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Cédric Klapisch [Interview 2025]

Die Farben der Zeit (Kinostart 14. August 2025) erzählt auf zwei Zeitebenen von einer Familie. Während Adèle (Suzanne Lindon) Ende des 19. Jahrhunderts nach Paris reist, um erstmals ihre leibliche Mutter zu treffen und dabei zahlreiche Künstler kennenlernt, versuchen in der Gegenwart ihre Nachkommen Abdel (Zinedine Soualem), Guy (Vincent Macaigne), Céline (Julia Piaton) und Seb (Abraham Wapler) mehr über sie herauszufinden. Schließlich haben sie das Haus von Adèle geerbt und müssen nun entscheiden, was damit geschehen soll, ohne auch nur irgendetwas über sie zu wissen. Wir haben uns mit Regisseur Cédric Klapisch bei der Deutschlandpremiere der Tragikomödie beim Filmfest München 2025 getroffen. Im Interview sprechen wir über die Besonderheit der damaligen Zeit, das Konzept Familie und die Kunst.

Wie bist du auf die Idee für Die Farben der Zeit gekommen?

Ich wollte unbedingt mal einen Kostümfilm machen und brauchte dafür eine passende Geschichte. Mir war dabei von Anfang an klar, dass der Film zu dieser Zeit spielen sollte, also dem Ende des 19. Jahrhunderts, weil ich davon erzählen wollte, wie die Fotografie die Malerei verändert hat. Du musstest bei den Bildern nicht mehr die Realität exakt nachstellen, weil das ja die Fotos nun erledigten. Dadurch löste sich die Malerei von der rein abbildenden Kunst. Wenn du dir beispielsweise den Impressionismus anschaust, da ist etwas ganz Eigenes entstanden. Die Geschichte sollte dann auch von diesen Veränderungen erzählen, von dem technologischen Fortschritt. Ich wollte aber auch die Gegenwart zeigen und mit der alten Zeit vergleichen. Auf die Familiengeschichte kamen wir daher, um eine Verbindung zwischen diesen beiden Epochen herstellen zu können.

Aber warum eine Familiengeschichte? Du hättest auch eine parallele Erzählung über Künstler in der Gegenwart machen können.

Tatsächlich ist der Film für mich inzwischen hauptsächlich einer über Familie, weniger über Kunst. Wir erzählen davon, wie unterschiedlich Familien sein können. Wenn du dir deine Familie anschaust und die einzelnen Leute miteinander vergleichst, siehst du schnell, dass sie alle ganz anders sind. Schon wenn du sagen wir mal vier Brüder und Schwestern hast, ist es unglaublich, wie unterschiedlich die alle sind, obwohl sie dieselben Eltern haben und zusammen aufgewachsen sind. Das ist für mich auch das Spannendere: die Vielfalt zu zeigen, nicht die Gemeinsamkeiten.

Als wir die Figuren das erste Mal treffen, kennen sie sich noch gar nicht, obwohl sie verwandt sind. Es gibt also die Blutsverwandtschaft, aber keine Verbundenheit. Was macht für dich eine Familie aus?

Das ist eine große Frage. Jede Familie legt ihre eigenen Regeln fest, da gibt es keine Allgemeingültigkeit. Du kannst Brüder haben, die sich sehr nahestehen, und Brüder, die sich nicht ausstehen können. Es ist noch nicht einmal so, dass das klassische Bild von Vater, Mutter und Kind noch funktioniert. Heutzutage können auch homosexuelle Paare Kinder haben, was ganz andere Formen von Familien hervorbringt. Umgekehrt sind früher vielleicht mehr Frauen bei der Geburt eines Kindes gestorben, das dann ohne Mutter aufgewachsen ist. Deswegen ist es für mich schwierig zu sagen, was eine Familie überhaupt ist.

Du hast vorhin erwähnt, dass du das späte 19. Jahrhundert auch gewählt hast, weil sich durch die Fotografie die Malerei ändern musste. Allgemein hat sich damals viel in kurzer Zeit verändert. Ist das vielleicht auch mit einer gewissen Nostalgie verbunden, über diese Zeit zu sprechen, weil es damals so eine Aufbruchstimmung gab? Heute findest du eine solche ja kaum noch.

