Jibril
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Jibril

Jibril
„Jibril“ // Deutschland-Start: 9. Mai 2019 (Kino) // 30. Oktober 2020 (DVD)

Einen Mann? Das braucht Maryam (Susana Abdulmajid) eigentlich nicht, um glücklich zu sein. Oder beschäftigt. Schließlich hat die in Berlin lebende Irakerin drei Kinder, um die sie sich nach ihrer Scheidung alleine kümmern muss. Was nicht einfach ist, vor allem wenn die Pubertät naht. Und doch, irgendwie gefällt ihr das mit dem Verliebtsein. Den passenden Partner hat sie dafür auch schon: Jibril (Malik Adan), den sie einige Jahre zuvor auf einer Hochzeit kennengelernt hat und mit dem sie gern mehr Zeit verbringen würde. Ihr Umfeld hält hingegen so gar nichts von dieser Liaison, aus gutem Grund: Jibril sitzt im Gefängnis, wird dies auch noch eine ganze Weile tun. Welche Zukunft kann eine Liebe da schon haben?

Die Sehnsucht nach einem unerreichbaren Menschen, die ist bei vielen gerade im Jugendalter ausgeprägt, wenn wir von Stars schwärmen, davon träumen, mit ihnen ein bisschen Zeit verbringen zu dürfen. Dass das nicht realistisch sind, das wissen wir meistens, stört aber nicht weiter. In dem Alter darf die Welt gern noch ein paar Idealen entsprechen, die gehen später meistens von selbst wieder verloren, wenn wir vom Alltag eingeholt werden. Nun entspricht Jibril sicherlich nicht dem gängigen Ideal eines Partners. Es ist noch nicht einmal genau sicher, was genau Maryam an ihm findet, über eine grundsätzliche Anziehungskraft hinaus, die sich in der ersten Szene zeigt, der ersten Begegnung der beiden, lange vor der Gegenwart.

Das Geheimnis einer Liebe
Aber Erklärungen sind auf der Prioritätenliste von Henrika Kull ohnehin nicht allzu weit oben. Warum Jibril im Gefängnis sitzt, das verrät die Regisseurin und Drehbuchautorin beispielsweise nie. Auch das Scheitern von Maryams Ehe wird zu keiner Zeit ausführlich thematisiert, der Mann taucht nur in der dritten Person auf, zu sehen bekommen wir nicht. Warum sie sich getrennt haben, auch das weiß nur die Familie, über die Länge der Beziehung lässt sich nur anhand der drei vorhandenen Kinder spekulieren. Von Kontexten, seit wann die Familie in Deutschland ist, ganz zu schweigen.

Das passt natürlich zu einem Film, der von diffusen Sehnsüchten handelt. Der auch ein ganz eigenes Verhältnis von Distanz und Nähe pflegt. Dass es hierbei zu Widersprüchen kommt, stört Kull nicht weiter. Es macht sogar zum Teil die Faszination von Jibril aus, wenn nicht alles wirklich greifbar ist. Maryam, die tagsüber so stark ist, so selbstbewusst, so unabhängig, ausgerechnet die schaut sich nachts kitschige arabische Telenovelas an, in denen Frauen sich Männern an den Hals werfen? Eine Traumwelt trifft auf eine eher graue Realität, die Protagonistin wandert von der einen zur anderen, ohne sich dabei jemals festlegen zu wollen.

Das Leben in der Ferne
Wenn der Film nicht nach ihr benannt ist, sondern dem inhaftierten Jibril, dann mag das zuerst etwas überraschen, denn im Mittelpunkt der Geschichte steht eindeutig sie. Sie hat mehr Szenen, mit der Familie, mit dem Alltag. Sie hat auch mehr Leben, verbringt nicht ihre Zeit in der Wartestellung eines Gefängnisses. Und doch ist auch diese Entscheidung Kulls schlüssig: Jibril ist das Objekt der Begierde, das Ziel von Träumen und Sehnsüchten, auf das alles ausgerichtet ist, ohne je wirklich konkret zu werden. Ein gleichzeitig selbstbestimmtes und doch auch fremdbestimmtes Leben. Etwas, das vielleicht auch deswegen so eine starke Wirkung hat, weil es eben nicht erreichbar ist.

Gleichzeitig hat das aber auch zur Folge, dass der Film zuweilen etwas unbefriedigend ist. Das Drama, das auf der Berlinale 2018 Premiere feierte, springt von einer Momentaufnahme zur nächsten, ohne dass es jemals eine nennenswerte Entwicklung gäbe. Zwischendurch wird ein Konflikt eingebaut, der aber keinen großen Einfluss auf die Geschichte hat. Wenn nach dem vielen Schmachten und Sehnen zum Ende doch noch ein nächster Schritt gemacht wird, dann ist das seltsam losgelöst von dem, was zuvor geschehen ist. Ist willkürlich, erneut nicht ganz greifbar. Aber zu dem Zeitpunkt spielt das auch schon keine Rolle mehr, die nebulöse Romantik funktioniert wie die Hochglanzposterschwärmereien nach anderen Regeln, lässt sich von nichts festhalten – nicht einmal Gitterstäben.



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„Jibril“ erzählt die Liebesgeschichte zwischen einer alleinerziehenden Mutter und einem Gefängnisinsassen. Das lebt vor allem vom Spiel von Nähe und Distanz, wenn Sehnsüchte bewusst ungreifbar bleiben, vieles hier auch gar nicht erst erklärt oder kontextualisiert wird. Das ist mal faszinierend, mal unbefriedigend, gerade auch wegen der fehlenden Entwicklung.
7
von 10