Sameh Zoabi bei der Deutschland-Premiere seines Films "Tel Aviv on Fire" (© FILMFEST MÜNCHEN 2019 / Bernhard Schmidt)

Sameh Zoabi [Interview]

Im Leben von Salam (Kais Nashif) geht es hoch her. Erst wird der junge palästinensische Mann unverhofft zum Drehbuchautor einer beliebten Seifenoper ernannt. Und dann läuft er bei einer Kontrolle am Checkpoint dem israelischen Soldaten Assi (Yaniv Biton) über den Weg, der in Zukunft mitbestimmen möchte, wie es in der Serie weitergeht. In Tel Aviv on Fire nimmt sich der palästinensische Filmemacher Sameh Zoabi auf eine sehr eigene Weise des Nahostkonflikts an. Wir haben ihn anlässlich der Deutschlandpremiere seiner Komödie beim Filmfest München 2019 getroffen und ihn ein wenig zu seinem preisgekrönten Film befragt.

Dein neuer Film Tel Aviv On Fire hat mehrere Filmpreise gewonnen und wurde auch vom Publikum gefeiert. Wie wichtig ist dir eine solche Anerkennung?
In meinem Fall war es eine Erleichterung. Der Film hatte zuvor mit jeder Menge Argwohn zu kämpfen von der Filmindustrie. Dass der Humor nicht funktionieren würde, dass das mit der Politik so nicht klappt. Das waren immer die Reaktionen der Vertriebe. Und auch vorher schon, als wir nach einer Finanzierung gesucht haben. Wie sind kein Art House, sind aber auch kein reines Unterhaltungskino, weil uns die Stars fehlen. Wir sind irgendwo dazwischen, wo es am Publikum liegt zu sagen: Wir haben gelacht und wir haben auch die Politik verstanden. Der Moment, als wir den Film in Venedig vor 1.500 Leuten gezeigt haben, die lachten und applaudierten, das hat mich richtig zum Weinen gebracht. Ich habe dann gesagt: Seht ihr, ich habe es euch immer gesagt, das geht alles! Selbst die Produzenten hatten da so ihre Zweifel. Aber ich war davon überzeugt, dass wir da etwas haben, das es wert ist, daran festzuhalten.

Wie sehr spiegeln sich deine Erfahrungen als Drehbuchautor in dem Film wieder?
Sehr. Ich hätte den Film nicht schreiben können, wenn ich mich nicht mit der Hauptfigur hätte identifizieren können. Ich bin ein Palästinenser, der in Israel aufwächst. Ich bin ein israelischer Staatsbürger, der Hebräisch spricht. Ich nehme israelisches Geld für meinen Film. Deswegen lebe ich in einer Welt, in der ich dauernd von anderen beobachtet werde. Die Israelis wollen sichergehen, dass ich nicht zu palästinensisch werde. Die Palästinenser wollen sichergehen, dass ich mich nicht an die Israelis verkaufe und zu israelisch werde. Die Europäer wollen keins von beidem, damit es schön ausgeglichen ist. Seit meinem ersten Film stecke ich schon in diesem Dreieck fest. Die Israelis geben dir kein Geld, wenn du zu politisch bist. Und die Europäer geben dir kein Geld, wenn du keins von Israel bekommen hast, weil du immer auch Geld von deinem Heimatland bekommen musst.

Aber warum hast du eine Komödie aus dem Thema gemacht?
Ich habe nicht die Komödie gewählt. Die Komödie hat mich gewählt. Mein erster Film war eine Komödie. The Idol hat auch viele lustige Szenen. Für mich ist das eine ganz natürliche Weise, um eine Geschichte zu erzählen. Ich bin gar nicht so sehr an Themen interessiert. Ich bin auch nicht an der Politik interessiert, die du dauernd in den Nachrichten siehst. Was mich interessiert, sind die Menschen, die irgendwo in der Mitte gefangen sind. Und wenn du gefangen bist, dann entsteht daraus Humor. Außerdem ist das die Art und Weise, wie ich aufgewachsen bin. Bei uns wurde über alles Tragische immer gelacht. Das ist ganz typisch für Palästina. Wir werden belagert. Und zu lachen hilft uns dabei, das auszuhalten. Zu sagen, wie schlecht es uns geht, würde uns gar nicht helfen. Deswegen suchen wir immer nach einer Pointe beim Schreiben. Das größte Problem bei Tel Aviv on Fire war es, einen Grund zu finden, warum er an diesem Check Point halten sollte. Einen Twist zu finden. Als ich erst einmal diesen Grund hatte, konnte ich das Drehbuch innerhalb von sechs Wochen schreiben. Selbst wenn wir von der Polizei aufgehalten werden, muss dir irgendetwas einfallen. Einmal waren wir mit Dreharbeiten beschäftigt zwischen Jerusalem und dem Westjordanland und fuhren zu schnell. Unser Auto hatte damals in israelisches Kennzeichen. Als die Polizei uns fragte, warum wir so schnell fuhren, antwortete der Fahrer mit einem hebräischen Akzent: Wir haben eine Menge Autos mit palästinensischen Kennzeichen gesehen. Da bin ich nervös geworden und hab aufs Gaspedal getreten. So funktioniert unser Gehirn einfach.

