
Mit Sorda – Der Klang der Welt gelingt der spanischen Regisseurin Eva Libertad eine seltene filmische Perspektive auf Gehörlosigkeit — und das mit gewollter Nähe zu beiden Welten. Schon das Eröffnungsstatement Libertads („Es war von Anfang an mein Wunsch, dass dieser Film ein Treffpunkt gehörloser und hörender Menschen sein wird – eine Begegnung.“) gibt die programmatische Richtung vor. Der Spielfilm basiert auf dem preisgekrönten ebenfalls Sorda betitelten Kurzfilm von 2021, den Libertad ebenfalls mit ihrer Schwester Miriam Garlo in der Hauptrolle inszenierte. Im Zentrum steht ein Paar in den Dreißigern: Ángela (Miriam Garlo), gehörlos, und Héctor (Álvaro Cervantes), hörend. Die beiden erwarten ihr erstes gemeinsames Kind, und zunächst ist ihr Alltag von Gleichberechtigung, Ausflügen und Geborgenheit geprägt. Libertad nutzt diese Normalität, um Vorurteile gegenüber gemischten Paaren leise zu unterlaufen — bis die Geburt einen Bruch einleitet.
Ein Gleichgewicht gerät ins Wanken
Die Geschichte beginnt mit scheinbar beiläufigen Harmonie-Momenten: Das Paar sucht einen Namen, besucht die Vorsorgeuntersuchungen und trifft Freunde, die vorwiegend gehörlos sind. Doch als Tochter Ona zur Welt kommt und die Frage nach deren Gehörlosigkeit im Raum steht, verschiebt sich das Gleichgewicht. Es kommt zu einer Zäsur — das Leben des Paares dreht sich nun um das Kind, Ángela beginnt sich ausgeschlossen zu fühlen. Besonders bemerkenswert ist die Entscheidung, sowohl gesprochene Sprache als auch Gebärdensprache lückenlos zu untertiteln. Damit wird jede Sprachform gleichwertig wahrgenommen und für ein breites Publikum zugänglich gemacht. Die Reaktionen von Ángelas Eltern (Elena Irureta, Joaquín Notario) intensivieren den familiären Konflikt und verdeutlichen das Thema Inklusion.
Hervorzuheben sind die Leistungen von Miriam Garlo und Álvaro Cervantes: Garlo bringt als gehörlose Darstellerin nicht nur Erfahrung, sondern eine außergewöhnliche Authentizität ein. Ihre Ángela überzeugt als vielschichtige, verletzliche, aber auch starke und widersprüchliche Figur. Cervantes nimmt die Rolle des Héctor einfühlsam und facettenreich an, bleibt stets sympathisch und differenziert, meidet die simplen Muster des Antagonisten. Die Entfremdung zwischen beiden wird in anekdotischen Szenen vor der Geburt und den emotionalen Brüchen danach stimmig inszeniert. Libertad verzichtet auf moralische Urteile und zeigt den schleichenden Rückzug Ángelas schonungslos und ohne Wertung.
Die Sprache des Sehens und Hörens
Die Kameraarbeit von Gina Ferrer García ist wesentlicher Bestandteil der filminternen Dramaturgie. Mit ihrem feinfühligen Licht und atmosphärischer Nähe zu den Figuren gelingt ihr eine Balance zwischen Beobachtung und Empathie. Besonders effektiv ist die Soundgestaltung: In einer zentralen Szene wird Ángelas Tragen des Hörgeräts akustisch so inszeniert, dass der Stress einer Reizüberflutung unmittelbar erfahrbar wird. Damit hebt sich der Film deutlich von herkömmlichen Darstellungen gehörloser Protagonist:innen ab. Die Entscheidung, auch bei gesprochener Sprache vollständige Untertitel einzusetzen, ist konsequent und betont die Begegnungsqualität des Werks.
Im Vergleich zu Klassikern wie Children of a Lesser God, Jenseits der Stille und CODA verlässt Sorda – Der Klang der Welt bewusst die Perspektive der hörenden Gesellschaft und bleibt kompromisslos bei der Innenwelt der Protagonistin. Libertads Arbeit erweitert damit nicht nur das Repertoire an Filmen zu Gehörlosigkeit, sondern etabliert neue Maßstäbe für Inklusion und Wahrnehmung im Film. Die Kritik an der Umwelt ist subtil, aber eindeutig: Die wenig inklusive Gesellschaft, in der Ángela lebt, wird schonungslos offenbart.
Berlinale 2025
San Sebastian 2025
Bei diesen Links handelt es sich um sogenannte Affiliate-Links. Bei einem Kauf über diesen Link erhalten wir eine Provision, ohne dass für euch Mehrkosten entstehen. Auf diese Weise könnt ihr unsere Seite unterstützen.
(Anzeige)




