Das Heim und die Welt Ghare Baire

Das Heim und die Welt

Kritik

Das Heim und die Welt Ghare Baire
„Das Heim und die Welt“ // Deutschland-Start: nicht angekündigt

Im Jahre 1907, nachdem die Region Bengalen von den britischen Kolonialherren in einen muslimischen und einen hinduistischen Teil geteilt wurde, herrscht große Unruhe in den einzelnen Provinzen. Auch der wohlhabende Landherr Nikhil (Victor Banerjee) bekommt dies zu spüren, versucht sich aber aus den politischen Diskussionen herauszuhalten und hält an seinen westlichen, liberalen Positionen fest. Seine Frau Bimala (Swatileka Sengupta), der er über die Jahre hinweg eine westlich orientierte Erziehung zukommen ließ, kann derweil eine gewisse Sympathie für die nationalistischen Bewegungen vertuschen, was immer wieder zu Diskussionen mit ihrem Mann führt. Ihre verschiedenen Ansichten werden deutlich, als Nikhils alter Freund Sandip (Soumitra Chatterjee) diesem einen Besuch abstattet. Sandip ist Anführer der nationalistischen „Swadeshi“-Bewegung, die sich unter anderem für einen Bann aller nicht-indischen Produkte ausspricht und die Märkte Bengalens in ihrem Sinne umändern will. Nikhil, der die Position vertritt, eine solche Entscheidung müsse von den Händlern selbst getroffen werden, stellt sich gegen seinen Freund, der in ihm die entscheidende Hürde sieht, die es für die Bewegung zu überwinden gilt. Erschwerend kommt hinzu, dass Sandip mit der Zeit mehr als nur Sympathie für Bimala empfindet, deren Schönheit und Bildung ihm imponieren. Während sich Bimala zwischen ihrer Liebe zu zwei Männern wiederfindet, sieht sich Sandip gezwungen, mit seiner Bewegung einen radikaleren Weg einzuschlagen.

Das Private und die Politik
In seinem 1984 entstandenen Film Das Heim und die Welt, basierend auf dem gleichnamigen Roman Rabindranath Thakurs, setzt sich der bekannte indische Regisseur Satyajit Ray mit einem kontroversen Thema für Indien auseinander, nämlich der fortschreitenden Radikalisierung von Politik sowie dem Erbe der Kolonialzeit. Die Idee zu dem Film hatte Ray bereits vor seinem ersten und vielleicht bekanntesten Werk Apus Weg ins Leben: Auf der Straße (1955) und kleidet die Themen des Films innerhalb des narrativen Rahmens der Liebesgeschichte, die gleichzeitig einige interessante Punkte bezüglich der Emanzipation der Frau enthält.

Eigentlich trifft die genaue Übersetzung des bengalischen Titels mit „Zuhause und Draußen“ sehr viel treffender, worum es Ray sowohl aus thematischer wie auch ästhetischer Ebene in seinem Film geht. Mit nur wenigen Szenen, die außerhalb des Hauses Nikhils und Bimalas spielen, betont Ray, wie die Aufstände draußen die sich in der Auflösung befindlichen Verhältnisse des Privaten widerspiegeln. In der von Swatileka Sengupta gespielten Figur der Bimala zeigt sich das Dilemma zwischen zwei Positionen: der liberalen, westlich orientierten Denkweise gegen die nationalistische. Eine definitive Entscheidung determiniert einen radikalen Einschnitt in den persönlichen Bereich, einen potenziellen Ausbruch von Gewalt und Aufständen im „Draußen“, wie es der Film gerade in den letzten Einstellungen zeigt.

Auf ästhetischer Ebene wirkt die Wahl des Ortes, welcher, wie schon gesagt, zumeist das Haus ist, zunehmend beengender. Dank der Kameraarbeit Soumendu Roys erhält man den Eindruck der Enge, welche zum einen das Dilemma der Figuren reflektiert und zu anderen die Brenzligkeit der Situation betont, die sich im letzten Drittel des Films durch die Zuspitzung des Konflikts von Muslimen und Hindus zeigt.

Freiheit und Gewalt
Interessant ist, wie Rays Drehbuch trotz einer Tendenz fürs allzu Melodramatische eine Simplifizierung der Charaktere vermeidet. Vor allem Soumitra Chatterjees Darstellung fällt hier positiv aus, sieht er sich gefangen in einem Zyklus der Gewalt, die er zwar mit entzündet hat, aber nun nicht mehr stoppen kann. Die Freiheit der Wahl wie auch die Emanzipation kommt mit einem bitteren Beigeschmack, einem Gefühl des Verlusts und einer ungewissen Vision einer Zukunft, die das Ende des Films andeutet.

Credits

OT: „Ghare-Baire“
Land: Indien
Jahr: 1984
Regie: Satyajit Ray
Drehbuch: Satyajit Ray
Vorlage: Rabindranath Thakur
Musik: Satyajit Ray
Kamera: Soumendu Roy
Besetzung: Soumitra Chatterjee, Victor Banerjee, Swatileka Sengupta, Manoj Mitra

Filmfeste

Cannes 1984
Berlinale 1988
International Film Festival Rotterdam 1989

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„Das Heim und die Welt“ ist ein politischer Film, der im Gewand eines Melodrams die post-kolonialistische Lage Indiens zwischen Nationalismus und Liberalismus zeigt. Auch wenn der melodramatische Rahmen bisweilen schmerzlich überwiegt und bei der Laufzeit des Films etwas zäh wirkt, ist dies ein sehr interessanter Film Satyajit Rays, der nicht zuletzt wegen seiner Darsteller zu überzeugen weiß.
6
von 10