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Journalistin und Filmemacherin Waad al-Kateab erzählt in dem preisgekrönten Dokumentarfilm "Für Sama" von ihren persönlichen Erfahrungen in der belagerten syrischen Stadt Aleppo (© Filmperlen)

Waad al-Kateab [Interview]

Erst gab es Auszeichnungen bei den Filmfesten South by Southwest und Cannes, danach beim Filmfest München, dann beim BAFTA. Fast hätte es sogar für einen Oscar gereicht: Kaum ein Dokumentarfilm hat in den letzten Monaten wohl derart viele Menschen berührt wie Für Sama (Kinostart: 5. März 2020). Darin erzählt Waad al-Kateab von ihren Erfahrungen, die sie in der syrischen Stadt Aleppo im Laufe von fünf Jahren mit der Kamera festgehalten hat, von den ersten Protesten gegen das Regime über die jahrelange Belagerung bis zur Evakuierung. Diese Passagen verbindet die Filmemacherin mit ganz persönlichen Ereignissen wie der Geburt ihrer Tochter Sama, der sie den Film gewidmet hat. Wir haben uns mit ihr getroffen und sie gefragt, wie das war, diese Erlebnisse noch einmal filmisch aufzuarbeiten und mit der Welt zu teilen.

Als du angefangen hast, deine Erlebnisse in Syrien aufzunehmen, war dies noch nicht mit der Absicht verbunden, daraus einmal einen Film zu machen. Wann wusstest du, dass es ein Film werden würde?
Während der fünf Jahre, in denen ich gefilmt habe, habe ich immer gehofft, dass jemand das Material nehmen würde, um es der Welt zu zeigen. Ich dachte aber nicht, dass ich das selbst sein würde. Ich wusste ja nicht einmal, ob ich die Situation überhaupt überleben würde. Wir alle mussten ja davon ausgehen, zu jeder Zeit getötet werden zu können. Ich konnte deshalb einfach nur weiter aufnehmen und auf das Beste hoffen. Und selbst als wir aus Aleppo raus waren und in die Türkei gingen, hatte ich nicht daran gedacht, daraus einen Film zu machen. Dafür war ich auch einfach zu enttäuscht von den internationalen Medien, wo nichts wirklich von Bedeutung zu sein schien. Zuerst spielte ich mit dem Gedanken, erst sehr viel später, wenn ich 50 oder 60 bin, etwas daraus zu machen, um es meinen Enkeln oder Enkelinnen zu zeigen.

Und weshalb hast du dich dann anders entschieden?
Mir wurde einfach bewusst, dass die Geschichte jetzt erzählt werden muss. Dass ich sie erzählen muss, um weitermachen zu können und zu überleben. Anfangs sollte der Film auch nur über den Krieg als solchen gehen, ohne die vielen persönlichen Szenen, die jetzt in Für Sama zu sehen sind. Ich wollte keinen Film über mich machen, da ich nur eine von vielen war und meine Erlebnisse nichts Besonderes waren im Vergleich zu denen der anderen. Es gab einfach viel wichtigere Themen als meine Lebensgeschichte.

Du wolltest nicht der Star sein.
Genau.

Warum habt ihr diese Szenen trotzdem reingenommen? Ihr hättet ja auch eine ganz normale Kriegsdoku daraus machen können.
Wenn es nach mir gegangen wäre, hätten wir das auch getan. Das änderte sich erst, als ich Edward Watts getroffen habe, meinen Co-Regisseur. Für ihn und die anderen war es klar, dass der Film meine Geschichte sein sollte. Also haben wir lange diskutiert und nach einem Mittelweg gesucht, wie wir meine Erlebnisse in den großen Rahmen einbetten können. Die Idee war, den Film meiner Tochter Sama zu widmen, gleichzeitig aber auch allen anderen Kindern. Ein Kampf für eine bessere Zukunft. Der Prozess war auch deshalb eine Herausforderung, weil ich einfach so viele Geschichten angesammelt hatte und wir irgendwie ein Gleichgewicht brauchten zwischen dem persönlichen Material und dem allgemeinen Material.

Wie viel Material hattet ihr denn insgesamt zur Verfügung?
Mehr als 500 Stunden. Wenn man fünf Jahre lang täglich filmt, kommt schon eine Menge zusammen. Da ich nicht geplant hatte, daraus einen Film zu machen, habe ich beim Drehen auch nichts dafür vorbereitet, es gab keine Namen, keine Ordnungen, nichts. Wir mussten das gesamte Material daher noch einmal von vorne durchgehen und alles anschauen. Als wir uns entschieden hatten, welcher Film Für Sama sein sollte, ging es aber relativ schnell. Die ersten anderthalb Jahre haben wir mit verschiedenen Konzepten gespielt. Nachdem wir das Konzept dann hatten, hatten wir nach zwei Monaten schon die Rohfassung zusammen.

Wie fühlte sich das für dich an, noch einmal die ganzen Aufnahmen anzusehen?
Es war ein sehr gemischtes Gefühl. Auf der einen Seite war es furchtbar, nicht nur, weil die Szenen so grausam waren, sondern auch, weil mir beim Ansehen bewusst wurde, dass ich nicht mehr in meine Heimat zurückkehren kann. Dass ich meine Heimat Aleppo nicht mehr wiedersehen werde. Gleichzeitig wusste ich aber auch, dass es wichtig ist, was ich tue, der Welt zu zeigen, was dort vorgefallen ist. Nicht allein die vielen Menschen, die durch Assad getötet wurden, sondern auch, wie sehr das Regime die Wahrheit verdreht hat. Wie viel es verschweigt, die Geschichte umschreiben will durch Desinformation. Und diese Geschichte wollten wir bewahren. Wir wollten auch die Erinnerung an all die Menschen bewahren, die ausgelöscht werden soll.

