Das Ungesagte
© lothar herzog filmproduktion GmbH

Das Ungesagte

Das Ungesagte
„Das Ungesagte“ // Deutschland-Start: 6. November 2025 (Kino)

Inhalt / Kritik

Eine lange Pause, ein schwerer Atemzug – dann bricht endlich das Schweigen. In Das Ungesagte richtet die Kamera ihren Blick auf Gesichter, die ein Jahrhundert deutscher Geschichte spiegeln – und zwingt uns, zuzuhören, selbst wenn die Worte stocken. Elf Zeitzeuginnen und Zeitzeugen, geboren zwischen 1920 und 1936, berichten in dem Dokumentarfilm von Patricia Hector und Lothar Herzog von ihren Erlebnissen während der NS-Zeit. Es geht um Schuld und Mitläufertum, um Rechtfertigung und Verdrängung – vor allem aber um das jahrzehntelange Schweigen, das sich nach 1945 in Familien und Gesellschaft ausbreitete. Viele der Befragten haben bis zu diesen Gesprächen nie über das Erlebte gesprochen. Das Ungesagte ist daher ein Film von großer Bedeutung – und die Auszeichnung mit dem Granit-Hofer-Preis für den besten deutschsprachigen Dokumentarfilm bei den Hofer Filmtagen 2025 mehr als verdient. Denn vermutlich ist es eine der letzten Gelegenheiten, den Menschen zuzuhören, die die NS-Zeit noch selbst erlebt haben. Und gerade in einer Gegenwart, in der historische Verantwortung wieder infrage gestellt wird, scheint es wichtiger denn je, ihnen Gehör zu schenken.

Psychologischer Ansatz

Hector und Herzog verfolgen einen bewusst psychologischen Ansatz. Patricia Hector, selbst Schauspielerin und Psychologin, bringt ihre Expertise in die Gesprächsführung ein. Ihre Nachfragen – manchmal im Film zu hören – zielen auf das Unausgesprochene, auf die Brüche im Erzählten. Auf einen erklärenden Off-Kommentar verzichten die Regisseure konsequent. Nur die Stimmen der Befragten sind zu hören – und sie brauchen keinen Kommentar. Wenn die 1922 geborene Hildegard Harms erzählt, wie ein Foto von ihr gemeinsam mit Adolf Hitler entstand, schwingt darin ein Stolz mit, den sie heute nicht mehr empfinden möchte. Doch Hector und Herzog lassen die Ambivalenzen stehen. Sie konfrontieren die Aussagen von Menschen aus der damaligen Mehrheitsgesellschaft mit denen jüdischer Zeitzeugen – und legen damit auf subtile Weise Widersprüche frei. So folgt auf die Aussage des unter Pseudonym auftretenden Juden Max Karlemann, niemand könne behaupten, er habe nichts gewusst, unmittelbar ein Schnitt zu Hildegard Harms, die erklärt, nichts von den Konzentrationslagern erfahren zu haben. Solche Übergänge sind entlarvend – gerade, weil sie nicht kommentiert werden.

Das Regieduo schafft es, durch die ruhige Kamera und den Verzicht auf visuelle Ablenkung eine bemerkenswerte Nähe zu ihren Gesprächspartnern herzustellen. Diese alten Menschen wirken nicht als bloße „Zeitzeugen“, sondern als Individuen mit gelebter Biografie – freundlich, reflektiert, manchmal widersprüchlich. Selbst wenn die Montage Erinnerungslücken und Widersprüche offenlegt – etwa, wenn jemand etwas anderes erzählt als in einem früheren Interview – entsteht kein Gefühl der Bloßstellung. Erinnerung nach acht Jahrzehnten kann trügen, sie kann schmerzen, sie kann verdrängen. Besonders gelungen ist die filmische Struktur: Archivbilder – teils öffentlich, teils aus privaten Alben der Befragten – sind sensibel eingeflochten. Aktuelle Aufnahmen von Schauplätzen der Vergangenheit verbinden Erzählung und Gegenwart. Hier zeigt sich die Handschrift Lothar Herzogs, der schon in seinem Spielfilm 1986 mit seiner ruhigen, präzisen Bildsprache beeindruckte.

Einladung zum Nachdenken

Wichtig ist auch, was Das Ungesagte nicht tut: Der Film verurteilt nicht, er belehrt nicht. Er gibt Raum. Die Filmemacher begegnen ihren Gesprächspartnern mit Respekt – selbst dann, wenn diese noch die schönen Kindheitserinnerungen unter nationalsozialistischer Symbolik beschwören. Ebenso zurückhaltend bleiben Kamera und Fragen, wenn die Männer von Front- und Kriegserlebnissen berichten. Voyeuristisch wird der Film nie. Auf Aktualisierungen oder politische Parallelen verzichtet das Werk bewusst. Das Ungesagte ist kein Kommentar zur Gegenwart, sondern eine Einladung zum Nachdenken über die Vergangenheit. Welche Lehren sich daraus ziehen lassen, bleibt dem Publikum überlassen – und gerade darin liegt seine Stärke.

Auf einen Film wie diesen hat man lange gewartet. Während Werke wie Shoah von Claude Lanzmann den Blick der Opfer einnehmen und Filme wie Riefenstahl von Andreas Veiel Täterstrukturen beleuchten, richtet Das Ungesagte den Fokus auf jene große graue Zone dazwischen – auf die Mitläufer, die Wegschauer, die „Anständigen“, die nichts getan haben. Trotz seiner Länge von 142 Minuten, gegliedert in fünf Kapitel, bleibt der Film fesselnd. Die langsame Erzählweise, die Konzentration auf Gesichter und Pausen, mag heutigen Sehgewohnheiten widersprechen – doch gerade in dieser Ruhe liegt seine Kraft. Patricia Hector und Lothar Herzog haben mit Das Ungesagte ein Werk geschaffen, das über die Zeit hinaus Bestand haben wird. Ein Film, der Erinnerung bewahrt, ohne sie zu verklären – und der zeigt, wie gefährlich das Schweigen werden kann.

Credits

OT: „Das Ungesagte“
Land: Deutschland
Jahr: 2025
Regie: Patricia Hector, Lothar Herzog
Kamera: Lothar Herzog

Bilder

Trailer

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Das Ungesagte
fazit
„Das Ungesagte“ ist ein eindringliches, psychologisch tiefgründiges Zeitdokument, das das jahrzehntelange Schweigen ehemaliger Mitläuferinnen und Mitläufer offenlegt – sensibel, respektvoll und filmisch meisterhaft. Ein unverzichtbarer Film über Erinnerung, Verdrängung und Verantwortung.
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