Disconnect

Disconnect

(„Disconnect“ directed by Henry Alex Rubin, 2012)

DisconnectAuch wenn es eigentlich noch gar nicht so lange Teil unseres Lebens ist, wer kann sich noch ernsthaft einen Alltag ohne Internet vorstellen? Mal schnell eine Bahnverbindung raussuchen, die neuesten Nachrichten lesen. Und natürlich Kommunikation, E-Mail, Skype, Facebook. Die ganze Welt steht uns zur Verfügung; ein Mausklick, mehr braucht es nicht. Aber haben wir dabei vielleicht etwas vergessen?

Eindeutig ja, wenn es nach Henry Alex Rubin geht. Irgendwo zwischen Dauerbeschallung, ständiger Erreichbarkeit und täglichen Statusupdates haben wir uns selbst verloren, so die Warnung von Disconnect. In drei größtenteils voneinander unabhängigen Geschichten erzählt der Regisseur in seinem Spielfilmdebüt von den Gefahren, die im Netz auf uns lauern. Von Einsamkeit. Einer Zusammengehörigkeit, die in Wahrheit keine ist. Und den Schmerzen, die wir uns gegenseitig zufügen, oft ohne es zu merken.

Derek (Alexander Skarsgård) und Cindy Hull (Paula Patton) zum Beispiel haben sich schon seit Längerem nichts mehr zu sagen. Seit dem Tod ihres Kindes haben sich die beiden auseinandergelebt, statt miteinander über ihre Trauer zu sprechen, suchen sie Trost im Internet: Derek beim Glücksspiel, Cindy in Online-Foren. Erst als durch ihre Netzaktivitäten jemand ihre Identität stiehlt und in den finanziellen Ruin treibt, findet das Paar wieder zueinander.Disconnect Szene 1

Ausgenutzt wird auch Kyle (Max Thieriot), der im Internet seinen Körper verkauft. Als die Journalistin Nina (Andrea Riseborough) bei ihren Recherchen zu Onlineprostitution auf ihn stößt, versucht sie den Jungen dazu zu überreden, mehr aus seinem Leben zu machen. Doch Kyle zögert, denn sein Freier ist eine Art Familie für ihn. Und die Verlockungen des schnellen Geldes sind groß, gerade wenn man sonst nichts Anderes gelernt hat.

Ben (Jonah Bobo) ist davon meilenweit entfernt. Geld ausgeben, um ihn nackt zu sehen – nein, das würde wohl niemand. Im Gegenteil: Der Junge ist ganz froh, wenn ihn niemand an der Schule beachtet. Denn wenn sie das tun, hat das meistens Demütigungen zur Folge. Doch zwei seiner Mitschüler reicht das nicht. Und so beschließen sie, den Sonderling und Außenseiter mit Hilfe eines Fakeaccounts das Leben zur Hölle zu machen. Und das klappt besser, als die beiden es jemals erwartet hätten.

In der heutigen Zeit einen Film darüber zu drehen, der sich eindeutig gegen das Internet positioniert, das zeugt von Mut. Gerade bei einem jüngeren Publikum werden damit kaum Coolnesspunkte zu sammeln sein. Dass Disconnect weder ein großes Budget noch bekanntere Namen vorweisen kann – von Jason Bateman und Alexander Skarsgård einmal abgesehen –, ist daher keine große Überraschung. Doch beides braucht Rubin auch nicht, um seine drei bewegende Geschichten zu erzählen.Disconnect Szene 2

Ein bisschen subtiler hätte er dabei jedoch schon vorgehen dürfen. Gerade zum Ende, wenn die drei Episoden in einem hochdramatischen Finale gipfeln, verlässt sich Rubin zu sehr auf die Holzhammermethode, um seine Aussage an den Mann zu bringen. Allgemein hätten es vielleicht auch etwas alltäglichere Episoden getan, anstatt gleich zum Worst-Case-Szenario zu greifen. Aber emotionale Manipulation hin, erhobener Zeigefinger her – seine Wirkung verfehlt Disconnect nicht. Alle drei Episoden haben ihre Momente. An manchen Stellen wird es so wahnsinnig traurig, dass man schon einen Panzer aus Zynismus braucht, damit einem das Schicksal der Figuren nicht nahe geht.

Das ist wie so oft auch hier ein Verdienst der Schauspieler. Bateman, den man sonst eigentlich als Komiker kennt, macht als hilfloser Vater von Ben eine richtig gute Figur. Und auch seine weniger namhaften Kollegen überzeugen bis in die kleinste Nebenrolle und lassen die Geschichten glaubhaft werden. So glaubhaft, dass so mancher Zuschauer nach dem Kinobesuch unweigerlich über sein eigenes Leben nachdenkt. Ob man vielleicht nicht doch häufiger zum Hörer greifen sollte, anstatt sich immer auf E-Mail und Messages zu verlassen. Ob die Balance noch stimmt, zwischen dem Leben auf dem Bildschirm und dem Leben da draußen. Und ob man sein Umfeld, die Namen auf dem Bildschirm wirklich noch als das wahrnimmt, was sie eigentlich sind und immer sein sollten: individuelle Menschen.

Disconnect startet am 30. Januar im Kino



(Anzeige)

Manchmal etwas zu dramatisch und belehrend erzählt Disconnect drei bewegende Geschichten, die von den Schattenseiten des Internets handeln. So ganz alltäglich sind sie zwar nicht, dafür aber glaubhaft und überzeugend gespielt.
7
von 10