Hautnah 1985
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Hautnah (1985)

Inhalt / Kritik

Hautnah 1985
„Hautnah“ // Deutschland-Start: 8. Dezember 1985 (TV) // 28. Mai 2021 (DVD)

Kaum ein Aspekt seines Berufs als Detektiv macht Dold (Armin Mueller-Stahl) so viel Freude wie das Abhören einer Zielperson. Ganz besonders stolz ist er auf die zahlreichen Gerätschaften, von Mikrokameras bis hin zu kleinen Mikrofonen, die ihm seine Arbeit nicht nur erleichtern, sondern zu einer echten Wonne machen. So ist er mehr als einverstanden, als er für einen sehr lukrativen Auftrag zusammen mit seinem Kollegen Charly (Wolf-Dietrich Berg) im Frankfurter Bahnhofsviertel einen wohlhabenden Immobilienmakler namens Rodinski (Walter Tschernich) überwachen soll. Schon nach wenigen Tagen der Observierung kratzen Dold und Charly an der Fassade des nach außen hin seriösen Geschäftsmannes. Denn dieser ist in Wirklichkeit der Boss des Rotlichtbezirks, dem nicht nur ein Großteil der Geschäfte, der Bordelle und der Sex-Shops gehören, sondern der auch Wohnungen an die Prostituierten vermittelt. Zudem steckt er unter eine Decke mit Beamten der Stadtverwaltung, die bei Rodinsnki ein und ausgehen, ihn mit Informationen versorgen und dafür allerlei Gefälligkeiten erhalten. Hochzufrieden sind auch Dolds Auftraggeber mit seinen ersten Funden, doch sie verlangen noch mehr Überwachung und befehlen ihm auch die Privatwohnung Rodinskis zu observieren.

Selbst Dold, der sich normalerweise im Hintergrund hält und sich nicht einmischt, kommen Zweifel an der Ehrlichkeit seiner Auftraggeber, sodass er selbst Ermittlungen anstellt, was die wahren Motive hinter der Überwachung Rodinskis sind. Als schließlich ein Mord geschieht, wird dem Detektiv bewusst, dass er sich auf ein sehr gefährliches Spiel eingelassen hat, was nicht nur er, sondern auch sein Kollege und seine wenigen Freunde zu spüren bekommen sollen. Doch ein Ausstieg ist nicht mehr möglich, sodass Dold nur die Flucht nach vorne bleibt.

Die Lust am Observieren

Im TV-Film Hautnah versammelt sich nicht nur vor, sondern auch hinter der Kamera allerlei Prominenz, denn mit Regisseur Peter Schulze-Rohr und Drehbuchautor Norbert Ehry begegnen dem Zuschauer gleich zwei kreative Köpfe, die für ihre Arbeit an diversen Folgen des Tatort bekannt sind. Schon bei seiner Erstausstrahlung Mitte der 80er Jahre konnte ihre Kollaboration mit Darsteller Armin Mueller-Stahl sowohl Publikum wie auch Kritik überzeugen und wurde unter anderem mit dem Adolf-Grimme-Preis wie auch mit dem Silbernen Leoparden bei den Filmfestspielen in Locarno geehrt. Auch heute noch fesselt das Werk und gibt, Jahre vor Das Leben der Anderen, einen Einblick in das Leben eines Menschen, der sich nur an der Observierung anderer erfreuen kann.

Als Abhörspezialist Dold gibt Armin Mueller-Stahl einen Einblick in einen Menschen, der nur über seinen Einblick in das Leben anderer wirklich lebt. Abgeklärt und ohne bei seinem Gegenüber einen nachhaltigen Eindruck zu hinterlassen, lebt er bei der Ausübung seines Jobs richtig auf, was man gleich in den ersten Szenen sieht, die Dold und Charly bei der Installation der Kameras in Rodinskis Büro zeigt. Mit wenigen geübten Blicken scannt der Detektiv den Raum, hat sogleich passende Stellen für Kameras oder Mikrofone ausgemacht und hat diese mit wenigen Handgriffen montiert. Eine Ecke, die nicht observiert werden kann, scheint für ihn ein Albtraum zu sein, eine unverzeihliche Schwäche, sodass man sich fragt, ob er dies nur des Auftrags willen macht oder nicht gar selbst von den verbotenen Einblicken in das Leben eines anderen Menschen abhängig geworden ist.

Das kalte Auge der Kamera

Auch der Rest der Inszenierung ist dominiert von den zahlreichen Facetten des Paranoia-Kinos. Je mehr sich Dold und seinem Assistenten das Leben Rodinskis enthüllt und dessen Machenschaften, desto weniger sind sie eigentlich in Kontrolle und werden sich bewusst über ihren Status als Figuren in einem viel größeren Spiel, bei dem niemand wirklich die Hintermänner kennt und niemandem getraut werden kann. Dold hat gelernt, dem kalten Auge der Kamera zu trauen und weniger den Menschen um ihn herum, sodass seine Beziehung zur Technik schon fast amouröse Züge trägt. Mit einer Mischung aus Belustigung und Unverständnis schaut einer seiner Auftraggeber auf diesen Mann, der sich an der Auflösung eines Bildes erfreut, an der Wahrheit, die sich ihm hier zeigt.

Doch letztlich ist auch die vermeintlich objektive Wahrheit der Kamera und Mikrofone nur eine gefilterte Wirklichkeit. Immer mehr verstrickt sich Dold, ähnlich wie Gene Hackmans Figur in Francis Ford Coppolas Der Dialog, in seinem eigenen Netz und einem Narrativ, das er verfolgt und droht, ihm selbst zum Verhängnis zu werden.

Credits

OT: „Hautnah“
Land: Deutschland
Jahr: 1985
Regie: Peter Schulze-Rohr
Drehbuch: Norbert Ehry
Musik: Günther Fischer
Kamera: Johannes Hollmann
Besetzung: Armin Mueller-Stahl, Michael Degen, Brigitte Karner, Wolf-Dietrich Berg, Walter Tschernich, Wilfried Bassner, Horst Bollmann

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„Hautnah“ ist ein spannender Thriller über einen Abhörspezialisten, der selbst zur Zielscheibe seiner Auftraggeber wird. Trotz der TV-Optik überzeugen nicht nur die Inszenierung wie auch das facettenreiche Drehbuch, sondern vor allem die Darstellung Armin Mueller-Stahls als moralisch ambivalenter Detektiv, der bei all einer Faszination für Technik den Blick für das Offensichtliche verloren hat.
8
von 10