Steht auf, Genossinnen! Mélancolie ouvrière
© Aurelien Faidy/AutoFocus-prod/ARTE/JPG Films

Steht auf, Genossinnen!

Kritik

Seit ihrem zwölften Lebensjahr schon arbeitet Lucie Baud (Virginie Ledoyen) in einer Seidenfabrik als Spinnerin. Glück hat ihr die Stelle aber kaum gebracht: Die Arbeitszeiten sind lang, die Bedingungen schlecht, der Lohn gering. Und er soll noch geringer werden, Fabrikchef Duplan (Marc Barbé) will den Frauen die Hälfte der Bezahlung streichen. Für Baud, die sich als junge Witwe um ihre beiden Töchter kümmern muss, kommt dies jedoch nicht in Frage. Sie hat beschlossen, den Kapitalisten den Kampf anzusagen und organisiert mit anderen Arbeiterinnen einen Streik. Unterstützt wird sie dabei von Charles Auda (Philippe Torreton), Gewerkschafter der sozialistischen Arbeiterbewegung, der begeistert ist von ihrem Elan. Doch selbst mit dieser Hilfe stößt sie schnell an ihre Grenzen, wollen sich Baud und die anderen doch nicht von einer Schar aufgebrachter Frauen ihr Geschäft vorschreiben lassen …

In den letzten Jahren ist mit dem gestiegenen Bewusstsein für die auseinandergehende Schere von Reich und Arm auch wieder die Arbeit als solche stärker in den Mittelpunkt gerückt. Berichte über miserable Arbeitsbedingungen etwa in den Amazon-Lagern sind ein offenes Geheimnis. Im Zuge der Corona-Pandemie wurden weitere Arbeitgeber an den Pranger gestellt, die sich wenig um die Gesundheit ihrer Arbeiter und Arbeiterinnen scheren, für den Profit alles zu opfern bereit sind. Da ist es doch ein guter Zeitpunkt dafür, Steht auf, Genossinnen! wieder auszustrahlen. Zwar spielt die Geschichte hier vor über hundert Jahren. Doch so manches, was einem der französische TV-Film vorführt, kann man sich ohne große Schwierigkeiten auch in der Gegenwart vorstellen.

Erinnerung an eine Vorkämpferin
Im Mittelpunkt stehen dabei die Aktionen von Lucie Baud. Der Name dürfte eher wenigen ein Begriff sein. Tatsächlich ist es der Arbeit der Historikerin Michelle Perrot zu verdanken, dass die Vorreiterin für Frauen- und Arbeiterrechte überhaupt wieder Beachtung findet. Die veröffentlichte 2012 das Buch Mélancolie ouvrière, welches die Grundlage für Steht auf, Genossinnen! bildet. Biografisches hat der Film dabei auch zu erzählen. Doch das beschränkt sich vor allem auf den Anfang. Die Ehe mit Pierre, mit François Cluzet zum Zwecke der Werbung prominent besetzt, hält keine fünf Minuten, da ist er schon tot. Die Kürzungen des Lohns, welche ihren Kampf motivierten, kommen fast direkt danach.

Überhaupt ist Steht auf, Genossinnen! mehr oder weniger eine One-Woman-Show. Über ihre Mitstreiterinnen erfährt man praktisch gar nichts. Gegenspieler Duplan wird darauf reduziert, ein gieriger und unverschämter Ausbeuter zu sein – mehr erfahren wir nicht. Auda darf als Gewerkschaftsboss zwar auf der Seite der Guten stehen, so richtig viel Persönlichkeit wird ihm aber ebenfalls nicht zugestanden. Regisseur und Co-Autor Gérard Mordillat, der sich oft gesellschaftlicher Themen annimmt, interessiert sich mehr für die Geschichte, nicht die sich darin tummelnden Menschen – was angesichts des Themas der unwürdigen Behandlung von Arbeitern und Arbeiterinnen fast schon ein bisschen zynisch ist.

Entsetzen und Wut
Das Aufregerpotenzial liegt dann aber doch in der Art und Weise, wie die Frauen hier behandelt werden. Seinerzeit hatten sie noch kein Wahlrecht, weshalb sie nicht einmal zu Verhandlungen zugelassen wurden. Dafür gibt es Spott von Duplan, der sie der Faulheit bezichtigt, obwohl er selbst nicht so aussieht, als hätte er in seinem Leben jemals körperliche Arbeit verrichtet. Dass das alles schrecklich unfair ist, manchmal auch nur schrecklich, versteht sich da von selbst. Steht auf, Genossinnen! zeigt etwas, das so abscheulich und unwürdig ist, dass man überhaupt keine andere Wahl hat, als die Frauen anzufeuern in ihrem Kampf gegen die Despoten.

Und doch, so richtig mitreißend ist das Historiendrama nicht. Zwar weiß Mordillat sehr genau, was er sagen will und wie er das Publikum zu packen gedenkt. Aber es wurde ein letztendlich recht gewöhnlicher Film draus, der lediglich durch die gelegentlichen Gesangseinlagen – ein Zeichen des Protests – ein bisschen Persönlichkeit gewinnt. Ausstattung und Schauspiel sind solide, die Musik wie in diesem Bereich üblich ein bisschen dicker aufgetragen. Das passt dann schon alles irgendwie, trägt aber aufgrund der Formelhaftigkeit kaum dazu bei, dass man sich Baud und ihren Kampf unbedingt merken müsste, trotz des wichtigen Themas.

Credits

OT: „Mélancolie ouvrière“
Land: Frankreich
Jahr: 2017
Regie: Gérard Mordillat
Drehbuch: Gérard Mordillat, Philippe Sainteny
Vorlage: Michelle Perrot
Musik: Jean-Claude Petit
Kamera: François Catonné
Besetzung: Virginie Ledoyen, Marc Barbé, Philippe Torreton

Bilder

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„Steht auf, Genossinnen!“ erinnert an eine Frau, die es Anfang des 20. Jahrhunderts mit einem mächtigen Fabrikboss aufnahm, beim Versuch, mehr Rechte und bessere Bezahlung für sich und andere Arbeiterinnen herauszuholen. Als Thema ist das wichtig, trotz des historischen Kontextes auch aktuell. Die Umsetzung ist jedoch nur solide, der Film trotz der wütend machenden Unterdrückung recht gewöhnlich.
6
von 10