Gabriele Lechner [Interview]

Der Camgaroo Award ist eine feste Größe in der deutschen Nachwuchsfilmförderung. Wir haben uns anlässlich der vierundzwanzigsten Verleihung mit der Initiatorin Gabriele Lechner unterhalten.

Wie kam es zur Gründung des Camgaroo Awards? Was war Ihre ursprüngliche Motivation?

Bereits Ende der 1980er-Jahre beschäftigte ich mich als Dozentin, Autorin und Verlegerin mit dem Einsatz des Computers im Filmbereich – damals noch basierend auf dem Commodore Amiga. Als Anfang der 2000er-Jahre die ersten digitalen Kameras auf den Markt kamen, eröffnete sich ein neues Kapitel für Filmschaffende: Erstmals war es möglich, mit erschwinglichen Geräten in sendefähiger Qualität zu drehen und mithilfe kostengünstiger Postproduktionssoftware Filme professionell am eigenen PC zu bearbeiten. Mein Anliegen war es von Anfang an, Menschen – insbesondere junge Menschen – aus dem Alltag heraus zu ermutigen, Medien nicht nur passiv zu konsumieren, sondern selbst kreativ tätig zu werden. Aus diesem Impuls heraus entstand – ergänzend zum Camgaroo Filmemacher-Magazin – der Camgaroo Award, der talentierten Nachwuchs- und Indie-Filmerinnen und -Filmern Sichtbarkeit und Anerkennung verschaffen sollte.

Was unterscheidet den Camgaroo Award von anderen Nachwuchsfilmpreisen?

Während viele Nachwuchspreise stark auf Filmhochschulen oder professionelle Projekte ausgerichtet sind, richtet sich der Camgaroo Award explizit auch an Autodidakten, Independentfilmschaffende und junge Kreative, die noch nicht im professionellen System arbeiten. Das schafft eine niedrigere Einstiegshürde und eine große kreative Vielfalt. Camgaroo versteht sich nicht nur als Preisverleihung, sondern steht für Austausch, Förderung und Vernetzung. Durch Workshops, Masterclasses und Keynotes entsteht ein echtes Festivalerlebnis mit Mehrwert für die Teilnehmenden. Das Camgaroo Film Festival setzt außerdem frühzeitig auf Zukunftsthemen wie KI in der Filmproduktion, neue Workflows, erschwingliche Cine-Technik (z. B. Canon EOS C80) und hybride Produktionsmethoden. Damit bietet es aktuelle Impulse statt rein klassische Bewertungskriterien.

Welche Entwicklungen beobachten Sie aktuell im Bereich des Nachwuchsfilms?

TikTok, Instagram Reels, YouTube Shorts & Co. schaffen neue filmische Ausdrucksformen und Erzählrhythmen. Nachwuchsfilmer denken nicht mehr nur in 90-Minütern oder Serienformaten, sondern oft in hybriden, plattformgerechten Formaten – oft sogar interaktiv oder crossmedial. Der Community Gedanke lässt neue Formen der Kooperation entstehen: Crowdfunding, aber auch Open Calls, Discord-Communities oder Filmchallenges. Nachwuchsfilmer organisieren sich zunehmend dezentral und kollaborativ, oft ohne klassische Produktionsfirmen oder Förderstrukturen. Und meiner Meinung nach ganz wichtig: Viele junge Filmschaffende beschäftigen sich mit sozialen, politischen und persönlichen Themen – Klimakrise, Krieg, Gerechtigkeit, Generationenkonflikte oder Diversität. Dabei wird Authentizität höher bewertet als Mainstream-Kompatibilität. Der Nachwuchs erzählt Geschichten, die in der klassischen Medienlandschaft oft zu kurz kommen.

Welche Herausforderungen und Chancen sehen Sie für junge Filmemacher heute?

Die Filmwelt ist heute offener, digitaler und experimenteller als je zuvor – ein Paradies für mutige, kreative Talente. Doch ohne Orientierung, Netzwerke und nachhaltige Förderung laufen viele junge Filmschaffende Gefahr, sich zwischen Plattformen, Tools und Möglichkeiten zu verlieren. Wer diese Dynamik versteht und gezielt nutzt – etwa durch Formate wie den Camgaroo Award – hat heute die Chance, sich auch ohne klassische Karrierepfade eine Stimme zu verschaffen.

Was macht für Sie einen herausragenden Nachwuchsfilm aus?

Ein herausragender Nachwuchsfilm überzeugt durch eine hervorragende Story, eine eigene Handschrift, authentische Emotionen und den Mut, neue Wege zu gehen. Er erzählt eine originelle Geschichte mit Haltung – unabhängig vom Budget – und nutzt die vorhandenen Mittel kreativ und wirkungsvoll. Entscheidend ist nicht die Perfektion, sondern die Persönlichkeit hinter dem Werk.

Nächstes Jahr wird der Camgaroo Award zum 25. Mal vergeben. Haben Sie damals damit gerechnet, dass es einmal zu diesem Jubiläum kommen wird? Haben Sie dafür etwas Besonderes geplant?

Damals habe ich noch nicht so weit in die Zukunft geblickt. Für mich standen stets der Moment und die Freude an der Sache im Vordergrund. Aber ich freue mich natürlich sehr, dass wir im nächsten Jahr den 25. Camgaroo Award feiern dürfen – und dass sich unser Camgaroo Festival über die Jahre hinweg zu einer immer attraktiveren Plattform für Filmschaffende entwickelt hat. Wir beginnen bereits jetzt mit der Planung für 2026 und haben viele Ideen. Lassen Sie sich überraschen!

