Dieses obskure Objekt der Begierde
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Dieses obskure Objekt der Begierde

Kritik

Luis Bunuel
„Dieses obskure Objekt der Begierde“ // Deutschland-Start: 16. November 1978 (Kino) // 9. Januar 2020 (DVD/Blu-ray)

Eigentlich will Mathieu (Fernando Rey) nur weg. Weg nach Paris, weg von seiner Liebe, die ihm nicht guttut,auf andere Gedanken kommen. Doch als Conchita (Carole Bouquet, Ángela Molina), die junge Frau, von der er nicht loszukommen scheint, unerwartet am Bahnsteig auftaucht, lässt ihm das keine Ruhe. Um sie ein für alle Mal loszuwerden, überschüttet er sie mit einem Eimer Wasser, in der Hoffnung, dass sie komplett durchnässt nachgibt und ihm nicht folgen wird. Damit ist jedoch auch sein Plan, auf andere Gedanken zu kommen, ins Wasser gefallen. Denn seine mitreisenden Sitznachbarn im Zugabteil sind an einer Erklärung des eigenartigen Vorfalls mehr als interessiert.

Dieses obskure Objekt der Begierde wurde 1977 Luis Buñuels (Belle de Jour – Schöne des Tages) letzter Film. Erst auf Drängen seiner Freunde setzte er sich mit der Adaptierung des 1898 erschienen Romans La Femme et le Pantin von Pierre Louÿs auseinander, welcher zuvor bereits mehrfach verfilmt worden war. Obwohl der zugrundeliegende Stoff schon einige Jahre auf der Uhr hat, so ist die Thematik der sogenannten L’amour fou keine Unbekannte und wirkt auch gewissermaßen zeitlos. Denn obsessive Liebe, die einen in den Wahnsinn treibt, aber trotzdem nicht loslässt, gab es schon immer und wird es immer wieder geben.

Neugierde des doppelten Publikums
Buñuel versetzt den Zuschauer damit gleich von Beginn an in eine ähnliche Situation wie die Zugreisenden, die Mathieu gespannt an den Lippen kleben, um von dieser verrückten Liebe zu erfahren. Einerseits sehr privat und vielleicht sogar letzten Endes wenig von Bedeutung, kann man sich der Faszination, die von solch einem ‚Rosenkrieg‘ ausgeht doch nicht entziehen. Bevor sich der Protagonist allerdings darauf einlässt, Details seiner L’Amour Fou preiszugeben, muss er seiner Geliebten, vor aller Augen erst einen Eimer Wasser über den Kopf gießen. Diese Handlung scheint äußerst absurd und fernab von Reaktionen, die man üblicherweise erwarten würde. Dass Buñuel das Gefühl aufgreift, das man als Unbeteiligter bekommt, wenn man mit wenig alltäglichen Handlungen oder ungewöhnlichen Verhalten konfrontiert wird, um seine Geschichte in Gang zu bringen, ist indes ziemlich klug gelöst.

Normalerweise würde so etwas totgeschwiegen werden, um irgendwie das Gefühl von alltäglichem aufrecht zu erhalten. So eben auch in dem Zugabteil, in dem Mathieu sitzt. Außer ein paar seltsamen Blicken, die er erntet, versucht jeder der Sitznachbarn, diesen soeben erlebten Moment zu überspielen. Wenn da nicht die kindliche Neugier und ein geringeres Schamempfinden wäre. An dieser Stelle fühlt man sich als unbeteiligter Zuschauer direkt sowohl peinlich berührt als auch von Neugier getrieben. Der Regisseur weiß also sehr wohl um den Informationshunger, den sein Publikum antreibt, und die Gelegenheit, um uns noch ein wenig auf die Folter zu spannen.