Das stimmt schon mit heute. Wobei ich selbst keine Nostalgie empfinde und auch nicht sagen würde, dass die damalige Zeit irgendwie besser war. Du hast heute ganz viele Dinge, von denen du weißt, dass sie Schattenseiten haben. Autos, Internet, künstliche Intelligenz – all das stellt einen Fortschritt dar, ist aber nicht ausschließlich ein Fortschritt. Früher dachtest du, dass jeder Fortschritt ausschließlich positiv ist, dass jede Erfindung uns voranbringt. Heute achten die Menschen mehr auf die Details. Das späte 19. Jahrhundert war eine sehr kreative Zeit für Maschinen, die Fotografie war neu, Elektrizität war neu. Die heutige Zeit ist ebenfalls sehr kreativ, was Technologien angeht, weshalb die beiden Epochen sich ähnlich sind. Du hattest übrigens auch damals Misstrauen. Die Eisenbahn zum Beispiel machte vielen Menschen Angst. Das gilt auch für gesellschaftliche Veränderungen. Dass Frauen auch lesen und schreiben dürfen sollten, machte manchen Angst, ebenso das Frauenwahlrecht. Letztendlich geht es immer darum zu entscheiden, welche Entwicklung wir fortsetzen wollen. Und das ist eine Entscheidung, die je nach Mensch sehr unterschiedlich ausfallen kann.

Wenn du dir eine Epoche aussuchen könntest, die du besuchst, etwa durch eine Zeitmaschine, welche wäre das?

Wahrscheinlich würde ich wirklich das späte 19. Jahrhundert besuchen. Ich habe es ja nicht direkt kennengelernt. Das, was wir daraus gemacht haben, ist letztendlich auch eine Fantasie. Ich fände es außerdem großartig, Leute wie Monet kennenzulernen, dessen Bilder ich sehr bewundere. Alternativ fände ich auch das antike Griechenland spannend, mit Leuten wie Platon oder Sophokles. Ich würde so gern die Theater von damals besuchen, um zu sehen, wie das war.

In Die Farben der Zeit lernen wir Adèle kennen, die das Lesen und Schreiben lernt und dadurch eine Möglichkeit findet, sich selbst auszudrücken. Und dann hast du die beiden Künstler, die Bilder nutzen, um sich auszudrücken – Lucien durch Fotografien, Anatole durch Gemälde. Als Filmemacher verwendest du beides: Sprache und Bilder. Welches der beiden Werkzeug ist für dich wichtiger, um deine Geschichten zu erzählen?

Ich habe mit zwölf angefangen zu fotografieren und habe zuerst fotografiert, bevor ich mit Filmen angefangen habe. Es hat lange gedauert, bis ich das Drehbuchschreiben gelernt habe. Erst nach einigen Jahren wusste ich ungefähr, wie das geht. Nachdem ich mich jahrelang auf das Schreiben und die Texte konzentriert habe, fühle ich mich bei meinen Filmen jetzt freier, auch Bilder zu verwenden, und mich weniger auf die Sprache und Dialoge zu verlassen, um die Geschichte zu erzählen.

Fotografie diente im 19. Jahrhundert primär der akkuraten Abbildung der Außenwelt, weshalb die Malerei sich stärker auf das Künstlerische verlagert hat. Inzwischen ist aber auch Fotografie zu einer Kunstform geworden. Wo zieht man da noch die Grenze? Ab wann ist etwas Kunst?

Das ist genau die Frage, die sich eine meiner Figuren selbst stellt, als sie sich eines ihrer Bilder anschaut. Wir haben dabei an La dolce vita – Das süße Leben gedacht. Mastroianni spielt da einen Journalisten, der gern ein Schriftsteller wäre. Da geht es dann auch um die Frage: Was ist der Unterschied zwischen dem Schreiben eines Artikels und dem Schreiben eines Romans? Ich kann da auch keine richtige Antwort geben. Aber es ist spannend darüber nachzudenken, wo die Grenzen zwischen dem einen und dem anderen liegen.

In Die Farben der Zeit heißt es an einer Stelle, dass ein Kunstwerk unbezahlbar ist, als die Familie über das verschollene Bild stolpert. Kann Kunst unbezahlbar sein?

Auf jeden Fall. Ein Bild von Monet ist unbezahlbar. Klar, wenn du es verkaufst, könntest du einen Preis von 50 Millionen ansetzen. Du könntest aber auch genauso gut 100 Millionen sagen. Es war übrigens beabsichtigt, dass die Frage offenbleibt, ob die Familie das Bild verkauft oder nicht. Denn darum ging es gar nicht. Es geht nicht um das wertvolle Gemälde, das sie gefunden haben, sondern den Weg, den sie gemeinsam dorthin zurückgelegt haben.

Vielen Dank für das Interview!

Zur Person
Cédric Klapisch wurde am 4. September 1961 in Neuilly-sur-Seine, Frankreich geboren. Er studierte Film in Paris, später auch in New York City, und begann in den 1980ern, eigene Filme zu drehen. Nach einigen Dokumentationen fürs Fernsehen und Kurzfilmen wie dem für einen César nominierten Ce qui me meut (1989) erschien 1992 sein erster Spielfilm Kleine Fische, große Fische. Seine größte Bekanntheit erlangte er bei uns durch seine internationale WG-Komödie L’auberge espagnole – Barcelona für ein Jahr (2002) und die beiden Fortsetzungen.



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