Im Niemandsland
© Armin Dierolf

Im Niemandsland

Inhalt / Kritik

„Im Niemandsland“ // Deutschland-Start: 7. November 2019 (Kino) // 29. Mai 2020 (DVD)

1990 steht Deutschland kurz vor der Wiedervereinigung. Während noch an den letzten Details gefeilt wird, sind die Grenzen bereits offen, jeder kann von einem Teil zum nächsten wechseln. Für Familie Behrendt, die vorher aus der DDR fliehen musste, heißt das, wieder in die Heimat zurückkehren zu können. Zu ihrem Entsetzen stellt sie jedoch fest, dass ihr Besitz nach der Flucht enteignet wurde, nun wohnt Familie Paulsen in ihrem Haus – und denkt im Traum nicht daran auszuziehen. Dafür hat sie auch viel zu viel um die Ohren, denn im Zuge der Wiedervereinigung geht es gerade drunter und drüber, viele verlieren ihre alte Arbeit. Da verliebt sich ausgerechnet Katja Behrendt (Emilie Neumeister), die 16-jährige Tochter der Rückkehrer, in den ein Jahr älteren Thorben (Ludwig Simon) aus der Familie Paulsen. Wovon natürlich niemand wissen darf …

Anlässlich des 30-jährigen Jubiläums des Mauerfalls war es quasi unvermeidbar, dass eine ganze Reihe von Filmen erscheinen, die das historische Ereignis in irgendeiner Weise thematisieren. Und das bedeutet meistens: es feiern. Ob nun der Zeichentrickfilm Fritzi – Eine Wendewundergeschichte über ein Mädchen, das seiner besten Freundin den Hund zurückbringen will, oder Zwischen uns die Mauer um zwei junge Menschen, deren Liebe an der Teilung zu scheitern droht, am Ende geht alles gut aus. Wiedervereinigung heißt hier, Freunde und Familie wiedersehen zu dürfen, gemeinsam ein neues, besseres Leben zu starten. So wie es auch die Hoffnung war im Jahr 1989, als sich die Grenze zwischen Ost- und Westberlin öffnete.

Ach, darüber müssen wir nicht reden

Während diese Filme die Wende als Endpunkt hatten und vorher vornehmlich die diversen Schattenseiten der DDR auf die Leinwand brachten, da setzt Im Niemandsland später an. Die Wende ist hier nicht das Finale, sondern der Anfang. Erzählt wird von den Geschichten, die im Anschluss folgten. Geschichten, die nicht ganz so harmonisch-ideal verlaufen sind. Dass Menschen um Besitz stritten, der zuvor enteignet wurde, das dürfte für die meisten neu sein. Das passte einfach nicht so recht in die Euphorie und Aufbruchsstimmung der damaligen Zeit, als plötzlich alles möglich schien. Das waren Details, die im lauten Jubel niemand sehen oder hören wollte.

Dass Regisseur und Drehbuchautor Florian Aigner in seinem Langfilmdebüt auch an weniger schöne Momente damals erinnert, das ehrt ihn. Er hält nicht so viel von Schwarzweißzeichnungen. Das macht sich auch an den Figuren bemerkbar, die beide auf ihre Weise nachvollziehbar handeln. Der einen Familie wurde ihr Besitz gestohlen, den sie nun zurückwill. Die andere lebt jetzt aber selbst schon lange genug darin, um es als ihr Zuhause anzusehen. Ihnen das nun wegzunehmen, nur weil der Staat zuvor ungerecht war? Das ist schwierig, lässt sich nicht ohne Weiteres mit dem eigenen Moralvorstellungen vereinbaren. Im Niemandsland stellt uns zwei Familien vor, die beide auf ihre Weise zu Verlierern geworden sind.

Mehr, mehr, mehr

Hätte sich Aigner allein hierauf konzentriert, es hätte eine wirklich spannende Geschichtsstunde daraus werden können, die auch viel Stoff zum Nachdenken und Abwägen liefert. Doch Im Niemandsland sollte irgendwie viel mehr werden. Schon die Verknüpfung dieses deutsch-deutschen Konflikts mit einer Liebesgeschichte der Kinder wäre so nicht nötig gewesen, das Romeo-und-Julia-Szenario hat dem Ganzen nicht viel hinzuzufügen. Sie wirkt zudem nicht so wirklich. Wo es in besagtem Zwischen uns die Mauer viele schöne Momente gab, die völlig losgelöst vom DDR-Kontext funktionieren, da bleibt das hier seltsam bruchstückhaft. Die zwischenmenschlichen Beziehungen bleiben willkürlich, springen hin und her, ersetzen die notwendigen leisen Zwischentöne durch hysterisches Gekreische.

Insgesamt hätte es Im Niemandsland gut getan, an vielen Stellen etwas bescheidener und einfacher aufzutreten. Denn auch Nebenschauplätze wie der Stasi-Mann und die berufliche Verflechtung der zwei Familien führen dazu, dass das hier insgesamt zu überfrachtet ist, zu offensichtlich konstruiert. Und das ist schon recht schade. Das Drama, das auf den Hofer Filmtagen 2019 Premiere hatte, ist ein interessanter Gegenentwurf zu den Kollegen und ein schönes Zeitporträt dieser Zwischenphase, als keiner so wirklich wusste, wie es genau weitergehen soll. Für diese einzelnen Bestandteile lohnt sich der Film schon, nicht aber für das Zusammenspiel, da wäre deutlich mehr drin gewesen – oder eben weniger.

Credits

OT: „Im Niemandsland“
Land: Deutschland
Jahr: 2019
Regie: Florian Aigner
Drehbuch: Florian Aigner
Musik: Florian Gwinner
Kamera: Armin Dierolf
Besetzung: Emilie Neumeister, Ludwig Simon, Andreas Döhler, Lisa Hagmeister, Uwe Preuss, Judith Engel

Bilder

Trailer

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Nach der Wende ist alles super? Nicht so ganz. „Im Niemandsland“ erinnert an die vielen Probleme in der Übergangszeit, wenn eine geflüchtete DDR-Familie um ihren enteigneten Besitz kämpft. Das ist als Gegenentwurf zu den sonst üblichen Wendefilmen interessant und auch ein schönes Zeitporträt. Leider ist die Geschichte aber überkonstruiert, auch die damit verknüpfte Romanze überzeugt nicht so recht.
5
von 10