Escape From Tomorrow
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Escape From Tomorrow

(„Escape From Tomorrow“ directed by Randy Moore, 2013)

Escape From Tomorrow
„Escape From Tomorrow“ ist seit 23. April auf DVD und Blu-ray erhältlich

Schlimmer hätte der Tag für Jim White (Roy Abramsohn) nicht anfangen können: Sein Boss erklärt ihm, dass er gefeuert ist, und das auch noch mitten im Urlaub. Fest entschlossen, sich diesen nicht verderben zu lassen, verschweigt der Geschasste seiner Frau Emily (Elena Schuber) und den Kindern den Vorfall, um so mit ihnen eine schöne Zeit in Disney World zu verbringen. Aber so richtig schön will es da nicht sein, immer wieder wird Jim von seltsamen Visionen heimgesucht, bis er irgendwann Traum und Realität nicht mehr voneinander unterscheiden kann.

Escape From Tomorrow gehört zu denen Filmen, deren Konzept deutlich spannender sind als der Film selbst. Ein Mann schleicht sich mit einer Kamera ausgerüstet und einigen Schauspielern in einen Vergnügungspark, gibt sich als normale Touristen aus und filmt munter drauf los. Was daran spannend sein soll? Bei besagtem Park handelt es sich um Disney World, der Inbegriff familiärer Glücksseligkeit und Heile-Welt-Fantasien, der Film jedoch gehört am ehesten dem Horrorgenre an. Eine Drehgenehmigung hätte Regisseur und Drehbuchautor Randy Moore dafür natürlich nie bekommen. Und so behalf er sich eines Tricks: Er drehte vor Ort recht normale Szenen, die er erst nachträglich verfremdete und mit Studioaufnahmen kombinierte.

Nun sollte man trotz allem keine Blutorgien erwarten, abgeschlagene Körperteile oder Jump Scares. Eine ganze Weile passiert in Escape From Tomorrow erst einmal nichts, von unheimlicher Musik und ein paar Halluzinationen abgesehen. So sehr man den Film für seine pure Dreistigkeit hier auch bewundern mag, er ist relativ langatmig. Erst in der zweiten Hälfte dreht Moore auf und irgendwie auch durch. Die vorher seltsam umherwandernde Geschichte wird dann auf einmal vollends bizarr, nichts ergibt hier mehr einen Sinn. Das werden einige vermutlich großartig finden, ist aber im Grunde nicht mehr als recht billiger Trash, der kaum mit der ersten Hälfte harmoniert.

Und doch ist Escape From Tomorrow ein Werk, das man kaum vergessen wird. Was auch immer Disney Moore angetan hat, der Filmemacher war offensichtlich fest entschlossen, es ihnen heimzuzahlen, die schöne Fassade auseinanderzunehmen, mit Blut, Exkrementen und Erbrochenem zu beschmieren. Wenn reale Szenen mit wirklichen Gästen verdreht und verzerrt werden, dann ist eben diese Aufhebung von klaren Grenzen ungemein faszinierend, der Independentstreifen wird zu einem ähnlich ätzend-satirischen Anschlag auf Verlogenheit wie Männer zeigen Filme & Frauen ihre Brüste.

Das sieht teilweise sogar fantastisch aus: Die Schwarz-Weiß-Aufnahmen verwandeln den bekannten Vergnügungspark in einen betörenden und gleichzeitig gespenstischen Ort, wo Träume und Alpträume kaum voneinander zu unterscheiden sind und die seltsamsten Figuren umhergehen. Bis zum Schluss bestehen fast alle Dialoge zwischen Jim und Emily aus Streitigkeiten, statt Zeit mit seiner Familie zu verbringen, stellt das Oberhaupt lieber ungeniert französischen Schülerinnen nach. Bei Moore braucht es keine wirklichen Monster, um eine Familie zu töten, das erledigen die Mitglieder schon selbst. Escape From Tomorrow ist daher auch weniger ein tatsächlicher Film mit einer tatsächlichen Handlung als vielmehr die böse Dekonstruktion klassischer Werte.



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Ungefragt einen Horrorfilm in Disney World zu drehen, das ist schon dreist. Gerade durch dieses Nebeneinander von realen Szenen und seltsamen Visionen macht „Escape From Tomorrow“ zu einem faszinierenden Erlebnis. Doch trotz der betörend-gespenstischen Schwarz-Weiß-Aufnahmen ist das Guerillawerk oft auch langatmig.
6
von 10