Amélie Bonnin bei der Deutschland-Premiere von "Nur für einen Tag" beim Filmfest München 2025 (© Sophie Mahler / Filmfest München)

Amélie Bonnin [Interview]

Nur für einen Tag (Kinostart: 2. Oktober 2025) erzählt die Geschichte von Cécile (Juliette Armanet), die kurz davor steht, mit ihrem Freund ein Gourmet-Restaurant in Paris zu eröffnen, als sie erfährt, dass ihr Vater Gérard (François Rollin) einen Herzanfall hatte. Also kehrt sie in ihre provinzielle Heimat zurück, wo ihre Familie eine einfache Fernfahrerkneipe betreibt. Für sie wird das zu einer Reise in die Vergangenheit, gerade auch, weil sie ihre Jugendliebe Raphaël (Bastien Bouillon) wieder trifft und sich fragen muss, wie viel von ihrem jugendlichen Ich geblieben ist. Wir haben uns bei der Deutschlandpremiere auf dem Filmfest München 2025 mit Regisseurin Amélie Bonnin getroffen, die es als Erste geschafft hat, mit einem Debütfilm die Filmfestspiele von Cannes zu eröffnen. Im Interview zur Liebeskomödie unterhalten wir uns über die Entstehungsgeschichte, die Unterschiede zu ihrem gleichnamigen Kurzfilm und die Bedeutung der Musicalnummern.

Nur für einen Tag basiert auf einem Kurzfilm, den du vor einigen Jahren gedreht hast. Wie kamst du damals auf die Idee für ihn?

Ich wollte damals über das Gefühl sprechen, das wir alle haben, wenn wir von zu Hause ausziehen. Das Gefühl, dass wir jemand anderes werden. Aber auch die Frage, was aus einem geworden wäre, wenn man nicht fortgezogen wäre. Diese Frage stellt sich besonders, wenn andere geblieben sind, Freunde zum Beispiel, und du dein Leben mit ihrem vergleichst.

Und wie kam es dazu, dass du aus diesem Stoff Jahre später noch einen Langfilm gemacht hast?

Die Idee kam von meinen Produzenten. Als sie den ersten Schnitt des Kurzfilms gesehen haben, haben sie mich gefragt, ob ich mir sicher bin, nicht einen Langfilm daraus machen zu wollen. Für mich kam das damals nicht in Frage. Für mich war das eine Geschichte, die in 25 Minuten erzählt werden konnte und die ich nicht ausdehnen wollte. Später änderte ich jedoch meine Meinung. Ich wollte dann doch mehr erzählen über die Eltern und die Familie, wofür in dem Kurzfilm einfach keine Zeit war. Mein Co-Autor kam außerdem mit einem Bildband über Fernfahrer-Restaurants und meinte: „Ich habe ein Setting für deinen Film gefunden.“ Das war der Startschuss für den Spielfilm.

Das Setting ist einer der Punkte, die den Langfilm und den Kurzfilm unterscheiden. Hast du es ausgesucht, weil die Geschichte einfach in einem Restaurant spielen sollte, oder war dir das Thema Gastronomie wichtig?

Stimmt, in der Kurzgeschichte war die Hauptfigur ein Autor. Es war nicht so, dass ich unbedingt über Essen und Gastronomie sprechen wollte. Aber es ist so, dass das Schreiben eine eher abstrakte Tätigkeit ist, nichts, was wirklich filmisch wäre. Du kannst da nicht sehr viel zeigen. Kochen ist aber eine sehr visuelle Tätigkeit, da kannst du viel mehr machen. Außerdem gibt es sehr unterschiedliche Formen von Gastronomie. Das erlaubte uns, dass der Vater und die Tochter im selben Metier arbeiten und doch sehr unterschiedlich sind.

Ein weiterer Unterschied ist, dass in dem Kurzfilm der Mann wieder in seine alte Heimat zurückkehrt, in Nur für einen Tag ist es die Frau. Weshalb dieser Wechsel?

Ich bin mit dem Kurzfilm ein Jahr lang getourt und wurde irgendwann gefragt, warum der Mann die Hauptfigur ist. Darauf hatte ich keine wirkliche Antwort. Ich hatte nie darüber nachgedacht, dass ich auch von einer Frau erzählen könnte. Diese Erkenntnis hat mich ein wenig schockiert, weil ich ja selbst eine Frau bin, da wäre es naheliegend gewesen, die Frau in den Mittelpunkt zu stellen. Also habe ich angefangen darüber nachzudenken, wie diese Geschichte aus der Sicht einer Frau funktionieren könnte.

