
Als der junge Fischer Erwan (Victor Grillot) die Bärtige Meerjungfrau kennenlernt, ist das für ihn ein Schritt in eine neue, ganz eigene Welt. Denn in dem von Beluga (Fabrice Morio) geleiteten Varieté-Club ist irgendwie alles möglich. Eine kleine, eng verschworene Gruppe um Drag Queens kommt dort zusammen, um gemeinsam aufzutreten. Ob sie nun singen oder tanzen, Zauberstücke aufführen oder sich an Zirkusnummern versuchen, erlaubt ist, was ihnen Spaß macht. Den anderen Menschen in dem kleinen Hafenstädtchen sind die schrägen Darbietungen teils fremd, sie wissen nicht so recht, was sie damit anfangen sollen. Davon lässt sich die Truppe aber nicht abhalten, haben sie in dieser Gemeinschaft doch eine Heimat gefunden, wo sie sie selbst sein können …
Ein Club als Ort der Selbstfindung
Es gibt eine ganze Reihe von Filmen, in denen ein Club oder ein Theater zu einer ganz eigenen Welt werden, in die das Publikum gemeinsam mit den Figuren eintaucht. Moulin Rouge (2001) etwa machte aus dem berühmten Varieté in Paris ein Musical-Spektakel, bei dem es um große Gefühle ging. Dancing Queens (2021) wiederum nimmt uns mit in einen Club, in dem ausschließlich Drag Queens auftreten. Ein solcher spielt auch in Stage Mother (2020) eine große Rolle, wenn eine Frau ihrem an einer Überdosis Drogen verstorbenen Sohn nahe sein möchte. Mit The Bearded Mermaid (2024) kommt nun ein weiterer Film zu uns, der in einem solchen Etablissement spielt. Dieser hat ein weniger tragisches Szenario als der letztgenannte Titel, hat aber ebenfalls seine ernsten Themen.
Dabei setzt das Regie-Duo Arthur Delamotte und Nicolas Bellenchombre (Cowboy Camembert) gleichermaßen auf eine fremde Person, welche diese Welt das erste Mal kennenlernt und somit zur Identifikationsfigur für das Publikum wird. Für Erwan wird der titelgebende Club dabei zu einem Ort der Selbstfindung, an dem er lernt, er selbst zu sein und eine Art Heimat für sich zu finden. Dabei haben der Fischer und die schrillen Männer in den bunten Kostümen auf den ersten Blick wenig gemeinsam. The Bearded Mermaid setzt die Melancholie des einsamen jungen Protagonisten und die knallbunte Lebenslust der anderen in einen Kontrast. Das hört sich etwas nach Culture Clash an. So richtig viel Humor gibt es bei dieser Begegnung aber nicht, das hier ist kein Priscilla – Königin der Wüste, das aus der Gegenüberstellung eines aufgetakelten Trios und der ländlichen Bevölkerung Komik erzeugt.
Freundlicher Safe Space
Auf große Tragik wird aber ebenso verzichtet. Das heißt nicht, dass es keine traurigen und nachdenklichen Momente gibt. Immer wieder wirft der Film einen Blick hinter die Kulissen und schaut sich die Menschen an, die sich Tag für Tag in die Kostüme zwängen. The Bearded Mermaid bleibt auf diese Weise nahe an den Figuren dran. Tatsächlich gerät die Außenwelt dabei etwas in Vergessenheit, man bekommt wenig davon mit, was drumherum so geschieht. Auf der einen Seite ist das naheliegend, da solche Schauplätze immer auch Safe Spaces sein sollen, in denen sich die Figuren selbst ausdrücken können. Nur hat man oft selbst in den Momenten, in denen sie sich hinauswagen, das Gefühl, nie ganz in der Realität angekommen zu sein.
Das muss einen nicht stören, nicht jeder Film muss ein Sozialdrama sein. Die französische Produktion ist deutlich freundlicher, meint es letztendlich gut mit den Figuren, selbst wenn sie zwischendurch durchs Leben stolpern und nicht ganz wissen, wie sie weitermachen sollen. Insofern ist auch The Bearded Mermaid eine Art Safe Space, in dem alle Kraft tanken können, sich ein wenig fallen lassen und zugleich die Welt zu einer Bühne machen. Das tut gut, ohne kitschig zu werden, ermuntert dazu, sich auszuprobieren und einen Ort für sich zu finden. Das Ergebnis ist ein schöner und ruhig erzählter Film, flüchtig und wohltuend wie eine Umarmung, von dem man sich aber manchmal wünschen würde, er wäre ähnlich exzentrisch wie die Darbietungen auf der Bühne.
OT: „La Sirène à barbe“
Land: Frankreich
Jahr: 2024
Regie: Arthur Delamotte, Nicolas Bellenchombre
Drehbuch: Nicolas Bellenchombre, Shimon Urier
Musik: Nicolas Engel, Pierrick Le Bras, Antoine Rozé
Kamera: Arthur Delamotte, Maxence Labreux
Besetzung: Alonso Ojeda, Aurélie Decaux, Elodie Lunoir, Fabrice Morio, Maxime Sartori, Victor Grillot
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