Regisseurin Emma Benestan © Mathieu Zazzo

Emma Benestan [Interview]

Animale (Kinostart: 25. September 2025) nimmt uns mit in die Camargue, wo Nejma (Oulaya Amamra) als einzige Frau für den Stierkampf trainiert. Das klappt alles gut, die Männer haben sie in ihrer Runde akzeptiert. Doch als sie nach einem durchzechten Abend die Nacht in der Wildnis verbringt, wacht sie mit Schmerzen, aber ohne Erinnerungen am nächsten Morgen auf. Was ist da nur geschehen? Zur gleichen Zeit geht die Angst um, als offensichtlich ein wilder Stier anfängt Menschen zu töten, aber niemand sagen kann, woher dieser kommt. Wir haben uns beim Filmfest Hamburg 2024 mit Regisseurin und Drehbuchautorin Emma Benestan über ihren Film unterhalten. Im Interview sprechen wir über die Entstehungsgeschichte des Genre-Mixes, weiblichen Body Horror und den Dreh mit echten Stieren.

Könntest du uns etwas über die Entstehungsgeschichte von Animale erzählen? Wie bist du auf die Idee gekommen?

Ich komme selbst aus der Camargue und bin etwa eine halbe Stunde entfernt von dem Ort aufgewachsen, an dem der Film spielt. Auch meine ersten beiden Dokumentarfilme habe ich dort gedreht, unter anderem einen über Marie Segrétier, die erste Frau, die am dortigen Stierkampf teilnimmt. Dass sich eine Frau in einem Männerberuf durchsetzt, finde ich spannend, das ist für mich ein wichtiges Thema. Hinzu kommt, dass sich die Landschaft von der Camargue für Mythologien anbieten. Ich bin selbst ein großer Genrefan, bin aufgewachsen mit Buffy. Fantasy war immer eines meiner Lieblingsthemen. Fantasy erlaubt es mir, anders über Geschlechterrollen und Identitäten zu sprechen. Auf diese Weise kam alles zusammen.

Das waren jetzt ganz viele Stichpunkte auf einmal. Fangen wir mit den Geschlechterrollen an. Wie war es für dich, dich als Frau in dem noch immer von Männern dominierten Filmgeschäft zu behaupten? Zumal dein Film mit Horrorelementen arbeitet und Horror lange ein reines Männergenre war.

Das stimmt. Und dann auch noch Horror mit Western gemischt, was ja auch ein Männergenre war. Ich selber bin Tochter eines Algeriers und einer Französin. Mein Vater war großer Western-Fan, mit ihm habe ich als Kind und Jugendliche unendlich viele Western geguckt, habe mir alles von John Ford und Clint Eastwood reingezogen. Ich hatte dabei aber immer das Gefühl, dass ich mich selbst nicht darin sehen kann. Welche guten Frauenrollen gab es schon in Western? Wenn es Frauen gab, wurden sie missbraucht, waren Opfer oder verschwanden irgendwann ganz. Das hat mich schon als Jugendliche gestört. Für mich als Tochter eines Immigranten mit dunkler Haut galt das gleich doppelt. Da war niemand, der so aussah wie ich. Ich glaube, ich hatte deshalb immer Lust mich zu behaupten, mich einfach aufs Pferd zu setzen und zu machen. Und das gilt eben auch für meine Arbeit als Regisseurin, weil ich nach wie vor merke, dass ich dort auf mein Geschlecht reduziert werde, selbst wenn dieses für mich keine Rolle spielt. Es gibt eine Regisseurin, die ich sehr bewundere, Kathryn Bigelow, nicht nur, weil sie sich als Regisseurin durchgesetzt hat, sondern das auch in typischen Männergenres wie Action, Western und Horror. Ganz besonders toll fand ich, wie sie in Near Dark – Die Nacht hat ihren Preis Fantasy, Horror und Western verknüpft hat. Und das wollte ich eben auch.

Und war es schwierig für dich, andere von deiner Vision zu überzeugen, eben weil das eine ungewöhnliche Kombination ist, und das auch noch von einer Frau?

Ja und nein. Ich hatte das Glück, dass ich von Anfang an zwei Produzentinnen hatte, bei denen ich keine Probleme hatte, sie von dem Genremix und meiner Sicht zu überzeugen. Sie haben mich immer unterstützt, wir waren wie die Musketiere! Das hat es schon einmal leichter gemacht. Was die Finanzierung angeht, war das dennoch nicht einfach. Es ist in Frankreich allgemein so, dass du bei Horrorfilmen nicht das Geld bekommst, das notwendig wäre. Da hat es länger gedauert. Geholfen hat uns hingegen, dass wir in der Camargue drehen wollten, weil es dort eine lange Tradition von Western gibt. Es war einfacher, darüber Gelder aufzutreiben als über Fantasy oder den weiblichen Blick. Ich habe dabei auch festgestellt, dass in den Förderungen noch immer überwiegend Männer sitzen. Die Notwendigkeit, auch einmal eine andere Perspektive einzunehmen, war dort schwieriger zu vermitteln. Sie konnten nicht verstehen, warum wir nicht die Geschichte mit der Vergewaltigung beginnen und danach als Rachegeschichte fortsetzen. Dabei wollte ich ja von einem Trauma erzählen, das verdrängt wird.

