Oray
© Christian Kochmann / filmfaust

Oray

Oray
„Oray“ // Deutschland-Start: 30. Mai 2019 (Kino)

Es war ihm im Eifer des Gefechtes herausgerutscht, ein Versehen quasi. Doch schon kurz nachdem Oray (Zejhun Demirov) im Streit seiner Frau Burcu (Deniz Orta) die Scheidungsformel „talaq“ auf den Anrufbeantworter spricht, bereut er seine Tat. Zu spät. Drei Monate müssen sie nun getrennt sein, so klärt ihn sein Iman auf, so will es das Gesetz Gottes. Oray fügt sich, zieht erst einmal von Hagen nach Köln und fängt auch dank der Hilfe des jungen Imam Bilal (Cem Göktaş) ein neues Leben an. Während er sich in seiner neuen Umgebung wohl fühlt und auch beginnt, Verantwortung zu übernehmen, sind seine Gefühle für Burcu nach wie vor ungebrochen stark. Doch die Versöhnung ist kompliziert, auch weil es verschiedene Auslegungen des Islams gibt.

Es ist sicher mutig, einen Film wie Oray zu drehen und auch in die Kinos zu bringen. Einen Film, der sich mit verschiedenen Auslegungen des Islams befasst, das ist in einer Zeit, in der diese Religion von manchen unter Generalverdacht gestellt wird, kein einfaches Thema. Oder auch ein Thema, das schnell einmal missbraucht werden kann. Wer ohnehin keine Sympathien für die weltweit zweitgrößte Religion mitbringt, der wird sich hier schnell bestätigt fühlen. Wie kann eine auf einen Anrufbeantworter hinterlassene Nachricht solche Konsequenzen haben? Sind die denn alle bescheuert?

Komplexe und widersprüchliche Wertvorstellungen
Regisseur und Drehbuchautor Mehmet Akif Büyükatalay geht es in seinem Debüt aber offensichtlich nicht darum, den Glauben als solchen zu diskreditieren. Er begegnet ihm mit viel Respekt, selbst diesem für Nicht- oder Andersgläubige so kuriosen Scheidungsakt. Auch Oray, der mit der Entscheidung hadert, setzt sich nicht einfach über die Regeln hinweg, sondern versucht irgendwie einen Ausweg zu finden. Was ganz gerne mal auf Außenstehende wie ein einheitlicher Block wird, ist bei genauerer Betrachtung dann doch deutlich komplexer. Und eben auch widersprüchlicher – obwohl es hier ausschließlich um Moslems innerhalb von Deutschland geht.

Eine Entscheidung, welche Auslegung denn nun die richtige ist, die maßt sich Büyükatalay natürlich nicht an. Er lässt sogar offen, ob es eine solche überhaupt geben kann. Anstatt den Weg irgendwie vorgeben zu wollen, beschränkt sich der in Hagen geborene Filmemacher darauf, den Ist-Zustand festhalten zu wollen. Geradezu dokumentarisch mutet Oray an, rau in seiner Darstellung, mit ungeschönten Bildern, wenn wir abwechselnd den Protagonisten beim Beten, Zocken oder Verhandeln auf dem Markt über die Schultern schauen.

Mehr Menschen, weniger klare Antworten
Das Drama, welches auf der Berlinale 2019 Weltpremiere feierte, verfolgt dabei kein klar zu erkennendes Ziel. Eine Auseinandersetzung zu dem Thema Scheidung, wie es das Ausgangsszenario nahelegen würde, die findet nur selten statt. Ebenso oft redet Oray von den Menschen, die im Umfeld auftauchen und die trotz der gemeinsamen Religion unterschiedlicher kaum sein könnten. Auch wenn der Titel suggeriert, dass es in erster Linie um den eher fahrlässig Getrennten geht, so ist der Film doch auch ein Querschnitt durch eine lose Gemeinschaft.

Das ist trotz der Distanz und der nüchtern-schmucklosen Darstellung erkennbar auch eine Aufforderung zum Dialog. Dialoge innerhalb der Gemeinschaft. Vielleicht auch Dialoge mit Außenstehenden: Zumindest an einer Stelle spricht Oray an, dass die Gläubigen sich ein eigenes Ghetto geschaffen haben, Bilal sieht zudem keinen Wert darin, mit Nicht-Muslimen zu verkehren. Dass dies nicht die letzte Antwort sein kann, das ist hier schon klar, nicht aber, wie diese stattdessen aussehen kann. Das, so scheint es, muss jeder für sich selbst herausfinden. Denn dafür bietet das Leben zu viele verschiedene Interpretationsmöglichkeiten und zu verschiedene Lebensumstände, zu viele Werte auch, die miteinander im Wettstreit sein können und dabei doch nicht zwangsweise verkehrt sein müssen.



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Ein Muslim spricht seiner Frau die islamische Scheidungsformel auf den Anrufbeantworter und wird nun gezwungen, sich auch tatsächlich von ihr zu trennen. Was sich für Andersgläubige kurios anhört, wird bei „Oray“ Anlass, sich mit verschiedenen Auffassungen von Religion auseinanderzusetzen. Zu einer eindeutigen Antwort gelangt das Drama nicht, ist stattdessen Porträt und Plädoyer für Austausch.
7
von 10