Wie ähnlich sind sich palästinensischer und jüdischer Humor?
Ich denke, dass die sich sehr ähnlich sind. Wir haben beide eine Menge gemeinsam, weil wir uns beide so fühlen, als wären wir belagert. Obwohl die Israelis einen Staat gegründet haben und über eine der stärksten Armee der Welt verfügen, fühlen sie sich immer noch wie Opfer. Und der Humor spiegelt das wieder. Der jüdische Humor war schon von den Anfängen des Kinos an stark vertreten. Da müssen wir Palästinenser noch viel aufholen. Aber wir sind dabei aufzuholen, ich sehe viele palästinensische Stand-up Comedians, auch in New York. Humor befreit uns und erinnert uns daran, dass wir alle universell sind. Die Fähigkeit, über dich selbst zu lachen, ist eine Qualität, die dir hilft, dich mit anderen zu verbinden. Vor diesem Film arbeitete ich an einem Titel namens Catch the Moon, eine Komödie in Gaza. Ich habe versucht, Geld dafür aufzutreiben, aber niemand wollte das machen, weil Gaza einfach nicht lustig ist. Das weiß ich natürlich auch. Meine Geschichte handelt von einem Typen, der heiraten möchte. Mit der Familie seiner Braut beschließt er, als Mitgift ein Auto zu kaufen. Während sie versuchen, dieses Auto aufzutreiben, geraten sie ständig in lustige Situationen. Aber niemand wollte diesen Film machen, weil es keine Explosionen gibt, weil niemand andere umbringt. Dabei ist für mich eine Geschichte über einen Typen, der einfach nur heiraten möchte, sehr viel stärker, weil du da leicht mitfühlen kannst.

Wie siehst du die Funktion eines Filmemachers in dieser Situation? Bist du jemand, der die Realität abbilden oder auch verändern möchte?
Mir war meine Verantwortung gar nicht bewusst, bevor ich meinen ersten Kurzfilm drehte. Es war der erste Kurzfilm, der in Cannes einen Preis gewonnen hat. Später wurde ich in den Q&As gefragt, wie die Situation meiner Meinung nach gelöst werden kann. Wie denkst du über die Israelis? Wie denkst du über die PLO? Stimmst du mit Selbstmordattentaten überein? Darauf war ich gar nicht vorbereitet. Ich wollte einfach nur einen Studentenfilm drehen. Mir war nicht bewusst, wie viel Verantwortung damit einhergeht. Das war ein Weckruf für mich, weil ich vorher nie ein politischer Mensch war. Mein Vater war ein einfacher Mensch, der nur über die Runden kommen wollte. Deswegen sind meine Figuren ein bisschen so. Sie wollen einfach nur mit diesem Schlamassel klarkommen. Ich spüre diese Verantwortung und verstehe sie auch, habe aber noch nicht herausgefunden, wie ich mit ihr umgehen soll. Ich werde mit der Zeit politischer, weiß aber nicht, in welche Richtung sich das alles bewegen wird. Ich bin gerade auf einer Reise als Filmemacher, sowohl künstlerisch wie auch politisch, deren Ende ich noch nicht absehen kann.

Zur Person
Sameh Zoabi wurde 1975 in dem palästinensischem Dorf Iksal geboren. Er studierte Filmwissenschaften und englische Literatur an der Universität Tel Aviv und erhielt ein Stipendium für ein Regiestudium an der Columbia Universität. Zu seinen Werken zählen der Kurzfilm Be Quiet, der 2005 bei den Filmfestspielen in Cannes Premiere feierte, der Dokumentarfilm Familienbilder (2012) sowie das Drama Under the Same Sun (2013).



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