
Margarita (Céline de Gennaro) und Güte (Clara Schwinning) leben irgendwo im Nirgendwo einer Mittelgebirgslandschaft. Die zwei Frauen stehen sich nahe und unterhalten gleichzeitig jede auf ihre Weise eine Beziehung zum impulsiven, bisweilen aggressiven Wolf (Jannik Mioducki). Zwischen Wiesen, Wäldern, Seen und Flüssen scheint die Zeit stillzustehen. In der kleinen Dorfgemeinschaft, die ihr Geld womöglich mit dem Verkauf von Hühnereiern verdient, sich gleichzeitig aber vor dem Geflügel fürchtet, geht nichts voran. Radionachrichten auf Englisch und Zeitungsschlagzeilen auf Deutsch sind die einzige Verbindung zur Außenwelt. Dort erwartet die Menschheit gerade gebannt den Start einer Rakete, die deren Insassen an den Rand unseres Sonnensystems bringen soll. Doch was ist, wenn uns dort draußen im Universums überhaupt nichts erwartet?
Die Zukunft, möglicherweise
Das Gute vorweg: Es braucht mehr Werke wie dieses und mehr Regisseurinnen wie Katharina Huber, die etwas wagen, die ihr Publikum herausfordern, ohne Scheu, es damit zu überfordern und die bei all dem eine klare Handschrift erkennen lassen. All das ist in der deutschen Filmlandschaft, in der die Kreativität allzu gern zu Tode gefördert wird, eine Seltenheit. Was ein solch kreatives Debüt wie dieses zwar nicht zu einem Solitär, aber immerhin zu einer Ausnahmeerscheinung macht. Das hat man auch beim Locarno Film Festival so gesehen. Dort lief Ein schöner Tag im August 2023 in der Sektion Concorso Cineasti del presente und nahm gleich zwei Preise mit nach Hause. Huber wurde als beste Nachwuchsregisseurin und Clara Schwinning als beste Darstellerin ausgezeichnet. Dass es trotzdem bis zum Herbst 2025 gedauert hat, bis dieses preisgekrönte Debüt regulär in die deutschen Kinos kommt, hat seine Gründe.
Womit wir bei den Kritikpunkten angelangt wären. So eigenwillig Hubers Film auch sein mag, er ist vor allem sperrig, weil er sich absichtsvoll kryptisch gibt. Die elliptisch in zehn Kapiteln erzählte Geschichte wird nur angedeutet. Ort und Zeit der Handlung bleiben ebenso unbestimmt wie die Rollen und Funktionen, die die Figuren in dieser seltsamen Dorfgemeinschaft einnehmen. Huber wirft ihr Publikum mitten hinein in eine Welt, die aus der Zeit gefallen scheint, deren Geschichte aber ebenso gut in der Zukunft kurz vor oder nach einer verheerenden Katastrophe spielen könnte. Diese Prämisse ist faszinierend. Ausstattung, Kostüme, die karge Landschaft der Eifel, die als Drehort diente, und die von Erdtönen dominierten Einstellungen, in denen gelbe Blumen die einzigen Farbtupfer bilden, tragen ihren Teil dazu bei. Je weiter die Handlung voranschreitet, desto mehr wandelt sich die anfängliche Faszination jedoch in Frustration.
Filmische Blendfassade
Dass der Film weder eine stringente Handlung noch deren befriedigende Auflösung zu bieten hat, ist nicht das Problem. Ganz im Gegenteil macht das bewusste Unterlaufen einer klassischen Narration das Seherlebnis eingangs aus. Gerade weil das Kinopublikum nicht weiß, durch welche Welt sich die Figuren um die von Schwinning gespielte Güte und die von Céline de Gennaro verkörperte Margarita bewegen, schaut es umso gebannter zu. Problematisch wird es allerdings dann, wenn sich das Rätselhafte als alleiniger Sinn und Zweck herauskristallisiert, wenn das Kryptische und Unbestimmte reine Blendfassade bleibt. Die ist zwar schön anzuschauen, es verbirgt sich aber auch nicht viel dahinter.
Wie die Erde um die Sonne zirkuliert, so dreht sich auch dieser Film irgendwann im Kreis. In dessen Zentrum steht ein Raketenstart, der in doppelter Hinsicht unfassbar ist. Nachrichten verkünden davon, mal im Radio, mal in der Zeitung, die sich die Dorfbewohner gegenseitig vorlesen. Ein weit entferntes Ereignis, das sich nie im Filmbild materialisiert. Und dementsprechend von einigen Figuren im Film angezweifelt wird. Vielleicht ist der Raketenstart gar nicht echt, sondern nur ein großes Ablenkungsmanöver? Wie mit dem angekündigten Großereignis im Film verhält es sich auch mit Hubers Film selbst: Von der Handlung geht ein gewisses Faszinosum aus, das aber nur von deren inhaltlicher Leere ablenkt.
Countdown zur Bedeutungslosigkeit
Wenn ein Film so geheimnisvoll und vieldeutig ist wie Katharina Hubers Ein schöner Ort, dann gilt das in der Regel als Qualitätsmerkmal. Schließlich haben namhafte Filmschaffende ganze Karrieren auf der Unergründlichkeit ihres Œuvres aufgebaut. Der im Januar 2025 verstorbene David Lynch, Yorgos Lanthimos oder Angela Schanelec kommen einem in den Sinn. Und es stimmt ja, eine große Stärke ihrer Filme ist, dass sie offen interpretierbar sind und man ihnen bei jeder erneuten Betrachtung neue Facetten abgewinnen kann. Wäre dies allerdings die einzige Stärke, man bräuchte die Filme kein zweites Mal zu sehen.
Hubers Debüt ist von dieser Qualitätsstufe noch ein gutes Stück entfernt. Die von ihr selbst verfasste Story, deren Kapitel von 10 bis 1 wie ein Countdown heruntergezählt werden, ist schlicht zu dünn, um über eine Laufzeit von mehr als 100 Minuten zu tragen; ihre Figuren sind zu statisch, entwickeln sich nicht weiter; ihre minimalistischen Dialoge wirken zu bemüht. Was Hubers Film zu lang, langatmig und langweilig macht. Denn die Absicht, die Bedeutung so offen wie möglich zu gestalten, geht auch immer mit der Gefahr einher, dass das Publikum dem Film keinerlei Bedeutung beimisst.
OT: „Ein schöner Ort“
Land: Deutschland
Jahr: 2023
Regie: Katharina Huber
Drehbuch: Katharina Huber
Musik: Chris Pitsiokos, Federico Perotti
Kamera: Jesse Mazuch,Carmen Rivadeneira
Besetzung: Clara Schwinning, Céline de Gennaro, Jannik Mioducki, Maria Lorenzen, Jamal Albashaan, Julian Sark, Andreas Schneiders, Meryem Erkus, Voodoo Jürgens, Nicole Wegner, Leonard Harms, Simon Steinhorst, Julia Suermondt, Dolunay Gördüm, Mik Quantius, Andreas Oestern
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