Sharaf
© Barnsteiner Film
Sharaf
„Sharaf“ // Deutschland-Start: 26. Januar 2023 (Kino)

Inhalt / Kritik

Sharaf (Ahmed Al Munirawi) ist ein junger Ägypter, der mit großem Optimismus und einem Schuss Leichtgläubigkeit durchs Leben geht. Er studiert an der Fachhochschule und will nach dem Abschluss die langjährige Freundin heiraten, eine Familie gründen und ein solides Leben führen. Doch auf der Polizeiwache behandeln sie ihn wie einen Kriminellen. Der Grund: Ein Ausländer ist gestorben, mit dem sich Sharaf gestritten hatte. Er habe sich nur verteidigt, sagt der junge Mann, den Tod des Ausländers habe er nicht gewollt. Der Polizeichef glaubt ihm nicht. Er verlangt ein Mord-Geständnis, lässt Sharaf foltern, direkt auf der Wache. Nach dem erpressten Schuldbekenntnis wandert der Festgenommene ins Gefängnis, wo er es mit korrupten Wachen, dem zwielichtigen Offizier Edko (Khaled Houissa) und dem warmherzigen Mitgefangenen Dr. Ramzy (Fadi Abi Samra) zu tun bekommt. Das Gefängnis ist eine Welt im Kleinen, in der sich die Mechanismen autoritärer Regime spiegeln: Kadavergehorsam, Machtmissbrauch, lückenlose Überwachung.

Klassengesellschaft par excellence

Zu Beginn heißt es: „Dies ist eine erfundene Geschichte, die in einer fiktiven Welt spielt. Wir können glücklich sein, dass die Realität besser und schöner ist“. Aber man traut seinen Augen kaum, wenn die Gefangenen gleich zu Beginn in zwei Gruppen geteilt werden, wie an der Rampe in Ausschwitz. Die „Königlichen“ bekommen gutes Essen nach eigener Wahl, die „Staatlichen“ müssen den „Königlichen“ dienen und sich mit üblem Gefängnisfraß anfreunden. Wer zu den „Königlichen“ will, muss reiche Angehörige haben, die die Wachen und Offiziere weit über das übliche Maß hinaus schmieren – eine Klassengesellschaft par excellence und Realismus pur. Natürlich hinkt der Vergleich mit Nazi-Deutschland ein bisschen, weil dort die größere Gruppe der Aufgeteilten sofort ermordet wurde. Aber das Strukturprinzip des Teilens und Herrschens ist in allen autoritären Regimen dasselbe. Die Fiktion endet also schon in der fünften Filmminute. Autor Sonallah Ibrahim, dessen gleichnamigen Roman Regisseur Samir Nasr hier verfilmt, weiß, wovon er erzählt. Er saß in den 1960er Jahren selbst fünf Jahre in einem ägyptischen Gefängnis.

Der Film erzählt wie der Roman zwei Geschichten. Die eine handelt vom individuellen Schicksal eines zunächst naiven und unbedarften jungen Mannes, der gutgläubig in die Welt blickt, aber durch den Horror des Gefängnisses menschlich gebrochen und zum Verräter wird. Die andere Erzählung dreht sich um das Panoptikum autoritärer Herrschaft, das durch das Brennglas des Gefängnisses die gesellschaftliche Wirklichkeit verdeutlicht, und zwar nicht nur anhand der Herrschaft Hosni Mubaraks (der Roman erschien 1997), sondern generell in allen unfreien Systemen. Spätesten im zweiten Drittel schafft der Film Raum für diese Perspektive. Das schmutzige Grün-Grau der überbelegten Zellen weicht dann zuweilen wärmeren Farben, zumal Sharaf dank seiner Spitzeldienste zu den „Königlichen“ verlegt wird. Die zunächst rein dokumentarische Kamera (Darja Pilz) wird experimentierfreudiger und gibt den Blick auf zum Teil humoreske Szenen frei. Dann weiden sich Regisseur Samir Nasr und sein Drehbuch-Koautor Sonallah Ibrahim an den Wahnvorstellungen der Offiziere, die selbst einen harmlos-versponnenen Wunderheiler (Ridha Boukadida) für einen potenziellen Terroristen halten.

Stellvertreter seiner Generation

Auch das individuelle Schicksal von Sharaf wird einfühlsam in eindringlichen Einstellungen inszeniert. Das zwischen kindlichem Staunen und bösem Erwachen changierende Spiel von Hauptdarsteller Ahmed Al Munirawi lädt zu Mitgefühl und Verständnis ein. Man begreift in vielen Momenten, unter welchem Druck und in welcher Ausweglosigkeit er seine falschen Entscheidungen trifft. Dennoch gelingt die Verschränkung von Individuellem und Gesellschaftlichem nicht durchgehend. Harte Schnitte und strenge Kapiteleinteilungen reißen das Publikum aus der Einfühlung und rufen die politische Dimension des Gezeigten per Verfremdungseffekt in Erinnerung. Das verhindert, dass man wichtige Wendepunkte in der persönlichen Entwicklung, vor allem die Haltung zu Schuld und Verrat, durchgehend nachvollziehen kann. Regisseur Samir Nasr begreift seine Hauptfigur letztlich nicht nur als unverwechselbaren Charakter, sondern vor allem als Stellvertreter der heutigen Generation junger Araber. „Dieser Film gibt denen eine Stimme, die sonst keine Stimme haben“, schreibt er im Regiekommentar. Das ist – bei allem Verständnis für die politische Intention des in Ägypten aufgewachsenen Filmemachers, der nach dem Abitur nach Deutschland ging – ein wenig zu parabelhaft.

Credits

OT: „Sharaf“
Land: Deutschland, Tunesien, Frankreich, Luxemburg
Jahr: 2021
Regie: Samir Nasr
Drehbuch: Samir Nasr, Sonallah Ibrahim
Vorlage: Sonallah Ibrahim
Musik: Oliver Biehler
Kamera: Darja Pilz
Besetzung: Ahmed El Munirawi, Fadi Abi Samra, Khaled Houissa, Ridha Boukadida, Tawfik Bahri, Mohamed Danech

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Sharaf
fazit
„Sharaf“ ist das Porträt einer verratenen Generation junger arabischer Männer, die von korrupten Systemen zermalmt werden. Das Gefängnis dient dabei als Spiegel der Gesellschaft, nicht nur in ihren brutalen, sondern auch grotesken und manchmal auch kafkaesken Aspekten. Seine politische Botschaft verliert Regisseur Samir Nasr dabei nie aus den Augen.
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