The Dinner
© Tobis Film

The Dinner

(„The Dinner“ directed by Oren Moverman, 2017)

The Dinner
„The Dinner“ läuft ab 8. Juni 2017 im Kino

So richtig groß ist die Lust von Paul (Steve Coogan) ja nicht, zusammen mit seiner Frau Claire (Laura Linney) zum Abendessen ins Restaurant zu gehen. Nicht nur, dass dieses für seinen Geschmack viel zu schick ist, vor allem verspürt er wenig Bedürfnis, seinen Bruder Stan (Richard Gere) und dessen Frau Katelyn (Rebecca Hall) zu sehen. Warum auch? Während Paul mit seinem Leben mehr oder weniger gescheitert ist, steht Stan kurz davor, Gouverneur zu werden. Und diese Selbstgefälligkeit muss er sich nun wirklich nicht antun. Während sie beisammensitzen, geht es aber um sehr viel mehr als Stans politische Ambitionen, da eine ganze Reihe von familiären Problemen und Konflikten zu Sprache kommen – alte wie neue.

Ach ja, das gute alte Familienessen. Das ist ja fast immer mit irgendwelchen Traditionen verbunden, gerade in Filmen. Traditionen wie der, nicht nur schönes Essen, sondern auch weniger schöne Vorwürfe und Streitigkeiten auf den Tisch zu packen. Das ist bei The Dinner nicht wirklich anders, anfangs zumindest. Zwei Brüder, die noch nie wirklich viel miteinander anfangen konnten, gehörnte Ehefrauen, schwere Krankheiten und verletzte Eitelkeiten – bei den Lohmanns sieht es letztendlich genauso mies aus wie bei jeder anderen Familie auch. Nur dass dies eben in einem schicken Restaurant zelebriert wird, anstatt daheim bei verkohltem Braten und billigem Wein.

Das Grauen hinter der Idylle
Und doch ist The Dinner, welches auf dem Bestsellerroman des Niederländers Herman Koch basiert, ein klein wenig anders. Dass es hier um mehr geht, das spürt man eigentlich recht früh. Die Spannungen, die bereits herrschen, noch bevor sich der erste an den Tisch setzt, die können nicht allein darauf zurückzuführen sein, wer als Kind das größere Weihnachtsgeschenk bekommen hat. Aber was hinter den Spannungen steckt, ja worum es bei dem Abendessen eigentlich geht, das lässt Regisseur und Drehbuchautor Oren Moverman (Time Out of Mind) lange offen. Etwas zu lang sogar.

Nicht, dass es vorher an Themen und Auseinandersetzungen mangeln würde. Anstatt wie etwa bei Der Gott des Gemetzels einen engen Raum zu nutzen, um nach und nach die Protagonisten in feine Scheiben zu schneiden, tritt man hier die Flucht nach vorne an. Oder genauer: nach hinten. Immer wieder werden Essen und Geschichte durch Flashbacks unterbrochen, die nicht nur das große Unbekannte im Raum nach und nach beleuchten. Sie verraten auch viel über die Figuren. Das ist auf der einen Seite durchaus spannend und verpasst dem Quartett einiges an Konturen: Indem wir wissen, woher die vier ursprünglich kamen, wie ihr Leben verlaufen ist, können wir besser nachvollziehen, wer wie warum handelt.

Und noch ein Gang …
Die Kehrseite der Medaille: Mit einer Laufzeit von rund zwei Stunden fordert The Dinner einiges an Geduld ab. Zwischendrin gibt es mehr als einen Moment, wo man sich wünschen würde, dass die vier doch bitte mal zum Punkt kommen mögen, anstatt immer nur um den heißen Brei herum zu reden. Vor allem aber ist es schade, weil eben jener zentrale Punkt dadurch recht kurz kommt. Sobald einmal die Samthandschuhe an der Garderobe abgegeben wurden und der eigentliche Konflikt zur Sprache kommt, geht es richtig zur Sache: Da prallen Persönlichkeiten und Überzeugungen aufeinander, in einer Weise und Heftigkeit, die einem den Glauben an das Gute im Menschen rauben. Das hätte gern noch etwas ausführlicher gezeigt werden dürfen, da es hier plötzlich um ganz grundsätzliche Fragen, Aussagen und Anschuldigungen geht, die einen unruhig auf dem Kinosessel rumrutschen lassen, weil man sich selbst lieber vor einer Anteilnahme drücken möchte. Da zudem die Figuren teilweise andere Seiten von sich entblößen, als man im Vorfeld hat erwarten dürfen, ist das erstklassig gespielte Thrillerdrama trotz gelegentlicher Längen sehr sehenswert. Vor allem gegen Ende hin, wenn sich Richard Gere (Arbitrage) und Laura Linney (Sully) als Hauptduellanten herauskristallisieren, ist man bereit, (fast) alles zu verzeihen.



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Was wie ein typisches Familienessen über alte Konflikte und verletzte Eitelkeiten beginnt, entpuppt sich mit der Zeit als sehr viel düsterer und fordernder. Die lange Laufzeit ist dabei nicht immer von Vorteil, zumal das Ende noch nach mehr geschrien hätte. Spannend und unangenehm ist das hochklassig besetzte Thrillerdrama aber trotz dieser Mängel.
7
von 10