
Seit 20 Jahren lebt Ray Stoker (Daniel Day-Lewis) zurückgezogen in einer abgelegenen Waldhütte im Norden Englands. Isoliert von seinem früheren Leben und seiner Familie fristet er sein Dasein in Einsamkeit und im Kampf gegen die Natur. Eben dieses Leben holt ihn jedoch ein, als ihn Jem (Sean Bean) sein Bruder und aktueller Partner seiner Exfrau (Samantha Morton) aufsucht. Er hofft Ray zu überzeugen, seinem Sohn (Samuel Bottomley) in einer prekären Lage beizustehen und dafür wenigstens kurzzeitig in die Zivilisation zurückzukehren.
Familienbande auf und vor der Leinwand
Acht Jahre nach dem Rückzug von Daniel Day-Lewis aus der Schauspielerei kehrt er für das Regiedebüt seines Sohnes Ronan zurück. Seit Der seidene Faden im Jahr 2018 entsagte der inzwischen 68-jährige Daniel der Schauspielerei, spielt aber für Anemone auch abseits der Leinwand eine tragende Rolle als Co-Autor und Mentor für seinen Sohn Ronan.
Sinnlose Symbolik
Konträr zur harmonischen Natur des Vater-Sohn-Projekts zeichnet Anemone ein anderes Bild. Eine nie existierende Vater-Sohn-Beziehung, ein Mann, gefangen in der eigenen Isolation, dessen Gefühle für ihn bedeutungslos scheinen, gäbe es da nicht den letzten Funken Pflichtbewusstsein im gealterten Körper eines erschöpften Veteranen. Zunächst lässt der Film seine Richtung lange nur erahnen, durch pervasive Symbolik wird lediglich die innere Aufgewühltheit Rays anhand seines Kampfes mit den Extremen der ihn umgebenden Wildnis etabliert. Sean Bean als Jem Stoker macht sich gemeinsam mit dem Publikum daran, die Psyche seines Bruders zu ergründen und bleibt in dieser Aufgabe ebenso wie die Kinogänger erfolglos.
Anemone besticht in der ersten Hälfte durch einnehmend geschriebene, minutenlange Monologe, die trotz ihres Unterhaltungswerts keinerlei Auswirkungen auf die Handlungsentwicklung haben. Ähnlich verhält es sich mit überladener Symbolik durch exzessiven magischen Realismus. Anemone lädt zur Überinterpretation gewaltiger Hagelkörner oder eines spektralen Pferds ein, ohne genug Substanz zu liefern, damit ebendies sinnstiftend wäre. Stattdessen baut Ronan Day-Lewis zahlreiche weitere theoretische Konzepte des Filmemachens ein, wie formale Experimentierfreude, stilistische Überbetonung und tonale Fluidität, was Anemone letztlich wie einen studentischen Experimentalfilm mit Millionenbudget wirken lässt.
Trotz allem ist Ronans Inszenierungsstil vielversprechend, wenngleich zeitweise ungeschliffen. Eine Fassade, die schlussendlich nicht blickdicht genug ist, um von fehlender Tiefe und thematischer Oberflächlichkeit abzulenken. Anemone bietet zu keiner Zeit genug Handlungsdichte, um eine Laufzeit von über zwei Stunden zu rechtfertigen. Außer Daniel Day-Lewis’ Ray Stoker sind alle anderen Figuren unterentwickelt. Eine Tatsache, die sich auch in den Dialogen stark bemerkbar macht. Als Co-Autor dürfte Daniel stark an der Charakterschreibung seiner Figur mitgewirkt haben, eine erkennbare Detailverliebtheit und Figurentiefe, die alle anderen Charaktere vermissen lassen. Trotz dieser Bemühungen bleibt Anemone als Charakterstudie zu blass, nicht zuletzt wegen Selbstsabotage durch prolongierte erzählerische Leere und deplatzierte kreative Entscheidungen.
Charakterstudie ohne Charakter
Der Cast von Anemone ist reduziert, aber gleichzeitig hochkarätig. Daniel Day-Lewis’ Charisma und spielerische Präsenz sind auch nach seinem 7-jährigen Hiatus ungebrochen. Selbst ein Schauspieler seines Kalibers schafft es jedoch nicht, Anemone effektiv über zwei Stunden zu tragen. Sean Beans Charakter ist besonders während der ersten Hälfte des Films austauschbar und dient lediglich als Rezeptor für Daniels Monologe. Zwar darf er in einzelnen Szenen im späteren Filmverlauf seine gewohnte Qualität beweisen, letztlich bleibt er jedoch wie auch Samantha Morton und Samuel Bottomley weitgehend unterbeansprucht und dramaturgisch ungenutzt.
OT: „Anemone“
Jahr: 2025
Land: UK, USA
Regie: Ronan Day-Lewis
Drehbuch: Ronan Day-Lewis, Daniel Day-Lewis
Musik: Bobby Krlic
Kamera: Ben Fordesman
Besetzung: Daniel Day-Lewis, Sean Bean, Samantha Morton, Samuel Bottomley
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