Das Maedchen aus dem Norden
© Temperclay

Das Mädchen aus dem Norden

„Sameblod“, Schweden/Norwegen/Dänemark, 2016
Regie: Amanda Kernell; Drehbuch: Amanda Kernell; Musik: Kristian Eidnes Andersen
Darsteller: Lene Cecilia Sparrok

Das Maedchen aus dem NordenDie 14-jährige Elle Marja (Lene Cecilia Sparrok) stammt aus dem Volk der Samen und besucht im Schweden der 1930er zusammen mit ihrer Schwester eine Internatsschule. Glücklich ist sie dort jedoch nicht. So ist streng verboten, an der Schule Samisch zu sprechen, auch im Alltag werden sie und ihr Volk diskriminiert. Als sie sich eines Tages demütigenden wissenschaftlichen Untersuchungen unterziehen lassen soll, hat sie genug von all dem. Kurzerhand zieht sie in die Großstadt Uppsala, legt ihre samische Identität ab und versucht mit einem jungen Schweden anzubandeln, den sie zuvor auf einer Tanzveranstaltung kennengelernt hat. Doch der geplante Neuanfang ist mit vielen Hindernissen verbunden.

Etwas verloren sitzt sie herum, die alte Frau mit dem zerfurchten Gesicht. Sie will nicht wirklich hier sein, mit den Leuten reden, möchte das alles schnell hinter sich bringen. Das ist einerseits verständlich. Die Beerdigung der kleinen Schwester, das ist kein besonders schönes Erlebnis. Bald ahnt das Publikum jedoch, dass es hier um mehr geht, wenn Christina sichtlich leidet. Dass hier nicht nur um einen Menschen getrauert wird. Dass die Schmerzen anderweitig mit der Vergangenheit verknüpft sind.

Die Geschichte eines alten Rassismus
Nur wenige Minuten dauern die Szenen der betagten Dame, ein paar zu Beginn des Films, ein paar zum Schluss. Die eigentliche Geschichte von Das Mädchen aus dem Norden erzählt davon, wie aus der 14-jährigen Elle Marja die alte Christina wurde. Welchen Weg sie zurückgelegt hat. Vor allem aber: welchen Weg sie hinter sich lassen musste. Das Thema Rassismus verfolgt uns bis heute, auch in den vermeintlich hoch entwickelten Zivilgesellschaften. Ob es die Polizeigewalt gegenüber Schwarzen in den USA ist, die rechten Parteien Europas, die ohne jede Scham Stimmung gegen Flüchtlinge machen, die Ausgrenzung von anderen ist zu unserem ständigen Begleiter geworden.

Regisseurin und Drehbuchautorin Amanda Kernell erzählt von einem früheren, aber nicht minder erschreckenden Beispiel, wenn sie uns mit in das Schweden der 1930er nimmt. Außerhalb der nordischen Länder ist nicht viel über die Kultur des indigenen Volkes bekannt, das bis heute in Teilen Skandinaviens und Russland lebt. Inzwischen wird einiges getan, um diese aufrechtzuerhalten, durch länderübergreifende Interessensvertretungen, durch Anerkennung in den Schulen und Einrichtungen. Das Mädchen aus dem Norden erinnert daran, dass das nicht immer so war. Sami, die damals noch Lappen hießen, seien nicht für das Leben in der Stadt geeignet, dreckig, geistig weniger entwickelt, plumpe Nomadenvölker ohne Zivilisation. So sagen die Lehrer.

Zwischen Sehnsucht und Rebellion
Wenn sich Elle Marja gegen ihre eigene Familie wendet, zu einem ganz anderen Menschen werden will, dann ist das eben mehr als die übliche Teenagerrebellion gegen das Elternhaus. Wir sehen einen jungen Menschen, der sich nach Anerkennung sehnt. Gepeinigt von mal plumpen, dann subtilen, teils gar verstörenden Formen des Rassismus. Der mehr will als die Almosen, welche die Schweden den Samen lassen. Der auch mehr will, als nur die Traditionen aufrecht zu erhalten. Kernell, die selbst samische Wurzeln hat, führt uns vor Augen, wie eine eigenständige Kultur verlorengehen kann – auch durch Druck von außen.

Das Mädchen aus dem Norden, welches 2016 seine Weltpremiere auf den Filmfestspielen von Venedig feierte, überzeugt gerade durch den nachvollziehbaren Zwiespalt, in dem sich Elle Marja befindet. So sehr einem manchmal das Herz blutet, wie sie ihre Herkunft zerstört und auch mit ihrer Familie umgeht, das Mädchen bleibt eine tragische Gestalt, die keinen anderen Ausweg sieht. Lene Cecilia Sparrok, welche die junge Fassung der Identitätssucherin spielt und in dem ruhigen und doch tieftraurigen Drama ihr Filmdebüt abgibt, ist dabei eine richtige Entdeckung. Zwischen Trotz und Sehnsucht schwankt ihre Darstellung, ein einfühlsamer, intelligenter Mensch, der zwischen zwei Welten gefangen ist und alles dafür geben würde, endlich jemand sein zu dürfen. Der dies am Ende auch geschafft hat, aber einen unmenschlich hohen Preis dafür hat zahlen müssen.



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„Das Mädchen aus dem Norden“ erzählt anhand einer Jugendlichen, wie das indigene Volk der Samen in den 1930ern von den Schweden diskriminiert wurde. Ruhig und doch tieftraurig schildert das Drama, wie sich ein junger Mensch nach Anerkennung sehnt und keinen anderen Weg findet, als die eigene Herkunft zu verleugnen, später auch zu zerstören.
8
von 10