Hannah Arendt

Hannah Arendt

(„Hannah Arendt“ directed by Margarethe von Trotta, 2012)

Hannah ArendtKann eine Handlung böse sein, wenn hinter ihr kein bösartiges Motiv lauert? Oder überhaupt ein Motiv? Das ist eine spannende Frage, in der Theorie. Heikel jedoch wird es, wenn diese Frage auf einen konkreten Kontext angewandt wird, vor allem wenn „das Böse“ den Holocaust beschreiben soll. Das musste Hannah Arendt (Barbara Sukowa) Anfang der 1960er feststellen. Die Jüdin war 1941 nach Amerika geflüchtet, um den Nazigräueltaten zu entkommen. „Like a paradise“, so lautet ihre Antwort, als sie von ihren Studenten nach ihrem ersten Eindruck der neuen Heimat gefragt wird.

Zwanzig Jahre später hat sich Arendt in New York längst ein neues Leben aufgebaut, lebt glücklich mit ihrem Mann Heinrich (Axel Milberg) zusammen, ist als Dozentin beliebt, als Autorin respektiert, und führt bei Dinnereinladungen leidenschaftliche Streitgespräche. Doch eben diese Streitbarkeit wird ihr zum Verhängnis, als sie im Auftrag der Zeitschrift „The New Yorker“ nach Israel reist, wo Adolf Eichmann der Prozess gemacht wird, der während des Dritten Reiches für die Deportationen der Juden zuständig war.

Anders als erwartet, findet Arendt dort aber kein diabolisches Mastermind, sondern einen höchst durchschnittlichen Bürokraten vor, der ohne nachzudenken Befehle ausführte. Als sie daraufhin erst in der Zeitschrift, danach in Buchform den Holocaust entdämonisiert und in einen menschlichen Kontext rückt und noch dazu auch die Verantwortung der jüdischen Räte negativ hervorhebt, ruft sie einen Sturm der Entrüstung hervor. Ob Presse, Universität oder breite Bevölkerung, ihr schlägt eine Welle des Hasses entgegen. Auch viele Freunde wenden sich von der Theoretikerin ab, nur wenige – darunter ihre Assistentin Lotte Köhler (Julia Jentsch) und die Schriftstellerin Mary McCarthy (Janet McTeer) – halten ihr die Treue.Hannah Arendt Szene 1

Eben diese Zeit im Leben der kontroversen Denkerin wird in Hannah Arendt durch Regisseurin Margarethe von Trotta wiedergegeben, die schon in Rosa Luxemburg und Vision – Aus dem Leben der Hildegard von Bingen ihre Faszination für historische und starke Frauen zeigte. Eine eigentliche Biografie ist der Film jedoch nicht. Was vor „Eichmann in Jerusalem: A Report on the Banality of Evil“ geschah, wird kaum, was danach kam, gar nicht erwähnt. Wenn Details aus ihrem Leben erzählt werden, dann größtenteils nur, um die Hintergründe wiederzugeben, die für das Buch relevant sind. Nur selten wird Arendt aber auch als Person deutlich, jenseits der unverstandenen und furchtlosen Kämpferin. Dadurch wird der teils deutsch-, teils englischsprachige Film das, was man auch Arendts Schriften immer wieder vorwarf: brillant, aber ohne Herz. Ein Plädoyer für das eigenständige Denken, frei von Mitgefühl und persönlichen Schicksalen.Hannah Arendt Szene 2

Auch eine wirkliche Auseinandersetzung mit ihren Thesen findet nicht statt, da Arendt einfach ein ebenbürtiges Gegenüber fehlt. Ihre Gegner werden meist als engstirnig, feige, veraltet oder schlicht weniger intelligent porträtiert. Arendts Anhänger, das sind die Jungen, die Studenten, die frei denkenden Menschen; da macht es sich von Trotta dann doch etwas einfach. Wenn Hannah Arendt sehenswert ist – und das ist er auf alle Fälle – dann liegt das neben einer brillanten Leistung von Hauptdarstellerin Barbara Sukowa auch an der sorgsamen Rekonstruktion einer interessanten Zeit, in der Biederkeit und Freigeist ungebremst aufeinanderknallten. Und die Frage nach der Natur des Bösen, ob die Ermordung mehrerer Millionen Menschen banal sein kann, die ist über fünfzig Jahre später noch genauso relevant wie damals.

Hannah Arendt ist seit 10. Oktober auf DVD und Blu-ray erhältlich



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Ein Blick hinter die Kulissen? Das ist Hannah Arendt nur bedingt. Dafür fehlt der menschliche Aspekt zu sehr und auch eine inhaltliche Auseinandersetzung. Die stark konzentrierte Biografie der politischen Denkerin stellt aber Fragen, die bis heute spannend und relevant sind, und ist nicht zuletzt dank einer brillanten Hauptdarstellerin wirklich sehenswert geworden.
7
von 10