Animale feierte in Cannes Premiere zur selben Zeit wie The Substance von Coralie Fargeat. Ein paar Jahre vorher gewann Titane von Julia Ducournau dort sogar die Goldene Palme. In allen drei Fällen handelt es sich um Body Horror von französischen Regisseurinnen. Ist das ein Zufall oder Zeichen eines Wandels?

Ich kann natürlich nicht für die beiden anderen sprechen, ob das wirklich eine neue Bewegung wird, das muss man abwarten. Aber ich freue mich sehr, dass es da mehrere Filme gibt, die in diese Richtung gehen. Wenn du dir den italienischen Giallo anschaust, dann ist die Frau dort immer das Opfer. Sie schreit, sie weint, versucht zu fliehen oder wird gemetzelt. Ich habe eine Szene in Animale, in der meine Hauptfigur die Männer anschreit. Im Horrorfilm ist der Schrei einer Frau ein Angstschrei, das wollte ich umdrehen. Wahrscheinlich hat das schon mit MeToo zu tun, wir sind in der Post-MeToo-Phase. Das zeigt sich auch an der Darstellung des weiblichen Körpers in Horrorfilmen. Er wird zwar noch immer malträtiert, wird dabei aber selbst zu etwas Monströsem. Auch da wird das umgedreht. Es geht nicht nur darum, die Frau als Opfer zu zeigen, sondern zu fragen: Was macht das mit der Frau?

Hast du deshalb den Stier als Tier für deinen Film ausgesucht? Wir assoziieren mit ihm Eigenschaften wie Stärke, Wildheit, Gefährlichkeit. Das sind alles traditionell männliche Eigenschaften, nichts, was man mit Frauen in Verbindung brachte.

Ganz genau. Das war auch etwas, das man mir immer wieder sagte: „Warum verwandelt sich deine Figur in einen Stier? Sie müsste sich doch in eine Kuh verwandeln.“ Aber das wollte ich nicht. Der Stier war das erste Tier, das der Mensch in den Höhlenzeichnungen abgebildet hat. Die Betrachtung des Stiers ist für den Menschen seit Beginn der Kultur wichtig. Wenn du dir den Minotaurus anschaust, dann ist er das Ergebnis einer Vergewaltigung. Der Stier hat dort auch Elemente von dem, was eine Frau erlebt. In der Camargue gibt es ein Sprichwort, das sagt: Männer sind von Stieren so fasziniert, weil Stiere wie wütende Frauen sind. Es gibt also schon Beispiele, wo ein Stier mit weiblichen Aspekten verglichen werden kann. Marie Segrétier hat einmal zu mir gesagt, dass sie weder Mann noch Frau ist, wenn sie vor einem Stier steht, sondern ein Tier.

Wie war der Dreh mit Stieren? Für jemanden wie mich, der keine Ahnung hat von diesen Tieren, sah das ziemlich gefährlich aus.

Die Dreharbeiten haben natürlich davon profitiert, dass mein Kameramann Ruben Impens ganz großartig ist und Unglaubliches geleistet hat. Es gab ja keine Vorlagen, an denen wir uns orientieren konnten. Die Stiere sind auch wirklich wild, denen kannst du keine Anweisungen geben. Wir konnten nur versuchen dranzubleiben und zu schauen: Was macht der Stier? Wenn wir Aufnahmen hatten, von denen wir dachten, dass sie passen, haben wir danach Szenen mit unserer Hauptdarstellerin gedreht, die so aussehen, als hätte sie auf die vorher gefilmten Bewegungen des Stiers reagiert. Das konnte aber dauern. Manchmal haben wir zwei Stunden gebraucht, bis wir Material hatten, das wir nutzen können, eben weil Stiere so unberechenbar sind. Man muss sich wirklich auf das wilde Tier einstellen und abwarten. Das größte Risiko gab es für die Leute aus dem Drehteam, weil wir irgendwann so viel Zeit mit den Tieren verbracht haben, dass wir vergessen haben, wie gefährlich sie sind. Das mussten wir uns immer wieder bewusst machen. Das sind komplett wilde Tiere, die sonst keinen menschlichen Kontakt haben. Du kannst Löwen dressieren oder Bären, aber keinen Stier. Sobald du einen Stier dressierst, ist das kein Stier mehr. Man hat mir auch allen Ernstes vorgeschlagen, aus Versicherungsgründen Kühe zu nehmen und ihnen Hörner aufzusetzen. Das kam für mich aber gar nicht in Frage. Das sieht man doch! Wenn ich Kühe verkleide, kann ich mich nie wieder in der Camargue sehen lassen.

Vielen Dank für das Interview!



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