Der Wachsblumenstrauß

Der Wachsblumenstrauß

(„Murder at the Gallop“, directed by George Pollock, 1963)

„One must be tolerant of the young, Mr. Enderby. I remember my dear mama was quite horrified when she caught me dancing the Charleston in public.”

Die Miss Marple-Serie mit Margaret Rutherford gehörte zu den Schätzen meiner vom Fernsehen geprägten Kindheit. Obwohl Der Wachsblumenstrauß keineswegs meine liebste Agatha Christie-Verfilmung ist, scheint er doch zahlreiche erinnerungswürdige Szenen aufweisen zu können, denn nach ein Dutzend Jahren wusste ich immer noch, wer der/die Mörder/in ist. Das schmälerte das Vergnügen an diesem Film überraschenderweise – im Gegensatz zu vielen anderen Krimis – nicht und vielleicht liegt es daran, dass die Ermittlungen der schrulligen alten Dame selber gar keine große Rolle spielen oder jemals besonders in Fahrt kommen.

Stattdessen beobachtet man über knappe 80 Minuten eine resolute Lady, die sich ihren Weg bahnt durch gierige Verwandten eines Verstorbenen und dabei eher zufällig auf Spuren stößt, die sie zur schlussendlichen Lösung führen. Die Verfilmung ist dabei von der Romanvorlage so weit entfernt wie nur möglich, denn „After the Funeral“ ist nicht etwa ein Fall für Miss Marple, sondern einer für den belgischen Detektiv Hercule Poirot und davon abgesehen nahm sich der Drehbuchautor einige Freiheiten mit dem Stoff, der auch die Frage aufkommen lässt, weshalb dieser Film eigentlich Der Wachsblumenstrauß heißt, denn von einem solchen obskuren Gegenstand ist nicht ein einziges Mal die Rede. Der britische Originaltitel des Romans „Nach der Beerdigung“ oder des Films „Mord im Reitstall“ passt hier wesentlich besser, doch was nützt es, über die Entscheidungen deutscher Verleiher zu schimpfen?

Auch wenn die Porträtierung der Miss Marple durch Margaret Rutherford einmalig charmant und derart beliebt ist, dass es beinahe ein Sakrileg wäre, diese zu kritisieren, so kommt man nicht umhin, ein wenig Verständnis für die Autorin Christie aufzubringen, die diese Besetzung verabscheute, denn Rutherford ist alles andere als die zerbrechliche, alte Dame, wie die Schriftstellerin ihre Schöpfung kreiert hatte. In all ihrer Entschlossen- und Resolutheit erinnert sie stattdessen immer wieder daran, wie sehr die später entstandene Fernsehserie Mord ist ihr Hobby mit einer sich nicht weniger einmischenden Jessica Fletcher von Rutherfords Marple-Figur inspiriert wurde. Die Oscar-Preisträgerin Rutherford ist hier zum zweiten Mal in der Rolle der britischen Rentnerin zu sehen, die unfreiwillig in ein kriminalistisches Abenteuer stolpert, indem sie zusammen mit ihrem Freund Mr. Stringer (Stringer Davis) Geld für Verbrecher sammelt, die einen Weg zurück ins normale Leben schaffen wollen. Als sie das Haus des alten Mr. Enderby betreten, fällt ihnen dieser zu Fußen – die Treppe hinunter. Tot.

Die Diagnose ist sofort klar: ein Herzinfarkt hat den sehr verschlossenen und wohlhabenden Mann dahingerafft. Davon ist auch Miss Marple überzeugt, doch trotzdem glaubt sie fest an einen Mord, da jemand, der sich des schwachen Herzens dieses Exzentrikers bewusst war, diesen zu Tode erschreckt hat. Inspektor Craddock (Charles Tingwell) will davon freilich nichts hören, muss seine Einstellung jedoch ändern, als Miss Marple wenig später die Leiche der Schwester von Mr. Enderby findet. Ermordet. Die alte Dame nimmt die Ermittlungen selber in die Hand und mietet sich bei den Verwandten der beiden Toten ein, da der Neffe Hector (Robert Morley) ein Reithotel betreibt. Dort stößt Miss Marple auf immer mehr Geheimnisse und riskiert ihr Leben, um dem Killer dingfest zu machen.

Würde man den Film negativ bewerten wollen, könnte man sagen, dass kriminelle Ermittlungen kaum vorhanden sind. Das stimmt auch. Miss Marple verbringt ihre Zeit meistens damit, einen bestimmten, verräterischen Schuhabdruck zu finden, um später eher durch Zufall auf die richtige Spur gebracht zu werden. Ihre Untersuchungen sind daher nicht sonderlich tiefgreifend oder spannend. Spannend wird der Film eher durch seine hervorragende Besetzung, denn die kleinsten Nebenrollen sind mit exzellenten Darstellern besetzt worden und von Robert Morley bis zu Stringer Davis – dem Ehemann von Margaret Rutherford – tragen alle zum unwiderstehlichen Charme dieses Werks bei, der es nur schwer macht, diese Krimikomödie nicht gern zu haben. Es geht nicht um die Ermittlungen, es geht um die Menschen im Umfeld von Miss Marple und deren Umgang mit ihnen – wie auch bei Georges Simenons Figur des Pariser Kommissars Maigret ergibt sich hier die Lösung des Falles durch Gespräche mit den Involvierten.

Das geschieht im Wachsblumenstrauß nicht derart intensiv wie in Simenons psychologischen Krimis, aber auf durchaus sehr unterhaltsame Art und Weise, ohne den nötigen Witz und Esprit vermissen zu lassen. Zu Gute kommt dieser Verfilmung auch in hohem Maße die angebrachte Selbstironie, wenn Miss Marple Inspektor Craddock gegenüber Agatha Christies Romanvorlage „After the Funeral“ erwähnt, auf dem dieser Film (lose) basiert. Sehenswert ist Murder at the Gallop“ allein schon wegen einer kurzen, aber höchst erheiternden Tanzeinlage Miss Marples und Mr. Stringers, die sich dazu gezwungen sehen, sich unter jungen Leuten zu moderner Musik auf der Tanzfläche zu beweisen. Es ist ein bescheidenes Krimi-Kammerspiel, perfekte Unterhaltung, die man gern haben muss und die auch heute noch Spaß bereitet.



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8
von 10