Neben dem Camgaroo Award gibt es ja weitere Initiativen in Deutschland mit ähnlichem Ziel. Wenn Sie heute auf den deutschen Kinofilm blicken: Sehen Sie die Ergebnisse dieser Nachwuchsförderung auf der Leinwand?

Zum Teil ja. In einigen herausragenden Filmprojekten lassen sich die Früchte gezielter Nachwuchsförderung erkennen. Gleichzeitig ist klar: Ohne persönlichen Einsatz und Durchhaltevermögen der Filmschaffenden ist nachhaltiger Erfolg nicht möglich. Wenn ich auf unsere Camgaroo-Filmemacher zurückblicke, sehe ich viele Talente, die – vielleicht sogar ermutigt durch ihre Erfolge beim Camgaroo Award – ihre Filmkarriere mit Leidenschaft, Kreativität und Beharrlichkeit vorangetrieben haben und sich heute erfolgreich in der Branche behaupten. Ein eindrucksvolles Beispiel ist der Actiondesigner Vi-Dan Tran (Dune und Dune: Part Two), der zur Zeit bei zwei Hollywoodproduktionen parallel mitwirkt,  ebenso wie die Zwillingsschwestern Martina und Monika Plura – Martina als Regisseurin, Monika als Kamerafrau –, die aktuell an der zweiten Staffel der erfolgreichen Netflix-Serie Achtsam Morden arbeiten. Die erste Staffel erreichte bereits in der Woche nach Veröffentlichung Platz 1 der Netflix Global Top 10 der nicht-englischsprachigen Serien. Ich könnte noch zahlreiche weitere Namen nennen – engagierte Talente mit außergewöhnlichem Potenzial. Doch leider bleiben solche Erfolge oft Einzelfälle. Viele junge Filmschaffende scheitern an strukturellen Hürden wie niedrigen Budgets, langwierigen Finanzierungsprozessen oder rigiden Fördervorgaben. Besonders problematisch ist der von Sendern und Förderinstitutionen häufig unterstützte „Mainstream-Geschmack“, der mutige, originelle Projekte nicht selten schon im Ansatz ausbremst. Nachhaltige Nachwuchsförderung braucht daher mehr als nur finanzielle Mittel – sie erfordert strukturellen Mut, neues Denken und vor allem unkomplizierte Freiräume für junge Kreative. Was wir brauchen, ist eine echte Spielwiese für innovative Ideen und experimentelle Formate – abseits bürokratischer Hürden und standardisierter Erwartungshaltungen.

Wie halten Sie Ihre Leidenschaft für Film und Nachwuchsförderung lebendig?

Mit vielen unserer Camgaroo-Teilnehmern bin ich in Kontakt und stehe oft mit Rat und Tat zur Seite. Ihre unkonventionellen Ideen, ihr Mut und ihr Blick auf die Welt faszinieren mich immer wieder.  Und durch den Camgaroo Award bin ich automatisch immer wieder mit neuen interessanten Persönlichkeiten konfrontiert. Außerdem inspiriert mich der Wandel in der Branche – neue Technologien, neue Erzählformen, neue Stimmen – das alles hält mich wach, offen und neugierig. Letztlich geht es mir darum, Räume zu schaffen, in denen kreative Menschen wachsen können. Mit meiner Filmproduktionsfirma Camgaroo Productions GmbH habe ich außerdem die Möglichkeit geschaffen, das ein oder andere spannende Projekt als Produzentin oder Verleiherin zu begleiten.

Haben Sie schon einmal mit dem Gedanken gespielt, selbst einen Film zu drehen?

Ich habe bereits die Koproduktion bei zwei größeren Spielfilmprojekten übernommen – Pension Freiheit von Markus Kleinhans sowie Phantomschmerz von Daniel Littau und Andreas Olenberg. Während der Corona-Zeit habe ich gemeinsam mit einem jungen Filmteam um den Camgaroo-Award-Gewinner Mark Lohr den bayerischen Western Hopfen, Malz und Blei realisiert – ganz ohne Förderung und ohne institutionelle Unterstützung. Dieses Projekt war für mich eine ebenso herausfordernde wie bereichernde Erfahrung. Es ermöglichte mir, den Arbeitsalltag junger Filmschaffender aus nächster Nähe mitzuerleben – mit all seinen Höhen und Tiefen. Besonders eindrücklich war für mich, wie schwierig es ist, einen passenden Verleih für junge Filmproduktionen zu finden. Schließlich habe ich den Verleih selbst übernommen – und trotz der erschwerten Bedingungen während der Corona-Zeit konnten wir den Film erfolgreich in über 50 Kinos bringen. Zudem wurde er auf allen gängigen Streaming-Plattformen ausgewertet. Aktuell stehe ich in Kontakt mit verschiedenen Fernsehsendern, um den Film auch dort einem breiteren Publikum zugänglich zu machen.

Zu guter Letzt: Welche Frage wollten Sie schon immer beantworten, die Ihnen jedoch nie gestellt wurde?

Keine.

Zur Person
Gabriele Lechner wurde 1961 in Kempten geboren. 1986 zog sie nach München, wo sie 2002 den Camgaroo Award gründete und den deutschen Nachwuchsfilm auf vielfältige Weise unterstützt. Daneben ist sie auch als Unternehmerin und Malerin tätig.



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