
Der alte Pacífico (Francisco Melo) lebt mit seiner jungen Tochter Carola (Katalina Sánchez) in spärlichen Verhältnissen in der Atacama-Wüste im Norden Chiles. Dort betreibt er eine illegale Kupfermine. Jeden Tag sammeln Vater und Tochter eine Handvoll Tagelöhner, zu denen auch Carolas Patenonkel Juan María (Daniel Antivilo) zählt, mit dem Pick-up-Truck ein und machen sich auf den langen Weg durch die Wüste. Während die Männer unter Pacíficos Anleitung dem Gestein mit Dynamit auf den Leib rücken, steht Carola in der Küche. In einem ausrangierten Bus, der in der Mittagshitze als Unterstand dient, bereitet sie die Mahlzeiten zu. Was die Tagelöhner nicht wissen: Ganz in der Nähe versteckt sich ein stillgelegter Stollen, in dem Pacífico eine Goldader vermutet. Das dort schlummernde Edelmetall soll sein Ticket in ein besseres Leben werden. Carola und er träumen von einem Haus am Meer. Doch dann machen der Arbeiter Humberto (Michael Silva) und seine mächtige Verwandtschaft den Zukunftsplänen einen Strich durch die Rechnung.
Hochkaräter unter sengender Sonne
Der Wind weht durch die Atacama-Region. Noch bevor das erste Bild in Juan Francisco Oleas Bitter Gold zu sehen ist, ist er zu hören und bildet die stimmungsvolle Geräuschkulisse eines visuell bestechenden Films. Zwischen gelbem Sand, braunen Bergen und strahlend blauem Himmel leuchtet in der Ferne ein heller Punkt. Unter den Stromleitungen, die parallel zur Wüstenstraße verlaufen, hat der alte Pacífico seinen weißen Pick-up-Truck geparkt. Während seine Tochter Carola auf dem Beifahrersitz mit dem Handy spielt, verliert der Vater – die Zigarette nervös in der Hand – hinter dem Steuer die Geduld. Pacíficos Minenarbeiter haben auf der Pritsche hinter dem Fahrerhaus Platz genommen, nur einer ist zu spät: Humberto, der kurz darauf und nicht zum ersten Mal sturzbetrunken angeradelt kommt. Doch Pacífico kann den Störenfried nicht einfach vor die Tür setzen. Dafür ist Humbertos Verwandtschaft hier, mitten im staubtrockenen Nirgendwo, zu einflussreich, woran Carola ihren Vater erinnert. Als Pacífico es schließlich doch tut, hat es fatale Folgen.
Schon diese ersten Minuten beeindrucken. Das Drehbuchgespann, das aus gleich fünf Köpfen besteht – was in der Regel kein gutes Zeichen ist –, hat die Handlung von allem unnötigen Ballast befreit. Die Figuren, ihre Konflikte, ein tödlicher Vorfall und die Kettenreaktion, die er auslöst, sind allesamt aufs Wesentliche reduziert. Archetypen, die nicht zuletzt aufgrund der archaischen, von Kameramann Sergio Armstrong (¡No!, El Club, Ema) atemberaubend eingefangenen Landschaft, durch die sie sich bewegen, an einen modernen Western erinnern. Doch Bitter Gold ist mehr als nur ein handwerklich gut gemachter Genrebeitrag. Trotz aller Reduktion legt er die komplexe Struktur patriarchaler Seilschaften, Denk- und Verhaltensmuster offen und erzählt die Geschichte einer emanzipierten Selbstermächtigung.
Staubtrockener Neo-Western
„Im traditionellen Western steht in der Regel ein männlicher Held im Mittelpunkt – oft ein Einzelgänger oder Außenseiter –, der sich gegen eine feindliche Umgebung, Gesetzlosigkeit oder eine Bedrohung von außen behaupten muss“, sagt Juan Francisco Olea. In seinem zweiten abendfüllenden Spielfilm füllt mit der von Katalina Sánchez ebenso einnehmend wie eindrucksvoll gespielten Carola eine Frau diese Rolle aus. Nach einem gravierenden Wendepunkt in der Handlung (der an dieser Stelle nicht verraten wird) findet sich Carola in den Fußstapfen ihres Vaters wieder und muss alle drei von Olea beschriebenen Hindernisse überwinden. Der Regisseur belässt es allerdings nicht dabei, die klassische Rollenverteilung einfach nur umzukehren. Carola ist minderjährig und dadurch doppelt belastet. Die Männer um sie herum nehmen sie aus gleich zwei Gründen nicht ernst: weil sie eine Frau und weil sie in ihren Augen noch ein Kind ist.
Wie jeder gute (Neo-)Western handelt auch Bitter Gold vom Übergang: von Grenzziehungen, Grenzübertretungen und Grenzverschiebungen. Carola steht an der Schwelle zum Erwachsensein und an der Grenze zur Legalität, was mit ihrem Vater zusammenhängt. Denn so friedfertig, wie es sein Name nahelegt, ist Pacífico nicht. Und die Mine, die er betreibt, gehört ihm nicht. Er beutet sie schlicht und ergreifend deshalb aus, weil es niemand anderes tut; ist im doppelten Sinn ein Goldgräber. Als Konkurrenz auftaucht, um sich die Mine unter den Nagel zu reißen, hat Carola keinerlei rechtliche Handhabe. In dieser staubtrockenen Welt, in der das Gesetz des Stärkeren gilt, kann sie körperlich nicht bestehen. Zum Glück hat sie Köpfchen, mit dem sie die Machos aufs Kreuz legt.
Spannend bis zum Schluss
„Natürlich handelt es sich bei Bitter Gold nicht um einen traditionellen Western mit Cowboys zu Pferd und Revolvern am Gürtel, sondern um eine moderne Interpretation einiger seiner Elemente“, sagt der Regisseur über seinen Film. Und man möchte ergänzen, dass es die moderne Interpretation eines Spätwesterns ist, so gebrochen sind viele Figuren, so feige sind die letzten aufrechten Männer und so pessimistisch ist der gesellschaftliche Grundanstrich. Einziger Lichtblick ist die Protagonistin. Zwar bricht auch sie Moral und Gesetz, befreit sich dadurch aber ein für allemal von dieser korrumpierten Welt und fährt der Freiheit entgegen. Das ist auch deshalb so gut, weil es bis zur letzten Minute spannend und mitreißend bleibt.
OT: „Oro Amargo“
Land: Chile, Deutschland, Mexico, Uruguay
Jahr: 2024
Regie: Juan Francisco Olea
Drehbuch: Francisco Hervé, Moisés Sepúlveda, María Luisa Furche, Agustín Toscano, Nicolás Wellmann
Musik: Sofía Scheps
Kamera: Sergio Armstrong
Besetzung: Katalina Sánchez, Francisco Melo, Michael Silva, Daniel Antivilo, Moisés Angulo, Carlos Donoso
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