
Immer wieder hat Frank Lange (Milan Peschel) Kopfschmerzen. Als er deswegen einen Arzt konsultiert, kann er kaum glauben, welche Diagnose am Ende steht: Frank habe einen bösartigen Gehirntumor. Viel Hoffnung macht man ihm deswegen nicht. Der Tumor sei bösartig und inoperabel, nur noch wenige Monate bleiben dem 44-jährigen Familienvater. Seine Frau Simone (Steffi Kühnert) versucht zwar, ihm bei allem zur Seite zu stehen und ihm während dieser schwierigen Zeit zu helfen. Doch dabei gerät sie ebenso an ihre Grenzen wie die beiden gemeinsamen Kinder Lilli (Talisa Lilli Lemke) und Mika (Mika Nilson Seidel), zumal Frank sich auch unter dem Einfluss der Medikamente verändert. Immer wieder hat er Aussetzer, kann sich nicht erinnern. Und dann wären da noch die Halluzinationen, die mit der Zeit stärker werden …
Über das Leben mit dem Tod
Eigentlich gehört er fest zu unserem Leben dazu: der Tod. Nicht nur, dass wir alle einmal sterben werden, so sehr wir uns auch dagegen stemmen. Die meisten von uns werden im Laufe der Zeit viele Menschen verlieren und müssen uns mit diesem Verlust auseinandersetzen. Und doch verdrängen wir dieses Unausweichliche gern, wollen nicht darüber sprechen, wollen es nicht wahrhaben. Umso wichtiger ist es, dass Filme uns an das Thema heranführen und zeigen, was das bedeutet. Umso wichtiger ist aber auch, sich einfühlsam damit zu beschäftigen, ohne Kitsch und Beschönigung, ohne dreiste Manipulation. In der letzten Zeit hat es mehrfache sehenswerte Beispiele gegeben, wie so etwas aussehen kann, darunter den deutschen Fernsehfilm Sterben für Beginner oder das poetische Wenn das Licht zerbricht. Schon etwas älter, aber ebenfalls sehr gelungen ist Halt auf freier Strecke.
Dabei wird nicht lang gefackelt, bis das Thema zur Sprache kommt. Schnell ist das Szenario skizziert: Der Vater stirbt, die Familie muss irgendwie damit klarkommen. Der Film verfolgt dabei einen mehrperspektivischen Ansatz. Zwar steht Frank im Mittelpunkt, die Krankheit bestimmt bald völlig das Geschehen. Aber es geht nicht allein um sein Leid, sondern auch die Auswirkungen auf die anderen. Wie geht man damit um, dass ein geliebter Mensch stirbt? Die Auswirkungen können dabei emotionaler Natur sein oder auch praktischer, wenn Frank eigentlich nichts mehr allein kann. Halt auf freier Strecke macht dabei aber nicht den Fehler, den viele Filme begehen, indem sie die Angehörigen nur durch das Unglück definieren wollen. Simone und die anderen sind tatsächliche Individuen mit einem eigenen Leben und einer eigenen Persönlichkeit.
Zwischen dokumentarisch und skurril
Das Drama, das 2011 in der Sektion Un Certain Regard in Cannes Weltpremiere hatte, ist dabei über weite Strecken sehr nah an den Figuren dran. Wie schon in seinen früheren Werken wie Sommer vorm Balkon setzt Regisseur und Co-Autor Andreas Dresen auf eine Beiläufigkeit, die ins Dokumentarische geht. Man hat bei Halt auf freier Strecke tatsächlich das Gefühl, Teil einer realen Familie zu sein und von der Seite aus zu beobachten, wie sie diese Zeit erlebt. Aus dem Rahmen fallen dabei jedoch die Halluzinationen. Wenn wir Thorsten Merten als Personifizierung des Tumors sehen und dieser etwa in einer Talkshow auftritt, ist das sicherlich ein origineller und skurriler Einfall. Er passt nur nicht zum Rest des Films, der Kontrast ist zu stark.
Insgesamt ist das hier aber sehr sehenswert. Das liegt auch an dem Ensemble, das bis in die kleinste Nebenrolle überzeugt. Dabei darf vor allem Milan Peschel glänzen. Während sich der Schauspieler oft durch minderwertige Komödien wie #SchwarzeSchafe unter Wert verkauft, kann er hier beweisen, wie groß sein Talent wirklich ist, wenn man ihn lässt. Im Laufe der rund anderthalb Stunden zeigt er seine Bandbreite, wenn der Protagonist zwischen Wut, Trauer und Ratlosigkeit schwankt. Gerade auch die Szenen, in denen er an den banalsten Aufgaben scheitert, gehen durch Mark und Bein. Und doch ist Halt auf freier Strecke eben kein Film, der sich über das Leid profiliert und sich allein darauf reduziert. Das Drama erzählt auch von Zusammenhalt und davon, dass das Leben weitergeht, weitergehen muss – so unglaublich das zwischendurch erscheinen mag.
OT: „Halt auf freier Strecke“
Land: Deutschland
Jahr: 2011
Regie: Andreas Dresen
Drehbuch: Andreas Dresen, Cooky Ziesche
Musik: Jens Quandt
Kamera: Michael Hammon
Besetzung: Steffi Kühnert, Milan Peschel, Talisa Lilli Lemke, Mika Nilson Seidel, Ursula Werner, Marie Rosa Tietjen, Otto Mellies, Christine Schorn
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