Springsteen: Deliver Me from Nowhere nimmt uns mit in das Jahr 1982 und erzählt, wie der gefeierte Rockstar Bruce Springsteen (Jeremy Allen White) an seinem neuen Album arbeitet. Die Plattenfirma wartet bereits sehnsüchtig auf das Material, weil der Sänger gerade einen richtigen Lauf hat und einen Hit nach dem anderen landet. Doch Springsteen hat etwas anderes im Kopf. Er hat vor allem etwas anderes im Herzen, wenn er sich mehr und mehr mit seiner Vergangenheit auseinandersetzt, etwa mit dem schwierigen Verhältnis zu seinem Vater. Am Ende steht das Album Nebraska, das sein persönlichstes Werk wurde, obwohl es ganz anders war als seine anderen Alben. Wir haben uns zum Kinostart am 23. Oktober 2025 mit Regisseur Scott Cooper unterhalten. Im Interview spricht er über seine persönliche Beziehung zu dem Sänger, Kunst als Therapie und den Umgang mit Depressionen.
Könntest du uns etwas über die Entstehungsgeschichte von Springsteen: Deliver Me From Nowhere verraten? Wie kam es dazu, dass du einen Film über Bruce Springsteen gedreht hast?
Das Album Nebraska von Springsteen hatte immer eine große persönliche Bedeutung für mich. Mein Vater, der meinen frühen musikalischen Geschmack sehr geprägt hat, hat mir die Musik von Bruce Springsteen durch dieses Album vorgestellt. Wenn du als Jugendlicher desillusioniert bist und nicht weißt, wer du bist oder was dein Platz in der Welt ist, dann kann Musik zu dir sprechen, wie nichts sonst es kann. Und dieses Album hat zu mir gesprochen. Jemanden zu haben, der diesem Schmerz in dir eine Stimme gibt, das kann dir so sehr helfen in diesem Alter. Ich bin aber auch später immer wieder zu dem Album zurückgekehrt, während ich meine Filme geschrieben habe. Wenn ich jetzt einen Film über diese Zeit in Springsteen Leben drehe, dann ist es so, als hätte sich der Kreis meines eigenen Lebens geschlossen.
Wusstest du von den Hintergründen des Albums, als du mit dem Film begonnen hast?
Ja, aber nicht annähernd so viel, wie ich dabei gelernt habe. Ich wusste, dass es ein sehr persönliches Album für Bruce war. Aber da sind so viele persönliche Elemente in dem Film, über die Bruce öffentlich nie gesprochen hat. Als ich in der Vorbereitung viel Zeit mit Bruce verbracht habe, wurde mir erst bewusst, was für eine verlorene Seele er damals war und wie sehr er die Musik nutzte, um sich selbst zu reparieren.
Wie sehr war er bei dem Film dann involviert?
Sehr involviert. Das bedeutet, dass er immer da war, wenn ich eine Frage für ihn hatte. Ich konnte ihn dadurch auf eine Weise verstehen, wie es mir nie möglich gewesen wäre, wenn ich ein Buch gelesen oder ein Interview mit ihm gesehen hätte. Ich hatte sehr spezifische Fragen zu seiner mentalen Verfassung, zu seiner Verzweiflung. Er verstand damals nicht, dass er an einer Depression litt. Er sah natürlich schon, wie schwierig und distanziert sein Vater war. Aber erst sehr viel später wurde er als schizophren diagnostiziert. Für all diese Themen war es ein Geschenk, dass Bruce da war und mit mir darüber gesprochen hat.
Die Geschichte spielt in den frühen 1980ern. Seither hat sich viel getan, es wird auch offener über das Thema Depression gesprochen. Warum ist der Film trotzdem wichtig und relevant?
Da gibt es mehrere Gründe. Zum einen hoffe ich, dass der Film nicht wie andere Musikfilme ist. Zum anderen ist es so, dass momentan in den USA überall Menschen leiden, egal in welcher Gesellschaftsschicht: Einsamkeit, Isolation. Wir haben eine Krise der mentalen Gesundheit. Meine Hoffnung ist, dass wenn die Menschen sehen, dass Bruce Springsteen, der alles im Leben haben sollte, Hilfe gesucht hat, um dieses Loch in sich zu füllen, dass sie es dann auch tun. Die mentale Gesundheit von Männern in Amerika ist stigmatisiert und ich hoffe, dass der Film dazu beitragen kann, das Thema zu entstigmatisieren. Außerdem hoffe ich, dass wenn wir diese Phase im Leben von Bruce Springsteen beleuchten, dass wir damit auch mehr über all die anderen Phasen in seinem Leben lernen.
Er hat sich in dieser Phase sehr auf die persönlichen Lieder konzentriert und andere, die er zu der Zeit geschrieben hat, erst einmal beiseite geschoben. War die Musik für ihn eine Form der Therapie?
