M 2018
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M (2018)

Auch wenn man es sich vielleicht anders wünschen würde, in unschön regelmäßigen Abständen wird man an den systematisierten Missbrauch in der katholischen Kirche erinnert. So auch vor Kurzem, als Mitte August ein verstörender Bericht veröffentlicht wurde, laut dem 300 Priester im US-Bundesstaat Pennsylvania sich im Lauf der letzten Jahrzehnte an mehreren Tausend Kindern vergangen haben sollen. Die Kirche selbst schaute weg, schützte im Zweifelsfall sogar die Täter, um das eigene Ansehen nicht zu beschmutzen.

Kindesmissbrauch als weltweites Phänomen
Dass die Katholiken nicht das Exklusivrecht auf sexuellen Missbrauch haben, das führt einen die Dokumentation M vor Augen, die auf dem Locarno Festival 2018 debütierte und dort auch gleich den Special Jury Prize abgeräumt hat. Wobei es eine Weile dauert, bis einem dämmert, wovon der Film eigentlich handelt. Bis einem dämmert, welche Ausmaße dieser Missbrauch angenommen hat. Denn die französische Regisseurin Yolande Zauberman geht hier äußerst behutsam vor, nimmt auch kleinere Umwege, um ihre Geschichte zu erzählen.

Genauer ist es die Geschichte von Menahem Lang. Der wuchs in Bnei Berak auf, einer Stadt nordöstlich von Tel Aviv, in der besonders viele unorthodoxe Juden leben. Dort ging er an die Talmudschule, dort wurde er für seinen glockenklaren Gesang bewundert. Dort wurde er vergewaltigt, mehrfach, von Leuten, die ihm nahestanden und ihn hätten beschützen müssen. Und er ist nicht der einzige, wie sich im Laufe des Films herausstellt, M zeigt uns einen Blick in den Abgrund, der noch lange nachwirkt.

Die persönliche Geschichte eines Triumphes
Zauberman, die schon zuvor in Cannes und Moskau Preise einsammelte, stellt dabei immer Menahem in den Mittelpunkt. Anstatt sich mit Experten auszutauschen, lässt sie das ehemalige Opfer erzählen, statt nüchterner Zahlen sind persönliche Anekdoten gefragt. Und die haben es in sich. Das Besondere an M ist dabei, dass hier weder auf die Tränendrüse gedrückt, noch anderweitig versucht wird, die Tragik auszuschlachten. Der charismatische Protagonist ist kein gebrochener Mann, der sich über seine Misshandlungen definiert. Er begegnet dem Thema sogar erstaunlich oft mit Humor.

Natürlich ist der dann ein wenig schwärzer gefärbt: Der auf Jiddisch gedreht Film mag sich zwar nicht in Wehklagen stürzen, er schaut aber auch nicht weg. Nach und nach ergibt sich daraus das Bild einer Gemeinschaft, in der die einzelnen nicht wirklich viel zählen, in der gepredigte Werte nur zufällig etwas mit dem Leben vor Ort zu tun haben. M zeigt uns die Langzeitfolgen einer solchen Jugend, von sexueller Verwirrung bis zu einem verdrehten Verständnis von Intimität. Die Dokumentation ist dabei jedoch gleichzeitig die Geschichte eines Triumphes. Eines jungen Mannes, der sich nicht von der Dunkelheit vereinnahmen ließ, sondern sich ihr stellte, öffentlich stellte, und damit auch anderen Mut macht, das schwierige Thema anzugehen und Tabus zu brechen.



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In „M“ folgen wir einem jungen Mann, der in seine Heimat zurückkehrt und sich mit seiner Kindheit auseinandersetzt, die von systematischem Missbrauch geprägt war. Der Dokumentarfilm ist schonungslos, dabei aber zumindest streckenweise humor- und hoffnungsvoll, lebt von den persönlichen Schilderungen des charismatischen Protagonisten.