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Szenenbild aus Eric Gravels Drama "Julie – Eine Frau gibt nicht auf" (© Plaion Pictures)

Eric Gravel [Interview]

Julie – Eine Frau gibt nicht auf (Kinostart: 7. März 2024) erzählt die Geschichte einer alleinerziehenden Mutter, die als Zimmermädchen in einem Luxushotel arbeitet. Eigentlich ist es ihr Traum, wieder im Marketing tätig zu sein. Nachdem sie aber der Kinder wegen so lange beruflich pausiert hat, hat sie Schwierigkeiten damit, eine entsprechende Stelle zu bekommen. Entsprechend groß ist der Stress, wenn sie zwischen ihren Pflichten als Mutter, ihrem Job im Hotel und der Suche nach einer neuen Arbeit hin und her gerissen ist. Wir haben Regisseur und Drehbuchautor Eric Gravel bei der Premiere auf dem Filmfest München zum Interview getroffen und uns mit ihm über sein Drama unterhalten.

Könntest du uns etwas über die Entstehungsgeschichte des Films verraten? Wie bist du auf die Idee gekommen?

Mein erster Film war ein Roadmovie und ich wollte dieses Mal einen Film machen, der etwas lokaler ist. Es sollte ein Film sein, der von dem Ort handelt, wo ich lebe, eine etwas ländliche Gegend rund anderthalb Stunden von Paris entfernt. Dort leben sehr viele Menschen, die jeden Tag diese Strecke fahren. Für mich war das unvorstellbar. Als ich dorthin gezogen bin, war für mich klar, dass das zu weit ist. Mehr als ein bis zweimal pro Woche würde ich nicht nach Paris fahren. Und als ich doch einmal eine ganze Woche lang pendeln musste, war ich im Anschluss sehr erschöpft. Du bist ständig darauf angewiesen, dass alles klappt und nicht gerade etwas bei der Bahn kaputt ist oder irgendwo ein Streik ist. Also wollte ich von den Menschen erzählen, die jede Woche früh morgens den Zug nehmen und erst nachts nach Hause kommen und wie sich das Leben für sie anfühlt.

Und wie kam es von da zu der alleinerziehenden Mutter?

Ich habe nach jemandem gesucht, der zu kämpfen hat, der aber keine eigene Stimme hat. Jemand, der nicht einfach mal streiken kann, weil er sich auch allein um die eigenen Kinder kümmern muss. Und das sind nun einmal meistens Frauen, leider. Vielleicht liegt es aber auch daran, dass ich insgesamt lieber die Geschichten von Frauen erzähle.

Deine Protagonistin arbeitet in einem Luxushotel. Warum hast du dich für dieses Setting entschieden?

Es musste eine Arbeit sein, die selbst nicht von Streiks betroffen ist. In Luxushotels streikst du nicht, weil du nicht durch eine Gewerkschaft vertreten wirst. Außerdem sollte es eine Arbeit sein, bei der du viele Wiederholungen hast. Im Grunde macht Julie im Hotel dasselbe wie zu Hause: Sie putzt. Sie putzt die ganze Zeit. Das Putzen ist aber auch eine Möglichkeit, sie zu charakterisieren. Sie ist sehr gewissenhaft dabei, sehr perfektionistisch. Für sie ist es wichtig, dass alles stimmt, selbst wenn bei ihr selbst nichts stimmt.

Ist sie dafür verantwortlich, dass diese Punkte bei ihr selbst nicht stimmen?

Mir ging es nicht darum, sie dafür zu verurteilen, wenn ihr Leben schiefläuft. Ich habe versucht zu verstehen, wie es dazu kommen kann. Julie trifft ihre Entscheidungen und versucht das Richtige zu tun. Aber manchmal sind es eben falsche Entscheidungen. Das kann uns allen passieren. Sie wollte ihr altes Leben zurück haben und scheut keine Mühen, um das zu erreichen. Wer will ihr schon vorwerfen, dass sie nicht sozial absteigen möchte? Zumal sie auch Mitte vierzig ist. Es ist ihre letzte Chance, noch etwas zu erreichen, bevor es zu spät ist. Zumindest empfindet sie das so.