Das Thema Syrien begleitet uns jetzt schon seit vielen Jahren. Für Sama ist aber eine der wenigen Möglichkeiten für Außenstehende zu erleben, was das bedeutet, in dem Land und in dem Krieg zu leben. Warum ist das so? Interessiert sich das Ausland nicht genug? Gibt es einfach keine Leute, die ihre Geschichten erzählen?
Es gab schon einige Filme über Syrien. Aber die wurden meistens von Menschen außerhalb gemacht. Bei mir war es ja auch so, dass ich zwar gefilmt habe, das Material aber an Außenstehende weitergeben wollte, damit die einen Film draus machen. Die machen dann das draus, was sie für richtig halten, sie machen das vielleicht auch alles gut. Aber es ist dann doch ein Unterschied, ob du die Geschichte von anderen zusammenfasst oder deine eigene erzählst. Es geht unterwegs einiges verloren. Außerdem wurde Für Sama aus einer weiblichen Perspektive erzählt. Frauen reden lieber über ihre Gefühle als Männer, darüber, was ihnen Angst macht. Mein Mann Hamza ist da ganz anders als ich. Wenn er etwas fühlt, Angst hat oder auch wütend ist, will er nicht darüber reden. Ich will hingegen mit allen darüber reden. Und das spiegelt sich bestimmt auch im Film wider.

Der Film war also auch eine Art Therapie für dich?
In mancher Hinsicht sicher. Es half mir dabei, mich mit den Erfahrungen auseinanderzusetzen und sie zu verarbeiten. Gleichzeitig führte es aber auch dazu, dass ich mich immer wieder fragen musste, warum die Geschichte nicht gut ausgegangen ist. Warum mussten die ganzen Kinder sterben? Warum ist Assad immer noch an der Macht? Warum gab es für die ganzen Opfer keine Gerechtigkeit? Darüber nachzudenken und sich das bewusst zu machen, das ist schon sehr hart und lässt mich immer wieder verzweifeln. Aleppo in den Aufnahmen zu sehen und zu wissen, dass du nicht zurückkehren kannst, das geht mir sehr nahe. Die Szenen in Für Sama, bei denen ich weinen muss, das sind nicht die, in denen Menschen sterben und überall Blut und Zerstörung ist. Ich weine während der glücklichen Szenen, zum Beispiel bei meiner Hochzeit, weil mir die bewusst machen, was ich alles verloren habe.

Wie sehr verfolgst du noch, was in Syrien geschieht?
Die ganze Zeit. Wir haben verschiedene Gruppen in den sozialen Medien, um uns gegenseitig auf dem Laufenden zu halten. Wir versuchen auch, den Kontakt zu den Menschen zu halten, die noch vor Ort sind. Außerdem schaue ich natürlich weiterhin die verschiedenen Nachrichten, alles, was mir hilft, um zu erfahren, was geschieht.

Es hätte keiner gedacht, welchen Verlauf der Krieg in Syrien nehmen würde. Angefangen hatte alles mit harmlosen Protesten, woraus eine Art Revolution wurde. Und inzwischen mischen so viele verschiedene Gruppen mit, wodurch der Krieg nicht nur sehr blutig und brutal wurde, sondern auch sehr unübersichtlich. Was denkst du, was noch geschehen wird?
Was ich denke oder was ich hoffe?

Beides.
Was ich hoffe: Assads Herrschaft findet ein Ende und all die Gruppen, die mitgewirkt haben, werden zur Verantwortung gezogen. Außerdem hoffe ich auf Neuwahlen, damit jemand an die Macht kommt, der das Land wieder aufbauen kann. Im Moment ist Syrien völlig zerstört. Außerdem sollten die Flüchtlinge zurückehren können und die Gefangenen freigelassen.

Und was denkst du?
Ich weiß es wirklich nicht. Ich versuche aber auch, mir das nicht auszumalen und stattdessen auf die Gegenwart zu konzentrieren.

Was kann denn im Moment überhaupt noch getan werden?
Wir konzentrieren uns auf die Kampagne „Action for Sama“, um das Bewusstsein zu steigern für das, was in Syrien geschieht, und die Hintergründe zu erklären. Dass es eben kein Bürgerkrieg ist, wie immer behauptet wird. Wir sammeln Geld für all die Helden und Heldinnen, die sich engagieren. Und wir versuchen dazu beizutragen, dass die Angriffe und Bombardierungen von Krankenhäusern ein Ende finden, damit die Menschen, die Hilfe brauchen, sie auch bekommen können.

Waad al-Kateab
© Rick Bern Photography
Zur Person
Waad al-Kateab wurde in Syrien geboren, wo sie auch aufwuchs. Zunächst studierte sie an der Universität in Aleppo, wurde zu Beginn des arabischen Frühlings aber als zivile Journalistin von NGOs ausgebildet und berichtete aus ihrer Heimat für Medien wie Channel 4 News und Orient TV. Ihre Reportagen wie Inside Aleppo wurden von einem Millionenpublikum verfolgt und ihre Arbeit mit einem Emmy ausgezeichnet. Ihre Dokumentation Für Sama feierte auf dem South by Southwest Film Festival 2019 Premiere und war unter anderem für einen Oscar als bester Dokumentarfilm nominiert.



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