Szenen einer Ehe Scener ur ett äktenskap
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Szenen einer Ehe

Kritik

Szenen einer Ehe Scener ur ett äktenskap
„Szenen einer Ehe“ // Deutschland-Start: 20. September 1976 (Kino) // 20. März 2009 (DVD)

Marianne (Liev Ulmann) und Johan (Erland Josephson) scheinen nach langer Ehe, zwei Kindern und beruflichem Erfolg das perfekte Paar. Wo sich andere in den Haaren liegen und die Scheidung einreichen wollen, sehen sich die beiden nach wie vor überlegen und vergewissern sich immer wieder gegenseitig, wie sehr sie für einander geschaffen sind und wie gut sie zu einander passen würden. Allerdings mehren sich Zweifel und das Ideal einer vollkommenen Ehe gerät immer mehr ins Wanken.

Der 2007 verstorbene schwedische Drehbuchautor, Theater- und Filmregisseur Ingmar Bergman (Wilde Erdbeeren, Persona) war und ist bis heute einer der einflussreichsten Filmemacher in der Geschichte des Bewegtbildes. Auch Größen wie Stanley Kubrick, David Lynch oder auch Martin Scorsese haben sich von der umfangreichen Filmografie, die weitreichend als metaphysisches „Seelenkino“ (Zitat Georg Seeßlen) geschätzt wird, inspirieren lassen. Vielfach waren die Filme Bergmanns auch Anstoß, um die Grenzen der auf Celluloid gebannten Erzählungen für das Publikum und dessen Sehgewohnheiten ganz neu auszuloten.

Ein dramatisches Kammerspiel
Auch das bereits mehrfach fürs Theater umgesetzte Panorama einer langjährigen, lethargisch bröckelnden Ehe versteckt sich nicht hinter unschuldigen Konventionen. Zunächst für das schwedische Fernsehen als ausgedehnte sechsteilige Autopsie einer zwischenmenschlichen Beziehung angelegt, die unter dem Mantel der Perfektion an panikartigen Zweifeln, Unsicherheit und unerfüllter Selbstverwirklichung zu ersticken droht, führte ein überraschend beträchtlicher Erfolg dazu, dass Bergmann eine stark verkürzte Version seines Kammerspiels ins Kino brachte, die aber immer noch zu einer fast drei stündigen aufreibenden Belastungsprobe wird.

Die Kunst alles unter den Teppich zu kehren, lässt Ingmar Bergman dabei brillant von seiner einstigen Lebensgefährtin Liev Ullmann (Persona) spielen, die in Erland Josephson (Fanny und Alexander, Nostalghia), der ebenfalls ein langjähriger Wegbegleiter Bergmanns war, einen genauso talentierten Gegenpart an ihrer Seite wähnt.

Wenn aus Liebe Routine wird
Schnörkellos, puristisch, fast schon nüchtern gestaltete Bergman sein Drama, das ohne Musik auskommt und wesentlich von den Dialogen lebt, die mit der Wortwahl und Intonation oft eine schmerzliche Durchschlagskraft besitzen und verräterisch die wahre Natur der Protagonisten preisgeben. Bereits das Interview, das Johan und Marianne zu Beginn als das vermeintlich ideale Traumpaar mit der beispielhaften Ehe geben, offenbart dem aufmerksamen Zuschauer, dass die beiden schon länger nicht mehr dieselbe Sprache sprechen und die Persönlichkeiten so unterschiedlich geprägt sind, dass das Zusammenleben zweckdienlich ist und keineswegs auf bedingungsloser Liebe beruht. Während Johan sich als freundlichen Familienvater und guten Liebhaber gibt, der erfolgreich und junggeblieben ist, definiert sich Marianne lediglich als Ehefrau und Mutter. Bergman hält sich schon in den ersten Momenten seines Films nicht zurück, um mit der Diskrepanz der Selbstwahrnehmung den Grundstein für die nahende Katastrophe zu legen, die sich förmlich als unüberwindbare Mauer zwischen den Eheleuten manifestiert.

