Never grow Old
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Never Grow Old

Never Grow Old
„Never Grow Old“ // Deutschland-Start: 22. August 2019 (DVD/Blu-ray)

Die Umstellung war groß für die Bewohner von Garlow: Prostitution war nun verboten, ebenso Alkohol und Glücksspiel. Aus der lasterhaften Grenzstadt sollte wieder ein lebenswerter Ort werden. Der Plan ging sogar in Erfüllung, zum Leidwesen von Patrick Tate (Emile Hirsch). Denn der hatte bislang ganz gut von seiner Arbeit als Bestatter leben können. Doch mit der Ausmerzung der Verbrechen sank auch die Zahl der Todesfälle rapide. Das soll sich nun dank der Ankunft von Dutch Albert (John Cusack) wieder ändern. Der hält nicht viel von Gesetzen oder auch Moral. Eine seiner ersten Maßnahmen: den alten Saloon kaufen und ein Bordell daraus machen. Patrick muss sich darauf bald die Frage stellen, ist das nun Segen oder Fluch für ihn und seine Familie?

Sie gehörten früher zum festen Personal eines jeden Westerns: die Bestatter. Die hielten sich meistens im Hintergrund, ähnelten ein bisschen Geiern, wenn sie mit dem Tod der anderen ihre Geschäfte machen. Sie konnten komisch sein, vielleicht auch widerlich. Wichtig jedoch waren sie eigentlich nie. Wenn Ivan Kavanagh (The Canal) ausgerechnet diese Figur nun in den Mittelpunkt rückt, dann macht das natürlich neugierig. Hat so jemand etwas zu sagen? Hat er eine eigene Geschichte? Lohnt es sich, ihm zuzuhören und zuzusehen, wie er seiner Arbeit nachgeht?

Ist von Bösen profitieren böse?
Die Antwort ist interessanter, als man das im Vorfeld vielleicht hätte denken können. Patrick ist sicher kein Held, nicht im klassischen Sinne. Er ist aber auch kein Schurke. Denn nicht er ist es, der das Böse über die Stadt gebracht hat. Er ist ein anständiger Kerl, der von der unanständigen Taten der anderen lebt. Das ist moralisch natürlich ambivalent. Never Grow Old verpasst es auch nicht, diesen Zwiespalt immer wieder zu thematisieren. Vor allem Patricks Ehefrau Audrey (Déborah François) wird zu diesem Zweck eingespannt, wenn sie ihm Mal für Mal ins Gewissen redet. Aber was sind die Alternativen? Berufliche Perspektiven sind für einen Zimmermann eher gering. Zumal es ja auch jemanden braucht, der Särge und Galgen baut.

Diese Nachdenklichkeit behält Never Grow Old jedoch nicht durchgängig bei. Zum einen besteht der irische Filmemacher Kavanagh darauf, dass seine Hauptfigur – ebenfalls Ire – eine Entwicklung durchmacht, zum Besseren natürlich. Die grundsätzliche Frage, ob es moralisch vertretbar ist, von der Unmoral zu profitieren, wird dadurch dem Publikum zu sehr abgenommen. Zumal die Verkörperung dieser Unmoral auf beeindruckende Weise abstoßend ist: John Cusack darf als stets schwarz gekleideter Schatten die menschlichen Abgründe nicht nur verkörpern, sondern sie auch mit dicken Pinselstrichen auf den Bildschirm kleistern.

Schaut her, ich bin der Abgrund!
Für Nuancen bleibt bei ihm keine Zeit. Vielmehr würde er auch als Karikatur durchgehen, so grob ist die Figurenzeichnung. Damit einher gehen auch diverse Dialoge, die sich selbst am liebsten für ihre betont düstere und anrüchige Färbung auf die Schulter klopfen würden, sofern sie das könnten. Dass Kavanagh an der Stelle nicht auch ein bisschen mehr investiert hat, ist schon schade, dem Inhalt tut das nicht unbedingt gut. Der Film ist an dieser Stelle dann doch ein bisschen sehr altmodisch. Andererseits macht es Spaß, dem einstigen Frauenheld dabei zuzusehen, wie er sich im moralischen Dreck wälzt und gerne anderen plakativ zeigt, wie furchtbar böse und frei jeglicher Skrupel ist.

Auch sonst ist Never Grow Old ein klarer Fall für die Freunde und Freundinnen des gepflegten Schmutzes. Licht und Farben gibt es im alten Westen praktisch keine. Manchmal fragt man sich gar, ob der liebe Gott nicht vielleicht doch erst zu einem späteren Zeitpunkt die Sonne erfunden hat. Zurückhaltung ist an der Stelle also erneut nicht unbedingt die hervorstechendste Eigenschaft des Films. Atmosphärisch ist es dafür schon, was Kavanagh und sein Kameramann Piers McGrail (The Cured – Infiziert. Geheilt. Verstoßen.) uns da eingebrockt haben. Vor allem gegen Ende gibt es ein paar starke Bilder, von furchterregend bis faszinierend. Mit seinem Werk wollte der Ire an daran erinnern, wie hart und entbehrungsreich das Leben seinerzeit war, wie wenig Glück die damaligen Immigranten vorfanden, als sie mit großen Träumen anreisten, nur um dann im Elend zu enden. Oder in einem Sarg, Patrick sei Dank.



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Ein Western, in dem der Bestatter im Mittelpunkt steht? Das ist schon etwas ungewöhnlicher. „Never Grow Old“ kombiniert ganz klassische Elemente mit moralischer Ambivalenz und sehr düsteren Bildern. Das ist atmosphärisch, wenn auch manchmal etwas übertrieben – gerade auch beim spaßig abgründigen Gegenspieler.
6
von 10