
Eigentlich konnte der Anästhesist Camille Prader (Fabrice Luchini) ganz gut mit dem Arrangement leben: Schon seit Längerem trifft er sich mit Clémentine (Valérie Stroh), die bereits verheiratet ist, weshalb das nichts wirklich Ernstes für ihn ist. Als sie verkündet, ihren Mann für ihn verlassen zu wollen, ist der Schock daher groß. Für Camille kommt das gar nicht in Frage. In seiner Not erfindet er daher eine andere Frau, mit der er angeblich eine Beziehung führt. Einen Namen hat er auch schon: Er nennt sie Juliette Graveur, weil er den Namen zuvor zufällig am Flughafen gehört hat. Da er zudem versehentlich einen Koffer mit Frauenkleidung mitgenommen hat, kann er diese Lüge sogar beweisen. Dabei ahnt er noch nicht, dass diese Lüge bald ein Eigenleben entwickelt …
Ein etwas anderes Lügenkonstrukt
Seit den 1980ern arbeitet Philippe Le Guay bereits als Regisseur und Drehbuchautor, hat sich dabei vor allem mit Komödien einen Namen gemacht. So erzählte er in Nur für Personal! (2011) von einem versnobten Paar, das im selben Haus wie ein Dienstmädchen lebt. In Molière auf dem Fahrrad (2013) ging es um zwei in die Jahre gekommene Schauspieler, die sich bei der Inszenierung eines Theaterstücks in die Haare kriegen. Die beiden Filme eint dabei nicht nur das Genre. Beide Male hat der Filmemacher zudem mit Fabrice Luchini gearbeitet. Diese Zusammenarbeit war zu dem Zeitpunkt bereits bewährt, geht sie doch auf Mein Jahr mit Juliette zurück – ein Film aus dem Jahr 1995, der 30 Jahre später dank arte erstmals nach Deutschland kommt.
Warum der Sender immer wieder ältere französische Produktionen ausgräbt, ist zwar nicht ganz ersichtlich. Man sollte meinen, dass es genügend neuere gibt, die man stattdessen synchronisieren könnte. Und doch ist es irgendwie ganz schön, dass es in dem Fall hier geklappt hat. Mein Jahr mit Juliette ähnelt dabei einem Prinzip, wie es im Segment der Liebeskomödie andauernd zum Einsatz kommt. So gibt es unzählige Genrevertreter, bei denen die Hauptfigur – meistens der Mann – ein Lügenkonstrukt aufbaut, welches dann pünktlich zum Schluss einkracht, damit die wahre Liebe eine Chance hat. Dieses Konstrukt wird hier dann wie immer größer mit der Zeit, erfordert richtig viel Arbeit. Der Unterschied ist jedoch, dass mit den Lügen hier keine Liebe ermöglicht, sondern verhindert werden soll.
Nicht tiefgründig, aber amüsant
Man kann sich auch darüber streiten, ob das hier überhaupt eine Liebeskomödie ist. Thematisch ist sie das sicher, romantisch wird es jedoch kaum. Vielmehr fällt der Protagonist ja dadurch auf, dass er keine wirklichen Gefühle an sich herankommen lassen will. Dies wird – anders als bei vielen Filmen aus dem Bereich – nicht durch irgendwelche traurigen Vorgeschichten zu erklären versucht. Camille ist nicht mehr als ein Drückeberger, der keine Verantwortung übernehmen will. Der große Sympathieträger ist er daher nicht. Mein Jahr mit Juliette ist kein Film, bei dem man irgendwie Daumen drücken müsste. Wobei auch die anderen Figuren nicht sehr viel Anteilnahme einfordern. Die Frauen sind nicht nur für den Anästhesisten ein Mittel zum Zweck, sondern auch für den Film.
Tiefgründig ist das alles nicht. Amüsant aber durchaus. Man bleibt hier bis zum Ende dabei, um zu sehen, in welche weiteren Lügen sich Camille noch verstricken wird bei dem Versuch, die alten Lügen aufrechtzuerhalten und niemanden an sich heranzulassen. Dabei wird es auch schön absurd, wenn sich die Ereignisse überschlagen und die Fantasiefigur Juliette tatsächlich zu einer festen Größe wird, ohne jemals aufzutreten. Insofern lohnt sich ein Blick auf Mein Jahr mit Juliette. Das hier ist zwar kein vergessenes Meisterwerk, welches arte im Archiv entdeckt hat. Aber es macht doch Spaß, bleibt durch eine originelle Geschichte in Erinnerung. Zudem ist Fabrice Luchini eine Idealbesetzung für den gleichermaßen freundlichen wie fragwürdigen Mann, der eigentlich dafür sorgen soll, dass niemand Schmerzen hat, und dabei erst recht welche verursacht.
OT: „L’année Juliette“
Land: Frankreich
Jahr: 1995
Regie: Philippe Le Guay
Drehbuch: Philippe Le Guay, Jean-Louis Richard
Kamera: Pierre Novion
Besetzung: Fabrice Luchini, Philippine Leroy-Beaulieu, Valérie Stroh, Marine Delterme, Didier Flamand, Jean-Louis Richard, Daniel Martin
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