Es war eine Therapie für Bruce Springsteen, als er Nebraska gemacht hat, kein Zweifel. Es war aber auch für mich eine Form der Therapie, als ich den Film gemacht habe.
Hat ihm diese Therapie denn geholfen? Man sieht in deinem Film zwar, dass er sich selbst näherkommt. Er kommt aber nie ganz an.
Das stimmt. Er kämpft noch immer mit Depressionen, 43 Jahre später. Das ist etwas, das ihn sein ganzes Leben begleitet hat. Er war auch eine lange Zeit in Therapie. Ob er das jemals wird hinter sich lassen können, weiß ich nicht. Das muss Bruce beantworten. Nebraska hat ihn also nicht geheilt. Die Musik hat ihm aber dabei geholfen, in sich selbst zu schauen und überhaupt anzufangen, sich damit auseinanderzusetzen.
Du hast eben gemeint, dass die Arbeit an dem Film auch für dich eine Therapie war. Inwiefern?
Wenn ich Filme mache, dann nehme ich immer Sachen aus meinem Leben, die mich zu dem machen, der ich bin, und stecke sie in meine Filme. So wie Bruce sein Leben in Nebraska verarbeitet hat. Musiker, Maler, Künstler oder Filmemacher – sie alle nehmen, was sie kennen, und verarbeiten sie in ihrer Kunst, ob es jetzt die schönen oder die schrecklichen Momente sind. Deliver Me From Nowhere war für mich auch ein schwieriger Film, weil mein Vater, der mir ja das Album gezeigt hat, einen Tag vor dem Drehstart gestorben ist. Deswegen habe ich viel an ihn gedacht, während ich gedreht habe. Und in der letzten Woche des Drehs habe ich die furchtbare Nachricht erhalten, dass mein Haus niedergebrannt war. Bruce hat mich und meine Familie bei sich aufgenommen, bis wir wieder auf eigenen Füßen stehen konnten. Er hat auch die wunderbare Gitarre meiner Tochter durch eine von sich ersetzt. Das sagt dir, welche Art Mensch Springsteen ist. Es war also ein sehr schwieriges Jahr für mich. Glücklicherweise hatte ich diesen Film.
Wie viel von dir selbst steckt am Ende in dem Film? Schließlich erzählst du nicht deine Geschichte, sondern die eines anderen Menschen.
Mein ganzes Ich steckt in diesem Film. Ich will auch nur persönliche Filme machen. Du kannst auch diese Art Film nicht machen, ohne dass es persönlich wird. Bruce ist mir sehr nahe, das Album ist mir sehr nahe.
Kannst du das Album überhaupt noch so anhören wie früher und all das ausblenden, was du über die Hintergründe erfahren hast?
Das nicht. Ich habe jetzt eine ganz andere Beziehung zu dem Album, was vermutlich gleichzeitig positiv und negativ ist.
Nebraska war dein erstes Album von Springsteen. Ist es immer noch dein Favorit?
Auf jeden Fall! Aber es gibt auch andere Alben, die mir viel bedeuten, The Ghost of Tom Joad zum Beispiel oder Darkness on the Edge of Town.
Dann lass uns über das Casting sprechen. Wonach hast du gesucht bei der Besetzung?
Es ging mir nicht darum, Springsteen zu imitieren. Es war mir aber schon wichtig, jemanden zu finden, der ihm ähnlich sieht. Auf Jeremy Allen White trifft es auf jeden Fall zu, wenn du dir den Knochenbau anschaust, die Physis, die Art und Weise, wie er sich bewegt. Ich habe außerdem Intensität und Verletzlichkeit gesucht. Die Fähigkeit, Verzweiflung ohne Worte auszudrücken. Ich brauchte jemanden, der sich sowohl physisch wie psychisch darauf vorbereiten würde, Bruce zu sein. Er musste sich wie Bruce bewegen, singen wie Bruce, die Gitarre spielen wie Bruce.
Bruce wird in dem Film von seiner Vergangenheit verfolgt und leidet darunter. Sollten wir die Vergangenheit hinter uns lassen oder diese annehmen?
Wir sollten sie annehmen. Die Vergangenheit ist immer ein Teil von dir und macht dich zu dem, der du bist. Ohne sie bist du nur eine künstliche Intelligenz.
Und wie war es für dich, selbst in die Vergangenheit zu reisen und von den frühen 1980ern zu erzählen?
Sehr anregend. Bruce hat mich auf eine Tour mitgenommen und mir viele Orte gezeigt, an denen wir dann auch gedreht haben. Er hat mir gesagt, wo das Bett war, wo der Stuhl war, wo das Mikrofon war. Er hat mir erzählt, wie es war, das erste Mal Born in the USA einzuspielen. Jeremy trug auch einiges von der Kleidung von damals. Viele persönliche Gegenstände von Bruce sind in dem Film.
Vielen Dank für das Interview!
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