Obwohl der Film in seiner Erzählung von Gradlinigkeit geprägt ist, hat man trotzdem wenig Gefühl für die Zeitspanne, die er abdeckt. In dem Fall macht sich Buñuel das Berichten einer Situation von Mensch zu Mensch zu Nutze, bei der man im Dialog immer wieder von Moment zu Moment springt, um die Höhepunkte bzw. die Augenblicke hervorzuheben, die für den Erzählenden von Bedeutung sind. Viele Details, die zwischen den eigens ernannten Höhenpunkten liegen, bleiben dabei außen vor, und so können eben auch mal Tage, mal Monate in einer Erzählung vergehen, ohne dass der Zuhörer oder Zuschauer das Gefühl bekommt, ihm würden wichtige Dinge vorenthalten oder entgehen. Die einzelnen Szenen des Films sind dabei in sich alle mehr oder weniger geschlossen und stehen als Momentaufnahme für sich. Fließende Übergänge gibt es hier weniger und trotzdem reihen sich die Handlungen, die Mathieu aus seiner Liebe beschreibt, doch reibungslos aneinander und sorgen dabei für ein gewisses Maß an Spannung.

Insbesondere und mehr als ungewöhnlich ist, dass Buñuel für die Hauptrolle der Conchita zwei Schauspielerinnen verpflichtete. Möglichweise wird einem das bei der Erstsichtung nicht mal auffallen, obwohl die Credits am Anfang diesen Umstand darlegen. Dennoch ist das Wechselspiel in Conchitas Persönlichkeit sogar hilfreich. Die Darstellung der jungen Frau, die sich einerseits der Anziehungskraft des Geldes und der Annehmlichkeiten nicht entziehen kann, aber gleichzeitig nicht viel für ihren Verehrer und seine körperlichen Annäherungsversuchen übrig hat, gelingt durch diese Doppelbesetzung erstaunlich gut und weitaus intensiver. Auf diese Weise lässt sich gleichzeitig immer ein klein wenig erahnen, in welche Stimmung die jeweiligen Szenen mit Mathieu kippen werden, je nachdem welche der beiden Schauspielerinnen zu sehen ist.

Fernando Rey (French Connection – Brennpunkt Brooklyn), mit dem Buñuel bereits mehrfach zusammen arbeitete, spielt den vom obsessiven Verlangen getriebenen Mathieu so nuanciert, sodass man als Zuschauer manchmal sogar etwas dazu geneigt ist, mit ihm Mitleid zu haben, wenn er sich doch erneut von seiner Liebsten ausnehmen lässt. In anderen Augenblicken fühlt man die Abneigung von Conchita, wenn Mathieu scheinbar doch nur sein Verlangen nach ihrem Körper stillen will. Buñuel ergreift also weder Partei für eine Seite, noch legt er offen dar was genau das „obskure Objekt der Begierde“ denn nun eigentlich wirklich ist. Der Zuschauer darf hier selbst seiner Interpretation und seinem Gefühl folgen, ob es sich hierbei lediglich um das Besitzen eines anderen Körpers geht oder ob sich vielleicht doch viel mehr dahinter verbirgt.

Credits

OT: „Cet obscur objet du désir“
Land: Frankreich, Spanien
Jahr: 1977
Regie: Luis Buñuel
Drehbuch: Luis Buñuel, Jean Claude-Carrière
Vorlage: Pierre Louÿs
Kamera: Edmond Richard
Besetzung: Fernando Rey, Carole Bouget, Ángela Molina, Julien Bertheau, André Weber, Milena Vukotic, María Asquerino

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Buñuel letzter Film ist ein zeitloses Werk, das einerseits viel Spielraum für eigene Interpretationen lässt, andererseits aber mit klaren Bildern immer eine Richtung vorgibt. Etwas ungewöhnlich erzählt, hält die Darstellung einer scheinbar banalen „L‘amour fou“ den Zuschauer für zwei Stunden in seinem Bann, sodass man am Ende gern noch länger stiller Beobachter der verrückten Liebe gewesen wäre.
8
von 10