Was uns verbindet (Kinostart: 7. August 2025) beginnt mit einem harten Schicksalsschlag: Die Frau von Alex (Pio Marmaï) ist bei der Geburt der gemeinsamen Tochter gestorben. Damit wird nicht nur sein Leben auf den Kopf gestellt, sondern auch das von Eliott (César Botti), ihrem Sohn aus einer früheren Beziehung. Glücklicherweise ist da aber Nachbarin Nachbarin Sandra (Valeria Bruni Tedeschi), die der aus der Bahn geworfenen Familie beisteht und dabei selbst ein Teil derselben wird, ohne das eigentlich zu wollen. Wir haben Regisseurin Carine Tardieu bei der Deutschlandpremiere des Dramas auf dem Filmfest München 2025 getroffen. Im Interview spricht sie über die Entstehung des Films, ihre Definition von Familie und was Beziehungen mit einem Billardspiel gemeinsam haben.
Könnten Sie uns etwas über die Entstehungsgeschichte von Was uns verbindet verraten? Wie kam es zu dem Film?
Der Film basiert auf dem Roman L’Intimité von Alice Ferney. In der ersten Hälfte geht es um Sandra, eine feministische Buchhändlerin, die ihrem Nachbarn aushilft. Darin gibt es eine Stelle, die mich wahnsinnig berührt hat: Als der kleine Junge erfährt, dass seine Mutter tot ist, sagt er „schon?“. Dieses „schon“ war für mich der Ausgangspunkt, dass ich diesen Film machen wollte. Nur hat mich der zweite Teil des Buchs weniger interessiert, weshalb ich Ferney gefragt habe, ob ich die zweite Hälfte umschreiben darf, und sie war damit einverstanden. Ich habe die Geschichte also stark abgewandelt.
Und was hat Ihnen an dieser ersten Hälfte so gut gefallen, dass sie daraus einen Film machen wollten?
Mir gefiel die Idee, dass jemand, der eigentlich keine Mutterschaft möchte und damit nicht viel anfangen kann, dennoch eine Bindung zu einem Kind eingeht. Das fand ich sehr berührend. Außerdem habe ich selbst eine Tochter adoptiert und bin deshalb eine besondere Mutterschaft eingegangen. Für mich war das eine Revolution und von dieser Revolution wollte ich erzählen. Ich wollte erzählen, wie es ist, Eltern für ein Kind zu sein, ohne dass es eine Blutsverwandtschaft gibt.
Sie haben erwähnt, dass Sie Ferney gefragt haben, ob Sie die Geschichte ändern durften. War sie bei der Adaption dann überhaupt noch involviert?
Nein, sie war nicht beim Drehbuch involviert. Sie hat es aber aus Interesse gelesen. Es hat ihr auch gefallen und sie war als Autorin intelligent genug zu erkennen, dass ihr Roman ein eigenständiges Werk ist und mein Film ebenso. Wenn man bei der Adaption eines Romans zu sehr an der Vorlage bleibt, geht das oft schief. Ferney hat auch den Film gesehen und mag ihn. Sie fühlt sich in keiner Weise dadurch verraten, dass da andere Elemente sind. Für sie ist der Geist ihres Buches auch in dem Teil, den sie nicht geschrieben hat.
Waren Sie dennoch nervös, als sie sich den Film angeschaut hat?
Nein. Sie kannte das Drehbuch ja schon und war davon berührt, weshalb der Film keine große Überraschung für sie war. Klar wollte ich schon, dass ihr mein Film gefällt. Aber es hätte jetzt auch nicht viel für mich geändert, wenn es anders gewesen wäre. Ferney war übrigens bei einigen Vorführungen mit dabei und hat den Film mit mir präsentiert. Er war in Frankreich auch ziemlich erfolgreich, wodurch die Verkaufszahlen ihres Buchs noch einmal gestiegen sind. Das hat ihr natürlich auch gefallen.
Ein großes Thema im Film ist die Familie und die Frage, wie eine solche aussehen kann, auch über eine Blutsverwandtschaft hinaus. Manche Familien entstehen natürlich, andere werden konstruiert. Was bedeutet für Sie Familie?
Das ist nicht so einfach zu beantworten. Es gibt ja den Ausdruck, dass gute Freunde für einen wie eine Familie sind. Man hat das Gefühl, in einer Familie zu sein. Wichtig ist glaube ich, dass es Menschen sind, von denen du möchtest, dass sie dich begleiten, in den besten Momenten, aber auch in den schlimmsten Momenten. Dass sie einfach irgendwie da sind. Und dass sie dir gegenüber wohlwollend sind, selbst dann, wenn du dich ihnen gegenüber nicht toll verhältst. Dass sie dich in deiner Gesamtheit sehen und dich nicht aufgeben, nur weil du eine Charakterschwäche hast. Für mich ist Familie dieses Gefühl einer Zusammengehörigkeit und einer Akzeptanz. Aber das ist schwer zu definieren, weil das eine Gefühlssache ist.
Ihr Film heißt L’attachment, auf Deutsch „Die Verbindung“. Woher kommt es Ihrer Meinung nach, dass wir uns manchen Menschen gegenüber verbunden fühlen, selbst wenn es keinen äußeren Grund wie eine Blutsverwandtschaft gibt?
Bei Sandra ist es so, dass sie die Nachbarin ist. Sie lebt seit Jahren dort, hatte aber eigentlich nie viel mit der Familie zu tun. Als aber die Mutter stirbt, füllt sie diese Leerstelle aus, weil sich der Junge so an ihr festkrallt. Bei anderen ist diese Verbindung romantisch oder freundschaftlich. Man fühlt sich irgendwie hingezogen. Dafür kann es tausend Gründe geben. Es kann der Humor sein, den du teilst. Vielleicht ist es auch etwas Banales wie die Hände, die dich an die deines Vaters erinnern. Eine eindeutige Definition gibt es aber nicht, was eine Verbindung auslöst.
Sie beobachten in Was uns verbindet diese Konstellation über einen längeren Zeitraum hinweg. Während dieser Zeit verändert sich die Dynamik mehrfach. Wie würden Sie diese beschreiben?
Mir fällt dabei eine Metapher ein, die ich sonst nie hatte: ein Billardtisch. Die Menschen sind wie diese Billardkugeln. Du stößt eine an, die darauf andere bewegt. An manche näherst du dich an, von anderen entfernst du dich wieder. Es geht am Ende immer über die Gefühle der einzelnen Figuren. Es sind diese emotionalen Bewegungen, die mich dabei interessieren, weniger das Drama, das am Anfang des Films da ist. Für mich ging es nicht allein um den Tod der Mutter, sondern wie sich das alles mit der Zeit verändert. Wie sich Beziehungen mit der Zeit verändern, weil sich die Gefühle dahinter verändern. Alexandre ist allein mit den beiden Kindern. Er fängt dann an, sich an Sandra zu klammern, weil er sich einbildet, in sie verliebt zu sein. Aber sie blockt ihn ab. Und weil sie ihn auf Distanz hält, füllt er diese Leerstelle mit einer anderen Frau. Diese ist dann davon berührt und die zwei verlieben sich wirklich. Die Frage ist nur: Haben sie sich aus den richtigen Gründen verliebt? Erst später merkt sie, dass sie sich vielleicht geirrt haben und sie nur dachte, sie müsse eine Familie haben, weil sie es so gewohnt ist. Die Gefühle sind dann doch zu komplex und in einer ständigen Bewegung – wie eben in einem Billardspiel.
Vielen Dank für das Interview!
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