Die Erbinnen
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Die Erbinnen
„Die Erbinnen“ // Deutschland-Start: 29. November 2018 (Kino)

Bislang haben Chela (Ana Brun) und Chiquita (Margarita Irún) eigentlich ganz gut gelebt. Zu gut sogar. Seit vielen Jahren lebt das Paar schon über seine Verhältnisse und ist mittlerweile gezwungen, sich von alten Erbstücken zu trennen, um den eigenen Lebensstil finanzieren zu können. Die eigentliche Herausforderung kommt aber, als Chiquita wegen der Schulden für einen Monat ins Gefängnis muss. Nun muss Chela allein ihr Leben meistern, alles organisieren, was der introvertierten älteren Dame ein wenig schwer fällt. Doch nach und nach findet sie sich in ihrer Rolle zurecht und verdient, mehr aus Zufall heraus, sogar ein wenig Geld als Taxifahrerin. Bis sie Angy (Ana Ivanova) kennenlernt und langsam für sie Gefühle entwickelt.

Ein Film über ein homosexuelles Paar, das bedeutet meistens Probleme. Oft weil die Protagonisten noch am Anfang stehen, ihre Unsicherheit überwinden müssen, vielleicht auch die Vorbehalte und Hindernisse, die das Umfeld für sie bereithält. In Die Erbinnen ist das anders. Nicht nur dass die beiden seit Ewigkeiten schon liiert sind, beide sich in ihren jeweiligen Beziehungsrollen eingerichtet haben. Sie scheinen zudem nicht den Eindruck zu machen, als hätten sie jemals in ihrem Leben um etwas kämpfen müssen.

Gesellschaftlicher Niedergang, persönliche Chance
Regisseur und Drehbuchautor Marcelo Martinessi findet in seinem Spielfilmdebüt dann auch gleich zwei Themen, die er behandelt. Zum einen schildert der paraguayische Filmemacher den langsamen Niedergang der Oberschicht seines Heimatlandes. Die prunkvollen Möbel einer anderen Zeit, die verscherbelt werden müssen, die schwindenden Statussymbole, an die sich die beiden klammern. Überreste einer vergangenen Zeit, einer alten Erinnerung. Damit verknüpft ist das Schicksal des Paares, das ebenfalls erste Risse bekommt. Das diese Risse vielleicht schon sehr lange hat, ohne dass eine der beiden dies bemerkt hätte.

Ältere Protagonisten, die noch einmal das Leben entdecken, die gab es zuletzt jede Menge. Ob nun Book Club, Grüner wird’s nicht, sagte der Gärtner und flog davon oder Tanz ins Leben, sie alle erzählen davon, wie Menschen im fortgeschrittenen Alter einen Neuanfang wagen, meist aus der Not heraus. Die Erbinnen tut das zu einem gewissen Grad auch, aber auf eine eigene Weise. Der Film ermuntert durchaus dazu, alles zu hinterfragen und einmal in sich hineinzuhorchen. Und bleibt doch auf eine spannende Weise ambivalent: Martinessi stellt Fragen, gibt aber keine Antworten, ist mit seiner Nachricht sehr viel zurückhaltender als die Kollegen.

Psst, zuhören, bitte!
Ohnehin ist das Drama, das auf der Berlinale 2018 Premiere hatte und mehrere Preise erhielt, eines der leisen Zwischentöne und Andeutungen. Vieles wird nicht offen angesprochen oder auch gezeigt, es liegt an den Zuschauern und Zuschauerinnen, die Szenen einzuordnen, sich Kontexte zu erschließen oder auch die Figuren. Das dies so gut funktioniert, ist zum einen der schönen Inszenierung und Kameraarbeit zu verdanken, die vieles von dem, was wortlos bleibt, in Bilder packt. Die Unsicherheit von Chela, die auf eigenen Beinen stehen muss und langsam die Welt da draußen mit kleinen Trippelschritten erkundet, mit verstohlenen Blicken aus den Schatten heraus.

Ein großes Kompliment gebührt aber auch Ana Brun, die hier sehr schön die Balance aus Zeigen und Nichtzeigen meistert. Ausgerechnet die Frau, die sich bislang hinter ihrer Partnerin, wahlweise auch einer Staffelei versteckt hat, wird zum Mittelpunkt, findet Beachtung, darf jemand sein. Das ist rührend und mit viel Wärme erzählt, ohne dabei in Kitsch oder Grußkartenfloskeln zu verfallen. Denn selbst wenn das Leben im Anschluss deutlich mehr Möglichkeiten für Chela bereithält, einfach wird es nicht. Dafür ist es dann doch zu komplex, wie sie anhand der verschiedenen Taxibekanntschaften feststellen muss, oder auch bei der Gefängnisgeschichte, die noch einmal einen ganz anderen Blick auf das Leben in Paraguay wirft. Sie alle haben hier auf ihre Weise geerbt, von der Gesellschaft, der Familie, im Guten wie im Schlechten. Und nun liegt es an ihnen, was sie mit diesem Erbe anfangen.



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Wenn ein älteres Paar in „Die Erbinnen“ in Geldnot gerät, dann ist das der Anlass für eine gleichermaßen persönliche wie gesellschaftliche Geschichte über den Niedergang der Oberschicht von Paraguay. Das Drama hält sich dabei schön zurück, überlässt es der Hauptdarstellerin und der feinen Bildarbeit, um das zu vermitteln, was niemand sagen mag.
8
von 10