Pelo Malo
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(„Pelo Malo“ directed by Mariana Rondón, 2013)

Pelo Malo
„Pelo Malo“ läuft ab 31. März im Kino

Andere würden ihn vielleicht für seine Lockenpracht beneiden, wenn es nach dem 9-jährigen Junior (Samuel Lange Zambrano) ginge, hätte er aber lieber ganz glatte Haare. So wie ein Popstar. Sein großer Wunsch ist es dann auch, bei dem bevorstehenden Schulfoto mit eben solchen abgelichtet zu werden. Nur wie? Nicht nur dass das Geld in der Familie knapp ist, seitdem sein Vater gestorben ist, seine Mutter Marta (Samantha Castillo), die mit ihm und dem kleinen Bruder in einem Sozialbau in Caracas wohnt, kann zudem mit seinen haarigen Wünschen nicht umgehen. Abuelea (Nelly Ramos), seine Großmutter väterlicherseits, unterstützt ihn hingegen bei seinem Vorhaben und versucht auch, seine Leidenschaft fürs Singen und Tanzen zu entfachen.

Viel Lärm um nichts, möchte man meinen. Der Junge hätte lieber glatte Haare, die Mutter verbietet es ihm dann. Daraus einen ganzen Film machen? Einen Film über schlechte Haare, so die deutsche Übersetzung des Titels? Aber natürlich ist Pelo Malo mehr als das, die erbitterte Auseinandersetzung zu einem optischen Detail steht stellvertretend für eine Mutter-Sohn-Beziehung, die nicht mehr funktioniert. Und für ein ganzes Land, das nicht mehr funktioniert.

Wenn Junior und ein Nachbarsmädchen von ihrem Balkon aus den Blick schweifen lassen, dann ist es kein schöner Anblick, der sich da bietet. Schier endlos reihen sich in dem mächtigen Sozialbaughetto Wohnung an Wohnung, sind so klein, dass sie keinen Raum für Entfaltung bieten. Und diese bedrückende Einengung findet sich eben auch im Leben des Jungen wieder, dessen Haarexperimente nur ein Ausdruck seiner Träumereien und der Sehnsucht nach einer Identität sind. Und der nach Anerkennung, welche die unbeirrbar strenge Marta nur für den Säuglingsbruder übrig hat. Auch von den anderen wird Junior kaum beachtet, wird von seinen Babysittern herumgeschubst oder gleich ganz ignoriert.

Warum Marta, die selbst längst das Träumen verlernt hat und für das blanke Überleben auch Demütigungen in Kauf nimmt, derart heftig auf Juniors Fantastereien reagiert, ist nicht ganz klar. Auch eine Erklärung, ob das Verhältnis schon immer so frostig war, spart sich Pelo Malo. Sie habe Angst, ihr Sohn könnte schwul sein und sie dafür die Schuld tragen, sagt sie an einer Stelle zu dem Arzt, den sie gleich mehrfach mit ihren Sorgen überfällt. Die Klischees zumindest sind da: die beste Freundin, die starke Beschäftigung mit dem Äußeren, das Desinteresse am Ballsport, dafür eine sichtliche Schwäche für den ohrringtragenden Krämer des Ghettos.

Ob die Befürchtung der Mutter zutrifft, wird dabei nicht einmal abschließend geklärt, es bleibt bei diesen Andeutungen, Pelo Malo ist mehr mit Coming of Age denn Coming out beschäftigt. Mit dem Versuch, in einer trüben Welt das Träumen nicht zu verlieren und trotz des Drangs zur Konformität die eigene Individualität zu entdecken. Dass dies immer wieder scheitert, macht den Film zu einer harten, streckenweise auch ziemlich deprimierenden Angelegenheit: Zwar verzichtet Regisseurin und Drehbuchautorin Mariana Rondón auf die ganz großen Szenen, drückt zu keiner Zeit auf die Tränendrüse. Sie gibt einem aber auch wenig Hoffnung, dass sich daran etwas ändert, zeigt eine Welt, in der selbst ein harmlose Tanzen mit hässlichen Gefühlen beschmutzt wird. Mitunter wirkt das ruhig erzählte und präzise gefilmte Familiendrama ein wenig ziellos, gerade wenn Marta selbst in den Mittelpunkt rückt. Insgesamt ist die südamerikanische Koproduktion jedoch eine sehenswerte und glaubwürdige Mischung aus Sozialdrama und Persönlichkeitsfindung.



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Der Streit um die richtige Frisur steht hier stellvertretend für eine restriktive, triste Gesellschaft und die Sehnsucht, aus dieser auszubrechen. Auch wenn dabei nicht alles zu Ende erzählt wird, ist „Pelo Malo“ eine sehenswerte, streckenweise deprimierende Mischung aus Sozialdrama und Coming of Age.
7
von 10