Das Gespräch und die Fotos, die währenddessen für das Magazin geschossen werden, schreiben Johan zudem eine gewisse Dominanz zu, die er, wenngleich auch nicht immer bewusst, in vielen folgenden Situationen mit Marianne ausspielt und sie marionettenhaft in die Defensive bringt. So beispielsweise als Marianne schlecht gelaunt und trotzig den Tag beginnt, weil der routinemäßige Besuch bei den Eltern am Wochenende ansteht, sie aber stattdessen ihre Zeit gern mal nur mit ihrem Mann und der Familie verbringen möchte. Was zunächst wie kleinere Neckereien wirkt, entpuppt sich schnell als abschätziges Bloßstellen von Mariannes Unfähigkeit ihre Bedürfnisse und Wünsche zu definieren und auch durchzusetzen.

Der Alltag der Entfremdung
Ingmar Bergman greift schlichte, zum Teil autobiographisch geprägte Alltagssituationen auf, um sie für das Publikum authentisch und realitätsnah aufzuarbeiten, vielfach zu intensivieren und so die Charakterentwicklung beider Seiten detailliert zu porträtieren. Dabei verlässt sich der Regisseur wie in vorangegangenen Filmen auf großzügige Nahaufnahmen und als Marianne die Scheidungsgründe einer Klientin im Gespräch erfährt, schafft Bergman damit augenblicklich einen starken, wenn auch zutiefst verletzlichen Moment für seine Hauptdarstellerin, der für den Film wegweisend wird. Selbsterkenntnis und Emanzipation führen somit unweigerlich auch zu einem Bruch mit alten Gesellschaftsstandards, die Bergmann mit seinem Beziehungsdrama indirekt auch anklagt.

Bei allem, was der Regisseur für sein Publikum bereit hält, um ihm Raum zur Identifikation und Selbstreflektion zu bieten, so verzichtet er doch gänzlich darauf, die Töchter des Paares in den Mittelpunkt zu rücken und sie in den Scheidungsprozess miteinzubeziehen. Insgesamt wirkt es fast so, als hätten sowohl Bergmann als auch seine Hauptfigur Johan wenig Interesse an den Kindern. Das mag einerseits hinsichtlich der Schwerpunktsetzung legitim sein, ist an mehreren Stellen für den Zuschauer aber dennoch irritierend auffällig, wenn Johan beispielsweise mitten in der Nacht, bevor er Marianne verlässt, nicht einen Gedanken an seine beiden Töchter verschwendet.

Nichtsdestotrotz sind Irritation, Egoismus, Kommunikation, Neufindung, Selbstverwirklichung und Ausbruch aus genormten Zwängen, Gegenstand der Herausforderung die Bergmann seinen Protagonisten, aber auch seinem Publikum stellt und damit einmal mehr ein Meisterwerk erschafft, das seines gleichen sucht.

Credits

OT: „Scener ur ett äktenskap“
Land: Schweden
Jahr: 1974
Regie: Ingmar Bergman
Drehbuch: Ingmar Bergman
Kamera: Sven Nykvist
Besetzung: Liv Ullmann, Erland Josephson, Bibi Andersson, Gunnel Lindblom, Jan Malmsjö, Anita Wall

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„Szenen einer Ehe“ wirkt auf den ersten Blick unscheinbar, ist aber ein vielschichtiges Drama, das den Zuschauer immer wieder in eine unbequeme, sehr persönliche Beobachtungssituation versetzt, dabei manchmal peinlich berührt, manchmal sprachlos macht, aber von Beginn durch Authentizität und Nahbarkeit fesselt und sich mit Filmen wie „Kramer gegen Kramer“ oder „Marriage Story“ in die Liga herausragender Beziehungsdramen einreiht.
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