Was bei deinem Film hervorsticht, ist die Hektik. Julie rennt ständig umher, es gibt kaum Ruhemomente. Warum hast du die Geschichte auf diese Weise erzählt? Die meisten Sozialdramen sind eher ruhig.

Das stimmt. Aber ich finde nicht, dass ein Film, nur weil er über soziale Themen spricht, deswegen naturalistisch sein muss. Ich liebe das Kino. Ich liebe Filme. Und ich will die Werkzeuge, die der Film mir bietet, auch wirklich annehmen. Kamera, Musik, Schauspiel, das kann ich alles nutzen, um den Kampf aufzuzeigen. Mir ging es darum auszudrücken, wie sie ihr Leben wirklich wahrnimmt. Wir sehen deshalb nicht die langen Fahrten im Zug, wo nichts passiert, sondern die, wo sie zum Zug rennt.

Julie ist nicht die einzige, die kämpft. Du hast bereits gesagt, dass es viele Menschen gibt, die in einer ähnlichen Situation sind. Ist es die Verantwortung der Einzelnen, aus dieser Situation herauszukommen, oder wären Politik und Gesellschaft gefragt?

Ich denke, dass es beides ist. Seit der Corona-Pandemie haben Restaurants in Frankreich das Problem, dass sie nicht genügend Leute mehr bekommen, die dort arbeiten wollen. Die Antwort darauf ist, dass höhere Löhne gezahlt werden müssen. Wenn ein einzelner Mensch nicht mehr die Arbeit zu diesen Bedingungen machen will, wird das nicht viel ändern. Wenn aber ganz viele so reagieren, dann gibt es einen Wandel. Die einzelnen Menschen müssen also schon tätig werden. Aber das Thema ist größer als der einzelne Mensch. Julie braucht Hilfe von außen.

Was könnte sie denn realistisch überhaupt tun?

Sie könnte mehr Kompromisse eingehen. Julie ist sehr festgelegt in dem, was sie will, und weicht davon nicht ab. Ich wollte von einem solchen Menschen erzählen, der so ist. Der nicht aufgeben will und keine Kompromisse macht, weil andere das ja auch nicht tun. Männer müssen oft nicht die Kompromisse eingehen, die man von Julie erwartet.

Wie sieht es bei dir aus? Bist du auch jemand, der keine Kompromisse eingeht?

Bei mir ist es so, dass mein Vater mich allein aufgezogen hat, weshalb ich seine Kämpfe mitangesehen habe. Ich denke, dass dies dazu beigetragen hat, dass ich nie für andere arbeiten wollte, sondern immer meine eigenen Entscheidungen treffe. Klar, ganz ohne Kompromisse geht es nicht. Du kannst einen Film nicht ohne andere drehen und musst dich deshalb mit ihnen arrangieren. Insgesamt versuche ich aber, mein Leben selbst zu bestimmen.

Weshalb bist du eigentlich Filmemacher geworden?

Das geht glaube ich auch auf meine Kindheit zurück. Ich habe nachts ganz viele europäische Filme angeschaut, weil sie für mich eine Möglichkeit waren, mir etwas anderes zu zeigen und mein eigenes Leben vergessen zu lassen. Sie waren irgendwie exotisch für mich. Deswegen bin ich auch selbst nach Europa gezogen. Viele Filmemacher träumen davon, nach Hollywood zu gehen. Für mich war immer klar, dass ich nach Europa wollte.

Welche europäischen Filmschaffende hatten es dir denn angetan?

Ich mochte diese ganzen französisch-italienischen Coproduktionen aus den 1970ern. Aber auch Die Blechtrommel. Das war ein Film, wie ich ihn noch nie gesehen hatte, und der mich sehr fasziniert hat.

Vielen Dank für das Gespräch!



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