
Fragt man jemanden, der mit der Weltpolitik vertraut ist, was eigentlich hinter den Kulissen der Macht passiert, bekommt man nicht selten eine etwas beunruhigende Antwort. Es ist durchaus keine Verschwörungstheorie anzunehmen, dass die Neuigkeiten, von denen wir in der Tagespresse erfahren oder wir in den TV-Nachrichten hören, nur eine Seite der Medaille bilden. Die Mechanismen der Macht und der Politik funktionieren nach einem Prinzip, was vielen verschlossen bleibt und eventuell ist dies auch gut so, denn die Wirklichkeit kann unter Umständen sehr beunruhigend sein.
Dennoch sind es gerade diese Hintergründe, die Anekdoten oder vielleicht auch der Klatsch und Tratsch, der uns eine Einsicht gewährt und verstehen lässt, wie unsere Welt funktioniert. Es sei unsere Aufgabe, aus der Vergangenheit zu lernen und Zusammenhänge zu erkennen, ist ein Satz der ehemaligen US-Geheimagenten Peter Sichel. Doch leider sind es nicht selten eben die Menschen, die in den Schaltzentralen der Macht sitzen, die sich weigern, diese Verbindungen zu erkennen. So tappt man immer in dieselben Fallen und geht jenen auf den Leim, die ein Narrativ bedienen, was schon einmal die Welt in Chaos gestürzt hat.
„Man fühlt sich zuvorderst der Wahrheit verpflichtet, doch die andere Seite möchte am liebsten an den eigenen vorgefassten Meinungen und ideologisch aufgeladenen Sichtweisen festhalten.“ Dieser Satz aus der Einleitung zu Sichels Biografie Die Geheimnisse meiner drei Leben: Flüchtling, Geheimagent und Weinhändler fasst treffend ein nach wie vor aktuelles politisches wie gesellschaftliches Debakel auf. In Katharina Otto-Bernsteins Dokumentation The Last Spy, die auf dem Filmfest München Weltpremiere feierte, erzählt Sichel von den Stationen seines Lebens, mit besonderem Fokus auf seiner Zeit beim OSS und später dem CIA.
Angefangen von der Flucht seiner Familie vor den Nazis nach 1933 bis hin zu seinen ersten Missionen für die OSS, die ihn bereits mit einigen historischen Persönlichkeiten zusammenbrachte, erzählt die Dokumentation eines Menschen, der viel vorausgesehen hat, dem aber nicht immer Glauben geschenkt wurde. Über die Schilderungen Sichels wird aber nicht nur sein Leben gezeigt, sondern auch die Geschichte eines Geheimdienstes und wie Informationen beschafft wurden, die für das weltpolitische und nationale Geschehen oft entscheidend waren. The Last Spy ist eine faszinierende Dokumentation, nicht zuletzt, weil der Zuschauer Sichel, wie bestimmt auch Otto-Bernstein, interessiert zuhört.
Doublethink
Neben den historischen Hintergründen sind es vor allem die mit weiteren Interviews oder Archivmaterial angereicherten Anekdoten Sichels, die The Last Spy sehr interessant machen. Otto-Bernsteins Gesprächspartner erklärt beispielsweise die Schwierigkeit, ein Netzwerk von Spionen in West-Berlin aufzubauen und in den von der Sowjetunion kontrollierten östlichen Teil der Stadt zu gelangen. Auch die zahlreichen, misslungenen Versuche der USA, die als Versuche galten, eventuelle spätere Verbündete der Sowjetunion politisch zu destabilisieren und dann zu demokratisieren, finden ihren Platz in der sehr detaillierten und pointierten Schilderung Sichels.
Dabei macht er nicht selten sehr provokative, aber faktisch korrekte Aussagen, wie beispielsweise zu der Mitschuld des Westens an der Iranischen Revolution, deren Auswirkungen bis heute spürbar sind. Das Orwellsche „Doublethink“, so Sichel, wird zu einer Prämisse westlicher Politik, nach der man demokratische Ideale zwar propagiert, aber auch gewillt ist, Diktatoren oder autoritäre System zu tolerieren, sofern diese den eigenen Interessen in die Karten spielen. Es findet sich sehr viel Gesprächsstoff in den Aussagen Sichels, die dieser ruhig und entschieden vorträgt. Wie seine Tochter sagt, ist er kein Mensch, der Konflikte scheut und ehrlich ausspricht, was er denkt. So wird The Last Spy zu einer packenden Geschichtsstunde, deren Einsichten in die Weltpolitik faszinieren und mehr als einmal sogar beunruhigen.
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