Wie lange hat es insgesamt gedauert, bis ihr die Geschichte für die Langfassung zusammenhattet?

Ungefähr zwei Jahre. Wir haben aber nicht kontinuierlich daran gearbeitet.

Dann kommen wir zur Musik. Warum habt ihr so viele Lieder eingebaut, die von den Figuren gesungen werden?

Mein Co-Autor und ich lieben einfach Musik. Filme und Musik passt auch sehr gut zusammen, du hast fast immer irgendwelche Musik in den Filmen. Nur ist das oft nicht dieselbe Musik wie im realen Leben. Wir haben viel darüber gesprochen, wie du mit Musik durch die Zeit reisen kannst, wie sie Erinnerungen wecken und wie sie dich zum Weinen bringen kann. Wir wollten dieses Gefühl in unseren Film einbauen, das du hast, wenn du im Supermarkt bist und ein Lied hörst, das du vor 20 Jahren gehört hast. Der Film wurde dadurch zu einer Art Musical, auch wenn er kein Musical sein soll, da dort die Lieder nicht direkt aus dem Leben genommen werden. Er spielt mit dem Code von Musicals, wenn manche Passagen gesungen werden.

Könntest du uns etwas darüber sagen, wie ihr die Lieder ausgesucht habt? Es gibt schließlich Millionen von Liedern.

Wir wollten Lieder, die wirklich aus unserem Leben genommen wurden. Es sollten Lieder sein, die die Generation gehört hat, aus der die Figuren sind – und damit nicht die Lieder der Eltern. Wir haben also nach Liedern gesucht, die wirklich Hits waren in Frankreich zu der Zeit. Ich muss gestehen, dass ich kein Fan bin von 2Be3 war, die das Titellied Partir un jour gesungen haben. Das war eine Boyband. Aber sie waren in den 90ern einfach überall, das war das Jahrzehnt der Boybands. Deswegen brauchten wir etwas in diese Richtung. Bei den anderen Liedern haben wir nach welchen gesucht, die etwas über die Figuren aussagen. In der einen Szene, wenn der Vater in der Küche steht, haben wir ein Lied von Dalida, in dem sie singt, auf der Bühne sterben zu wollen. Ich hatte dieses Lied vor zehn Jahren in einem Dokumentarfilm über meinen Onkel verwenden wollen, der auch nicht mit seiner Arbeit aufhören wollte. Damals hatte ich nicht das Geld, um das Lied zu lizenzieren. Aber es spukte seither in meinem Kopf herum. Nur für einen Tag war für mich die Möglichkeit, es doch noch zu verwenden.

Auffällig ist, dass es sich um lauter französische Lieder handelt. War das eine bewusste Entscheidung? Du hättest ja bei der Boyband auch eine der amerikanischen nehmen können, das hätte den Film für ein internationales Publikum zugänglicher gemacht.

Das stimmt schon. Aber das war uns egal, wir haben nicht an ein internationales Publikum gedacht. Wir hätten auch nie gedacht, dass wir überhaupt in Cannes gezeigt werden. Dass wir der Eröffnungsfilm sein würden, schon mal gar nicht. Uns war es wichtig, Lieder zu finden, die eine Bedeutung für uns haben und die auch nahe an den Figuren sind. Wir wollten sie nicht in einer anderen Sprache singen lassen. Vielleicht wäre das dann etwas für ein englischsprachiges Remake.

Juliette Armanet ist selbst Sängerin und war daher natürlich gut vorbereitet. Wie sieht es bei den anderen aus?

Die andren mussten beim Casting nicht singen. Es gab keine Gesangtests, die sie bestehen mussten. Ich hätte gar nicht daran gedacht. Mir ging es darum, die passenden Leute für die Figuren zu finden. Sie sollten spielen können. Um den Gesang haben wir uns erst später gekümmert. Sie mussten sich dann tatsächlich vorbereiten. Das gilt aber auch für Juliette. Sie sollte in dem Film nicht so gut singen, wie sie es auf der Bühne tut. Das hätte nicht zu der Figur gepasst. Also musste sie immer etwas tun, wenn sie im Film gesungen hat. Sie kocht zum Beispiel oder bewegt sich irgendwie. Wenn sie sich auf das Singen konzentriert hätte, wäre es zu perfekt gewesen.

Vielen Dank für das Interview!



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