Der Tintenfisch und der Wal

Der Tintenfisch und der Wal

(„The Squid and the Whale“, directed by Noah Baumbach, 2005)

Der Tintenfisch und der Wal ist mehr als lediglich eine semi-dokumentarische Erzählung über die traumatischen Erlebnisse zweier Brüder nach der Trennung ihrer Eltern. Es ist ein Episodenfilm, von dem alle Ebenen in einem bewegenden Drama verknüpft sind, es ist eine unbequeme Sozialstudie voller Wärme und doch unerbittlich aufgrund des Realismus. Regisseur und Drehbuchautor Noah Baumbach erzählt in seinem vielfach preisgekrönten und gefeierten Werk von seiner eigenen Jugend durch die Augen der Brüder Walt (Jesse Eisenberg) und Frank (Owen Kline).

Diese müssen eines Abends auf einer Familienbesprechung erfahren, dass ihre Eltern – Joan (Laura Linney) und Bernard (Jeff Daniels) – sich trennen wollen. Diese haben nun genau festgelegt und geplant, wer wann welches Kind zu sich nehmen und welche Gegenstände man in die entsprechende Wohnung mitnehmen darf. Die Jungs reagieren unterschiedlich auf die neue Situation. Während Walt besser mit dem Problem umzugehen scheint, zerbricht Frank daran, beginnt zu trinken und onaniert in der Schule, um dann sein Sperma an Büchern und Schränken abzuwischen. Schnell sehen sich die Brüder mit neuen Erkenntnissen über das Liebesleben der Mutter konfrontiert, was Walt noch mehr von ihr entfremdet. Als er mit Sophie (Halley Feiffer) eine Beziehung beginnt, kommt es ihm nicht zu Gute, dass fast zeitgleich eine Schülerin seines Vaters in dessen neue Wohnung einzieht…

Baumbach drehte im dokumentarischen Stil teilweise mit Handkamera, doch die Qualität seines Werkes liegt nicht allein in diesem nicht sonderlich originellen Konzept, sondern hängt von verschiedenen Faktoren ab. Zunächst einmal seien die erstklassigen darstellerischen Leistungen erwähnt, so war Jeff Daniels wohl niemals besser als in diesem Streifen als überforderter, verhinderter Schriftsteller – eine Porträtierung, für die er zu Recht mit zahlreichen Nominierungen und Auszeichnungen überhäuft wurde. Auch Jesse Eisenberg, der kurze Zeit später in dem Film Juno einiges Aufsehen erregen sollte, spielt den gefühlsverwirrten Teenager überzeugend.

Das grandiose Zusammenspiel in den Szenen mit seiner Freundin Sophie führt zu berührenden, aber auch sehr niedlichen Szenen voller Charme, so etwa die Darstellung des ersten Kusses, die zu verzaubern versteht. Im Gegensatz dazu spart Baumbach jedoch auch nicht mit für den Zuschauern qualvollen Szenen, in denen die leidenden Protagonisten mit beleidigenden Gesten und Worten verletzt werden, was nur deshalb unbequem ist, da Baumbach es versteht, in das Seelenleben seiner Figuren einzutauchen und sie dem Zuschauer gegenüber realistisch erscheinen zu lassen, sodass sie uns erscheinen wie Abbilder unserer Selbst oder zumindest wie von Personen, die uns nahe stehen.

Hier erwachen kleinste Details zum Leben und die Tischtennisplatte etwa wird zum Symbol für die zerbrechende Beziehung zwischen Frank und seinem Vater, die in den Flüchen fortwährend die Rollen tauschen, wodurch sie sich ähnlicher sind, als ihnen vielleicht lieb sein mag. Jeff Daniels als Vater ist hierbei der erfolglose Literat, der hilflos zusehen muss, wie sich die Welt um ihn immer weiter dreht, wie seine Söhne erwachsen werden und seine Ex-Frau sich einen Liebhaber angelt. All diese inneren Spannungen resultieren in den Hoffnungen, die er in seine Schülerin Lili setzt, mit der er sich eine Affäre erhofft und welche er deshalb mehr als bereitwillig bei sich aufnimmt. Auffällig ist auch die subtile Kritik auf Psychiater bzw. das amerikanische Sozialsystem, welches hier in Form von kürzlich ausgelernten und inkompetenten Therapeuten auftritt.

Der Tintenfisch und der Wal ist ein hervorragend gezeichnetes Psychogramm, bei dessen Laufzeit von gerade einmal 80 Minuten man sich wünscht, den Figuren noch länger folgen zu können, da sie einem derart an das Herz gewachsen sind. Es ist ein Film, der einen wie einen Strudel gefangen nimmt – teils durch die interessanten Charaktere, die großartigen Schauspieler, die ausbalancierten und realistischen Dialoge oder sei es nur aufgrund einzelner Aktionen, die in bestimmten Szenen beschrieben werden, die entweder zum Schmunzeln oder zum Nachdenken anregen. Baumbach wird dabei nie übertrieben melodramatisch oder gleitet in Kitsch ab, stattdessen versteht er es meisterhaft, bei Bedarf die Szenerie durch subtilen Humor aufzulockern. Ein teilweise forderndes Erlebnis mit intellektuellen Zügen, denen sich hinzugeben bei Baumbach leicht fällt, derart faszinierend ist sein Film geworden.



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