Seit Anbeginn des geschriebenen Wortes sammeln Bibliotheken das bekannte, gebundene Wissen der Menschheit. Gleichzeitig sind mit ihnen Tragödien und Mysterien verbunden. So gibt es zahllose Fragen bezüglich der Zerstörung der Bibliothek von Alexandria, der Existenz der Bibliothek Iwan des Schrecklichen oder der Geheimnisse der Bibliothek im Vatikan. Auch lassen sich Gründungsmythen einer Gesellschaft aufgrund einer Bibliothek festmachen oder auch wiederfinden; auf den Grundpfeilern einer Bibliothek kann eine Gesellschaft ihre eigene Kraft zurückgewinnen sowie einen kulturellen Raum erschaffen. Dies streben die Autorin Shiro Koinange und die Publizistin Angela Wachuka in der Dokumentation How to Build a Library von Maia Lekow und Christopher King an, worin die heruntergekommene McMillan Memorial Library in Nairobi für gleich mehrere Wunschträume der lokalen kenianischen Bevölkerung steht.
Mehrschichtige Dekolonialisierung
Seit ihrer Erbauung Anfang der 1930er bis in die 1960er hinein war die McMillan Memorial Library ein Denkmal der europäischen Kolonialisierung Afrikas: In der gesamten Zeit nur Weißen vorbehalten, erfuhr sie ihre allmähliche Demokratisierung erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, also ab der Unabhängigkeit Kenias, und somit auch die gemächliche Rückgewinnung kolonialer Strukturen durch die damals von Großbritannien unterdrückten Menschen Kenias. In den letzten Jahrzehnten vergessen und verkommen, nahmen Shiro Koinange und Angela Wachuka ab 2017 es sich zur Aufgabe, nicht nur die Bibliothek wiederherzustellen und zu aktualisieren, sondern diese auch zu einem kulturellen Zentrum Nairobis emporzuhieven. Dabei achten sie besonders auf die Aufnahme afrikanischer Autor*innen, deren Schriften und Filmaufnahmen bisher in verborgenen Kellermagazinen herumlagen, die in dieser Dokumentation gebührend zur Schau gestellt werden, eingeflochten in die inspirierenden und kraftvollen Erzählungen der beiden Frauen.
Leider reichen der pure Wille und die Unterstützung der Community nicht aus, um so ein bedeutungsvolles Gebäude mitsamt seiner Historie wiederherzustellen. Dem beständigen Prozess, der von Lekow und King einfühlsam und behutsam mithilfe auf Ästhetik bedachter, ruhiger Bilder und mit viel Raum für die Protagonistinnen dargestellt wird, kommt immer wieder das Monster der Bürokratie und Korruption in die Quere. Gleichzeitig äußern Koinange und Wachuka ihre Dilemmata zur Geschichte der Kolonialisierung und somit auch zur aktuellen versuchten Dekolonialisierung ganz offen: Sollen sie wütend sein oder dankbar? Dafür, dass die Bibliothek überhaupt erbaut wurde, aber auch als Raum der Segregation und Unterdrückung benutzt wurde? Sie betrachten Kolonialisierung nicht nur als Frage der Herkunft und Hautfarbe, sondern ebenso als Machtfrage – bis heute werden sie von Führern kolonialisiert, denn jeder, der an der Spitze der Regierung sitzt, wird von dieser Art von Macht verzehrt.
Bibliotheken sind politisch
Koinanges und Wachukas Intentionen sind rein; sie wollen ihrer Gesellschaft ihre Selbstkontrolle zurückgeben, in erster Linie für die Verbreitung von Kultur und Wissen sorgen. Dieses Bestreben fängt How to Build a Library auf sehr eindrucksvolle Art ein, da diese Dokumentation keine Sorge, keinen Rückschlag unbeachtet lässt. Der Kampf mit der Bürokratie, etliche Gerichtsprozesse, Fundraising-Versuche, die Streichung von Geldern, das alles erzählt keine lineare Erfolgsstory, da es diese schlicht in der Realität in diesem Falle nicht gibt. Es wäre unfassbar aufmunternd und ein Wohlgefühl erzeugend, würden die ehrenvollen Ambitionen des Duos schlussendlich von Erfolg gekrönt werden, doch das bleibt am Ende ambivalent.
Derzeit sei wohl eine Eröffnung im nächsten Jahr geplant, allerdings wissen weder die Betreiberinnen noch das Publikum, was in solch einer volatilen politischen Situation noch alles geschehen mag. Erst im Juni 2024 gab es Proteste gegen die Regierung, gegen die grassierende Korruption, in deren kräftezehrender Mitte sich die McMillan Memorial Library schließlich sieht. Egal wie es ausgehen mag, betrieben und betreiben Koinange und Wachuka einen enormen Aufwand, Wege zu finden, mit der Belastung der kolonialen Geschichte Kenias und dem jetzigen, immer noch währenden Selbstfindungsprozess umzugehen, und dafür gebührt ihnen jedweder Respekt.
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