem Pfleger über ein mögliches Leben nach dem Tod unterhält. Und trotzdem bleibt das Drehbuch die größte Schwäche dieses Films.
Keine Effekthascherei
Benjamin Kramme weiß, wovon er spricht. Die soziale Arbeit ist das zweite Standbein des studierten Schauspielers. Derzeit ist er zwischen Lübeck und Schwerin im Hospiz Schloss Bernstorf beschäftigt. Dort hat er auch die Handlung seines Debüts angesiedelt. Das gemeinsam mit Jennifer Sabel verfasste Drehbuch beruht auf Krammes eigenen Erfahrungen im Umgang mit Sterbenden, was dem Ganzen einen ausgesprochen realistischen Blick auf die Thematik verleiht. Der Tod wird bei Kramme weder überhöht noch verklärt oder romantisiert. Die Sentimentalität, die so vielen vergleichbaren Hollywoodfilmen eigen ist, ist dem Regisseur ebenso fremd wie Effekthascherei.
Beim Filmfestival Max Ophüls Preis, wo Ich sterbe. Kommst Du? im Januar 2025 Premiere feierte, gab es dafür sowohl den Publikumspreis als auch den Preis für den gesellschaftlich relevantesten Film. Bei aller berechtigten Kritik an der Sentimentalität der Traumfabrik haben Hollywoodfilme aber auch eine große Stärke: eine Dramaturgie, die das Publikum für die Figuren und deren Geschichte einnimmt. Mit dem echten Leben (und Sterben) haben solche Zuspitzungen zwar nicht viel zu tun, sie halten das Publikum aber bei der Stange. Die Narration in Krammes Films ist hingegen bisweilen so elliptisch und unzusammenhängend geraten, dass der Regisseur Gefahr läuft, das Interesse des Publikums zu verlieren.
OT: „Ich sterbe. Kommst Du?“
Land: Deutschland
Jahr: 2024
Regie: Benjamin Kramme
Drehbuch: Benjamin Kramme, Jennifer Sabel
Kamera: Jean-Pierre Meyer-Gehrke
Besetzung: Jennifer Sabel, Barbara Philipp, Hildegard Schroedter, Carlos Moselewski, Axel Werner
Bei diesen Links handelt es sich um sogenannte Affiliate-Links. Bei einem Kauf über diesen Link erhalten wir eine Provision, ohne dass für euch Mehrkosten entstehen. Auf diese Weise könnt ihr unsere Seite unterstützen.
(Anzeige)






