Hot Air
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Hot Air

Hot Air
„Hot Air“ // Deutschland-Start: 5. September 2019 (Kino)

Radiomoderator Lionel Macomb (Steve Coogan) ist jemand, der das Land spaltet – und es auch gerne tut. Während die einem ihm zujubeln, während er gegen Minderheiten und Einwanderer hetzt, ist er eben deshalb für andere der Inbegriff des Bösen. Damit kann er gut leben, damit hat er viel Geld verdient. Warum also etwas ändern? Und doch, eine große Änderung kann selbst der wortgewandte Kommentator nicht verhindern: Tess (Taylor Russell). Seine Nichte steht eines Tages vor ihm, nachdem ihre Mutter, mit der Lionel seit Jahren keinen Kontakt mehr hat, mal wieder in der Entzugsklinik ist. Sie schafft es sogar, sich in seinem Haus einzunisten und sich mit seiner Freundin Valerie Gannon (Neve Campbell) zu verbünden. Dabei hat er eigentlich gerade andere Sorgen, denn sein ehemaliger Schützling Gareth Whitley (Skylar Astin) beginnt, ihm das Publikum abspenstig zu machen.

Gerade durfte man sich mal wieder etwas verwundert die Augen reiben: Da beschwert sich doch tatsächlich Donald Trump darüber, dass Fox News zu sehr über die Demokraten berichtet und sie nicht hart genug rannimmt. Eigentlich sollte man solche grotesken Einschätzungen inzwischen gewohnt sein, der Medienzirkus in den USA ist schon seit Längerem so entfesselt, dass mehr oder weniger alles möglich ist, von der Wahrheit vielleicht einmal abgesehen. Inhaltliche Auseinandersetzungen gibt es keine mehr, es gibt nur noch Sieger und Verlier, wir und die anderen. Ganze Karrieren beruhen darauf, anderen das Gefühl zu geben, einer von ihnen zu sein, egal ob das nun stimmt oder nicht.

Kasse machen mit den Schwächen anderer
Lionel Macomb ist nun die Verkörperung dieser Hetze, aber auch der Zerrissenheit. Es dauert nicht lange, bis er die Stimmung bei seinem Publikum – und damit dem im Kinosaal – aufheizt, wenn er in billigster Polemik andere heruntermacht, gleichzeitig aber auch die Diskussion verhindert. Denn wenn etwas unbequem wird, schaltet er Anrufer einfach ab. Hot Air zeigt damit einen Teil der Bevölkerung, der es sich in einer Blase bequem gemacht hat, von der aus über andere geschimpft werden kann, ohne diesen anderen jemals begegnen zu müssen. Das kann ziemlich rentabel sein, wie Lionel zeigt, oder auch andere Kommentatoren in den USA, von den politischen Populisten im Rest der Welt ganz zu schweigen. Offen bleibt dabei manchmal: Glauben diese Scharfmacher, was sie sagen, oder nutzen sie ihr Publikum einfach nur aus?

Bei Lionel ist das einfach: Hot Air will schließlich ein möglichst großes Publikum erreichen, was wiederum bedeutet, dass der Protagonist nicht tatsächlich böse sein darf. Er braucht nur einen kleinen Schubs in die richtige Richtung. Beim Prototyp Die Weihnachtsgeschichte von Charles Dickens waren es die diversen Geister. Bei Filmen sind es oft junge Menschen, die in den grimmigen, alten Männern das Gute hervorlocken. Drehbuchautor Will Reichel hält sich an dieses bewährte Szenario, was nicht nur ein bisschen langweilig ist. Es ist zudem ziemlich zynisch, wie opportunistisch seine Tragikomödie da vorgeht, wie Lionel auch einfach nur Geschäfte machen will, anstatt etwas auszusagen.

Alles nicht so schlimm!
Ärgerlich ist dabei vor allem, wie leicht der Film den Moderator davonkommen lässt. Da wird einfach von einer kaputten Familie gesprochen und schon soll damit alles erklärt sein, was später aus dem vernachlässigten Jungen geworden ist. Ein bisschen mehr Komplexität wäre dem Publikum da schon zuzutrauen gewesen. Die von Freundin Valerie angedeutete Ambivalenz wird nie schlüssig gezeigt – ganz zu schweigen, dass ohnehin nicht klar wird, was genau sie denn nun an ihm findet. Auch der obligatorische Sinneswandel wird nicht wirklich erarbeitet: Eine in Jahrzehnten aufgebaute Weltsicht ändert sich normalerweise nicht in wenigen Wochen, nur weil ein Drehbuch und die übliche Spielfilmlänge das so verlangen. Das Ergebnis: ein eher unbefriedigender Mix aus Märchenhaften und Gesellschaftsporträt.

Seine Stärken hat der Mix aber natürlich schon. Zum einen macht es dann doch großen Spaß, Steve Coogan (Stan & Ollie, Ideal Home) dabei zuzusehen bzw. zuzuhören, wie er genüsslich andere zur Weißglut bringt. Und ein späterer Ausbruch, der zur Generalabrechnung mit der Gesellschaft wird, hat nicht nur die Faszination eines sich in Zeitlupe ablaufenden Unfalls, er spricht zudem ein paar unangenehmere Wahrheiten an. Zumindest als Denkanstoß kann Hot Air daher schon herhalten, als Wohlfühl-Plädoyer für mehr Versöhnung und Austausch. Denn wenn selbst ein verabscheuungswürdiger Hardliner und Scharfmacher wie Lionel gut sein kann, dann lohnt es sich vielleicht doch, anderen in ihrer Blase einen Besuch abzustatten, anstatt sie nur sich selbst zu überlassen. Zumal es auch sympathisch ist, sich dieses Themas überhaupt anzunehmen, anstatt nur zu klagen, selbst wenn das Ergebnis nicht sonderlich realistisch ist.



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„Hot Air“ zeigt einen zynischen Radiomoderator, der es mit dem Bedienen von Ressentiments zu Ruhm und Geld gebracht hat. Dabei ist der eigentlich ein guter Mensch, nur das Opfer einer verkorksten Kindheit. Diese Vereinfachung des Themas ist natürlich kaum realistisch, teils sogar zynisch. Dafür ist die Tragikomödie gut besetzt und um Versöhnung bemüht, was in einer Zeit der Spaltung zumindest nicht verkehrt ist.
5
von 10